SHORT CUTS :: von Wolfgang Doebeling

FORMIDABEL

Seit die einst so wundervollen High Llamas nur noch plätschern und piepsen, hat sich ein Vakuum aufgetan im Land des Songorientierten, Beach Boys-beseelten, Beatles-sublimierten und doch subliminalen Barock-Pop. RICHARD DAVIES, Australier und Wahl-Bostoner, der sich dort schon mit den Moles und mit Cardinal heimisch gemacht und mit seiner brillanten Solo-Debüt-LP „There’s Never Been A Crowd Like This“ einen kleinen, aber feinen Claim abgesteckt hatte, schürft nun mit „Telegraph“ (CD: V2, Vinyl: Flydaddy) weiter erfolgreich nach Nuggets. Lyrische Piano-Partien, Crosbystillsnash-Harmonien, so zuckrige wie exzentrische Songs: wahrlich zum Verlieben.

Kaum weniger kostbar, aber runder und rasanter sind die Song-Perlen des TOMMY KEENE, der auf „Isolation Party“ (Matador/RTD) unverdrossen, unbeirrt und mit unverminderter Energie den Powerpop ziseliert. Das tut er immerhin schon seit 15 Jahren mit respektierlicher Konsequenz. Diesmal mischen Jeff Tweedy und Jay Bennet von Wilco mit, doch bleibt alles beim Alten: zum Vergnügen.

AKZEPTABEL

Elvis dürfte im Grab rotieren und den Herren Leiber und Stoller die Spucke wegbleiben ob der Dreistigkeit, mit der die LOMBEGO SURFERS „Baby, I Don’t Care“ destruieren und auf „Friendly Fire“ (Flight 13, Nordstr. 2, 79104 Freiburg) in ihr Garagen-Universum integrieren, wo der Sound ruppig ist und der Beat rotzig. Die Band, das ist der Clou, kommt aus der Schweiz, nicht eben bekannt für rohen Trash. lOinch. Als global agierendes Abrißunternehmen von Rock’n’Roll-Ruinen haben sich Dexter Romweber, TNT-Gitarre und Dynamit-Vocals, und Crow am Nitro-Schlagwerk, gemeinsam berüchtigt als FLAT DUO JETS, eine treue Fan-Gemeinde erspielt „Wild Blue Yonder – Live Live Live“ (Norton) dokumentiert das explosive Duo bei der Arbeit vor staunendem Publikum in diversen amerikanischen Städten. Eine Detonation jagt die andere, und zu den brachial zu Fall gebrachten Objekten gehören so denkmalgeschützte Songgebäude wie „Shape Of Things To Come“ vom Architektenbüro Barry Mann & Cynthia Weil! oder Buddy Hollys Prachtbau „It Doesn’t Matter Anymore“. Macht Spaß.

Live unbändig und ungeschliffen spielen seit Jahren auch schon THE BLUERUNNERS aus Louisiana, doch gelang es ihnen bislang nur ansatzweise, einen solchen Funkenregen auch im Studio zu erzeugen. Auf „Tb The Country“ (Rounder/ln-Akustik) gelingt das bedingt, etwa auf dem Bayou-Hopser „Stringbean“ oder auf dem fulminant rockenden „Landslide“. Meist jedoch klingen Fiddle und Akkordeon zu höflich, der Zydeco einen Tick zu diszipliniert, der Cajun domestiziert. Keine Tanzschaffe mithin, geht aber angenehm ins Ohr.

Was auch für HARVESTER aus dem Norden Kaliforniens gilt, auf schrammelige und nett sperrige Art, alternativ halt „Camper Van Landingham „(Trocadero) ist vom Namen her ein Tribut an Camper Van Beethoven und an den Baseball-Giant William Van Landingham, musikalisch an Vorbilder wie Thin White Rope und Pavement, allerdings nicht so intelligent wie letztere und ohne die (freilich auch längst verblaßte) lyrische Potenz ersteret Ausgesprochen hübsch: die erste Hälfte von „The Year It Was Dry“. Dann wird wieder geschrubbelt. Schade.

Jakob Dylan ist bereits Grammybehängt, Emma Tbwnshend macht ihrem Vater keine Schande, Sean Lennons Debüt wird apriori mit Vorschußlorbeeren bedacht, Adam Cohens Songs finden des Erzeugers Wohlgefallen, und CHRIS STILLS klingt so sehr wie sein Dad und hat so wenig von seiner Mutter Veronique Sanson, daß Stephen Stills sicher aus dem Grinsen nicht mehr herauskommt. „100 Year Thing“ (Atlantic/eastwest) ist traditioneller „Wfestcoast-Rock, leichtgewichtiger und eine Spur poppiger noch ab der des Papa, aber schon ebenso bluesig geerdet. Selbst des Seniors Kehligkeit ist schon angelegt in Juniors 23jähnger Stimme. Frappierend. The next genemtion, same as the oldone.

„I love rock stars“, bekennt SCOTT WEILAND von den Stone Temple Pilots, und: „Grunge is dead.“ Eine überfällige, für Weiland offenbar heilsame Erkenntnis. „12 Bar Blues“ (Atlantic), sein Debüt-Album als Solist, ist jedenfalls völlig frei von Pilots-Ballast, hat überdies nicht das geringste mit Blues zu tun, sondern orientiert sich vielmehr am Frühsiebziger-Output von Master Bowie. Und am Spätwerk der Beatles, die indes keineswegs nur kopiert, sondern hier und da pfiffig persifliert werden (JLazy Divey“). Scott Weiland hat einen feinen Sinn für Humor, wer hätte das gedacht. Kurzweilig.

Könnte ein Albino in Ehren ergrauen, dann wäre das JOHNNY WINTER längst „Live In NYC ’97“ (Pointblank/Virgin) bietet natürlich keinerlei Überraschungen, nur den üblichen, dudeligen, grundsoliden Boogie-Blues, den man entweder goutiert, weil er einem irgendwann in Fleisch und Blut übergegangen ist und nicht wehtut Oder für den man keine Zeit mehr hat, aus den exakt gleichen Gründen. „Got My Mojo Working“, ein weiteres Mal durchgeknetet, ist zur Kenntlichkeit verklumpt und so unnötig wie Johnnys Kropf.

MISERABEL

Zur Fretboard-Garde der Blender, jener Spezies, die lieber neun Töne spielen als einen und stolz darauf sind, elaborierte Soli auf kleinstem Raum unterzubringen, gehört fraglos JOE SATRIANI, dessen aktuelles Album „CrystalPlanet“ (Epic) heißt, Tracks wie „Lights OfHeaven“ beinhaltet und „Ceremony“ und „Secret Prayer“: spektakulär fingerfertig und tödlich langweilig.

JOHN WETTON, der einst mit Family vitale Musik machte, mit King Crimson im guten Sinne progressive und später mit Asia dann nur noch hohl-pompöse, setzt seine kreative Talfahrt mit „Arkangel“(Eagle/Edel) fort. New-Age-Rock, orchestral gespreizt und banal wie Banane.

Verblasener noch und bis an die Zähne bewaffnet mit allerlei produktions-technischem Zinnober sind die PHANTOMS OF FUTURE auf „Tie Me Up“(Terrazone/Zyx). Crossover-Allüren, Hard-Core-Posen, Metal-Mumpitz, Goth-Gesocks und das wahrscheinlich schlechteste Englisch, das je auf einer Platte zu hören war. „Why“, fragen die Phantoms, „it’s horrible, it’s sickness, why?“ Die Antwort kennt nur „Zillo“.

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