Short Cuts :: VON BORCHOLTE & HUTTMANN
FORMIDABEL
Särge hießen in der DDR ERDMOBEL, und so lautet auch der etwas morbide Name, den sich Markus Berges für seine Band ausgesucht hat Der in Köln lebende Künstler darf getrost in die – hierzulande leider schwach besetzte – Kategorie Singer/Songwriter-Nachwuchs einsortiert werden. Auf seinem zweiten Album Jlrste Worte nach Bad mit Delfinen“ (NSW Records) präsentiert sich Berges als poetisch-lakonischer Textschmied fernab fader Klischees. Das Ohr bleibt oft an Sätzen wie „Keine Kröte kann kleine Jungs aufblasen“ hängen. Der Hörer staunt ob der ungewohnten Art, in der hier deutsche Sprache mit Musik verwoben wird, die zumeist auf US-Folkrock basiert Ein deutlicher Hoffnungsschimmer.
Auch Rob Aldridge und Tim Smith sind beim zweiten Album angelangt. Wir erinnern uns: Das waren die beiden ulkigen Typen, die sich so in Uma Thurman verknallt hatten, daß sie ihre gemeinsame Band prompt UMA-JETS tauften. Auf Jwollen And Tender“ (Gearspot/EFA) schlachten die beiden Sixties-Fanatiker erneut alles aus, was Beatles, Byrds dC Co. hinterlassen haben, machen jedoch auch vor Thomas Dolbys „Screen Kiss“ nicht halt Sympathisch, schrullig und gut.
Ein bißchen verschroben sind auch die ROTOSONICS aus Hamburg und Berlin, die auf ihrem gleichnamigen Debüt-Album (Elbtonal/lndigo) ebenfalls dem Sixties-Pop huldigen, dabei aber ausschließlich instrumental vorgehen und sich an Vorbilder wie Booker T 8C The MGs oder James Taylor Quartett halten. Es wird also georgelt, was die Tasten aushalten, und manchmal stand auch Ennio Morricone segnend daneben. Den Song „P. M. Undercover“ haben sie für die Eiskunst-Paarläufer Peggy Schwarz und Mirco Müller geschrieben. Gipfel der Genüsse auf diesem Retro-Reigcn ist jedoch die Coverversion von Europes „The Final Countdown“. Nur das JMoog Cookbook“ war schräger!
Mit den Visionen eines Exzentrikers zurück in die Zukunft: „Warp Back To Earth W99“ (Bungalow) ist ein Doppel-Album mit und über Deutschlands einzigartigen Film- und Fernsehkomponisten PETER THOMAS. Um dessen kosmischen, mondänen Soundscapes aus der Sixties-Serie „Raumpatrouille“ herum haben 17 ebenso superb-spleenige Remixer, Electro-Tüftler und Easy-Listening-Fetischisten wie Coldcut, Schneider TM, Yoshinori Sunahara, Tortoise, Stereolab oder High Lamas, Saint Etienne und der Pop-Barde Momus neue Songs im Geiste des Mentors arrangiert Die Original-Tracks dazu sind dann auf der zweiten Platte zu hören, und beim Titelstück beamt sich Thomas – der behauptet, nicht tanzen zu können – mit dem Berliner DJ Maxwell Implosion auf den Drum’n’Bass-Dancefloor. Ein galaktischer Tribut
AKZEPTABEL
Wer einen Nachnamen wie ARNOLD KANT trägt, dürfte sich an notorische Fragen nach der Verwandschaft gewöhnt haben. Mit der Philosophie läßt es der Westfale auf seinem Debüt JVur ein anderes Licht“ (Moll/EFA) lieber langsam angehen, verfugt aber über jede Menge besinnlich-bissiger Songtexte, die angenehm an Tilman Rossmy oder die Flowerpornoes erinnern. Kein Wunder, schließlich hat Tom Liwa produziert Mit ein wenig mehr Eigenständigkeit wird dieser Kant bald zum Klassiken An einem anderen Klassiker versuchen sich SUGAR RAY auf ihrem dritten Album“ J*59 Ä (Eastwest). Die Kalifornier haben ihrem Crossover aus Rock und Ska endgültig abgeschworen und versuchen sich als ernsthafte Gitarrenrocker, deren Sound natürlich immer noch zeitgeistig mit Hip-Hop-Elementen angereichert ist. Das wäre insgesamt toll, hätte man sich nicht gerade an Steve Millers Hit „Abracadabra“ vergriffen und schlechterdings 1:1 kopiert Dafür gibt’s die gelbe Karte.
MR. ED JUMPS THE GUN waren im Sommer ’95 mit ihrem karnevalesken Crossover für 15 Minuten ganz witzig. Auf JFace AW(EMI) klauen, covern und parodieren die Wahlberliner, als würden sie sich die schlaue Skurrilität von Bands wie Cake anmaßen. Totlachen oder weinen?
Band mit Frontfrau, Grunge-Gitarren und Big Beats – FRUIT aus Frankfurt haben die (Charts)-Zeichen dieser Zeit erkannt und auf ihrem Debüt JßxposuresLeft“(EMl) präzise in kompatible Popsongs umgesetzt Das groovt, kracht, rockt, seufzt wie geschaffen für Viva und ist doch nicht behämmert ARJ SNOEK ist ^Obert Gabriel“ (Ladomat). Auf seinem Debüt paart der junge Kömer House-Beats mit Funk-Melodien, das Cover hat sein Papa im Blue Note-Stil entworfen. Ein wundersames Tanzalbum mit vermischter Ekstase, auch zum Tee geeignet „True Romance“ heißt ein Song, ein anderer ist „Wenn die Schatten Trauer tragen“ betitelt: Mit Piano-Pathos und dunkler Melodramatik in der Stimme tragen ROSENFELS auf „Schandeiah“ (Indigo) klassisch-plakative (Schimmel im herbstlichen Wald, Möwen vor der rauhen Küste Irlands, wehendes Kleid auf dem Kornfeld) Chansons und Liebesballaden voc, deren Sentiment jeder Hausfrau das Herz zerreißt Fehlt nur ein Duett mit Sarah Brightman.
Das Duo MARIA PERZIL hätte man in den alten Zeiten als „Liedermacher-Duo“ bezeichnet Zwischen romantischen Piano-Balladen, Stephan Eicher und Stefan Sulke sowie Chanson-Seligkeit musizieren Dirk Schelpmeier und Markus Krüger auf „Sepia“(eastwest) kenntnisreich, souverän und meistens unpeinlich. „Küß mich, wenn das Leben dünn wird“: Die Texte und die Posen als arme Poeten gemahnen noch ans Kulturzentrum. Maria Perzil hätten gut für die frühe Vicky Leandros schreiben können.
Man staunt immer wieder, was alles veröffentlicht wird: „The Friends And Relatives Album“ (Eagle Records) faßt Klassiker von DEEP PURPLE mit diversen Kleinigkeiten aus Solo-Aktivitäten und anderen Band-Projekten zusammen. Wenig Rauch um nichts.
Der Superlativ „Gnea/esf Beats“(eastwest) ist nicht übertrieben. Das US-Label Tommy Boy wurde mit HipHop-Acts wie De La Soul, Digital Underground, Naughty By Nature, House Of Pain, Coolio zum Markennamen für künstlerische Kommerzialität Kommerziell auch die Compilation „Guitar Club Classics“ (SPV) mit „Gitarrenklassikern vom Feinsten“, darunter JLt’s The End OfThe W>rld“ von R.E.M. und das fabulöse „Monkey Gone To Heaven“ von den Pixies.
INDISKUTABEL
Trübe Zeiten für Britannien: Verglichen mit dem Proll-Rock der breitbeinigen TERROR-VISION sind die Gallaghers feinsinnige Intellektuelle. „Sharing Peaches“ (EMI) unterbietet alles, was seit New Model Army über uns kam.
Ohne Witz geht nichts: Die Knallchargen YETI GIRLS kalauern sich auf „Spring“ (WEA) mit bierseligem Punkrock-Gagaismus durch schale Parodien auf Schlager, Disco und den Pop überhaupt (selbst Trio haben sie nicht ausgelassen) und lachen selbst am lautesten über ihren Schwachsinn.