Radiohead – Kid A
Böse Menschen behaupten oft, sie könnten in dieser oder jener Publikation auch Plattenbesprechungen schreiben. Als Beweis gilt ihnen, dass der Rezensent halt bloß eine Meinung hat wie der geringste unter den Brüdern, dass er existierende, manchmal sogar geflügelte Worte gebraucht (und wehe, wenn nicht!) und ihm nichts Menschliches fremd ist, wobei er von Musik natürlich keine Ahnung hat, aber auch nicht die Beatles 1966 erlebte, nicht einmal die Stones 1998. Außerdem ist der Rezensent ein gewöhnlicher Klugscheißer und Gernegroß, kann kein Instrument spielen und ist nur fürs Geld überhaupt drin. Angestellt haben ihn Idioten, die auch nicht besser sind.
Aber ich fasse hier Leserbriefe zusammen, mein Gott. Was diese Leute vergessen: Sie könnten beispielsweise über die neue Radiohead nur schreiben, wenn sie die Platte hören könnten. Galaxien verglühten, Reiche versanken, Pole schmolzen seit dem ersten Versuch, „Kid A“ habhaft zu werden. Erst war nur der blanke Titel, spät genug. Dann waren Gerüchte. Songtitel. Zwei Konzerte in Berlin. Krautrock! Unhörbar! Experimente! Verweigerung! Plattenfirma darf nichts herausgeben! Plattenfirma darf Gerät herausgeben, dass sich nach vierfachem Hören selbst zerstört! Cover gibt es nicht! Aber Website! Dort auch Texte! Aber das Tracklisting stimmt nicht! Band weiß es auch nicht mehr genau! Tracklisting im „Melody Maker“! Aber falsch! Nein, doch richtig! Mehrere Stücke gehören zusammen! Aber welche? Und wo ist das geheimnisumwobene „Knives Out“? Weg.
Und dann eine handelsübliche Schellack. Ein Blatt Papier mit Titeln. Eine Krakelei: „Radiohead. Kid A.“ Wir mussten uns die Schellack teilen, der Wigger und ich. Aber in diesen Wochen wurden wir Freunde, ja Leidensgenossen. Wir sangen das Falsett von „Everytthing In Its Right Place“. Wir tröteten die „National Anthem“. Wir machten die „Morning Bell“. Wir tanzten in der „Idioteque“. Wir rezitierten die Texte, ab wären sie von Blake oder Baudelaire. Und als wir ans Tageslicht traten, malträtiert, müde, erleuchtet und zu besseren Menschen geworden, wollte es keiner sagen: Meisterwerk. Ich sagte erst mal: Kunstkacke.
Hatten wir so etwas noch nie gehört in harten Berufsjahren? Wichtigtuer werden sagen: Alter, Kraftwerk, Can, Ashra Tempel, Schulze, Eno, Henry, Cage, Cale, Schönberg, Webern, Jarre, Mirwais, Air, Station 17. Kindergarten. Musiktherapie. Aber es ist nicht dasselbe. Es sind nicht nur die Erwartungen seit „OK Computer“, dem Monolithen, der ja auch schon auseinanderfiel, aber gerade noch in unwirklicher Schönheit „Exit Music (For A Film)“, „No Surprises“, „Karma Police“ und „Lucky“ preisgab. Danach ging es nicht mehr weiter. „Kid A“.
Thom Yorke ist ja nicht einfach verrückter geworden, er fordert den Schuldenerlass für die armen Länder und was es sonst noch lrdisches gibt, er findet mal einen Fan skurril (lustig genug) oder stört sich an Interviews, will nichts mehr sagen, die Melodie töten und nur noch verschroben sein. Aber das kennen wir von den Altvordern. The madcap laughs.
Es geht hier nicht um große Kunst. Es zählt das Gefühl. Und Yorke singt: „That man, that’s not me/ I go where I please/ I walk through walls/ Float down the Liffey.“ Das hat er geträumt Das Stück heißt „How To Disappear Completely“.
Geweint.