SHORT CUTS :: VON WOLFGANG DOEBELING
FORMIDABEL
Formiert in der texanischen Kapitale Austin und in den Nachtclubs Manhattans stilistisch gereift, klingen THE VALENTINE SIX, als probten die Tindersticks mit den Lounge Lizards eine Fusion aus abstraktem Blues und abstrusen Balladen. „The Valentine Six“ (Crippled Dick HotWax!) belehnt die New Yorker No-Wave, ohne je in die James-White-Schräglage zu kommen, und der träge, ein wenig nölige Gesang von Parker Valentine ist wärmeabweisend und wissend. Für unheilbare Stadtneurotiker.
Schauerlich verhallte Neandertal-Vocals und ein exemplarisch dünner Pappmache-Sound verleihen den CAVEGIRLS aus Hamburg einen Trash-Faktor siebenkommafünf. Mindestens. „Attack Of The 50 Ft. Cavegirls!“ (Avalanche/Swamp Room) bewegt sich stilsicher, also völlig stillos, zwischen Surfabilly und Fuzzbeat, und die Vox-Orgel heult so schröcklich wie der derangierte „Sänger“. Für Autisten und Autoerotiker. Die 10inch kommt mit Poster und Comic.
AKZEPTABEL
Unter anderem auch als lOinch erhältlich ist „Gotta Have It“ (Crazy Gator)von SPO-DEE-O-DEE, einem Rockabilly-Trio, das sich dem authentischen Fifties-Bop verschrieben hat, selten lärmig und trasby („I Don’t Like It“), meist beherrscht und cool wie auf dem äußerst gelungenen Cover von Johnny Hortons „Train With A Rumba Beat“. Die restlichen Tracks, alles Originale, sind sämtlich Genre-tauglich, aber nicht immer so zündend wie „Cool Down Annie“ oder der famose closing truck „Mama Won’t You“. A band to watch.
WAGON kommen aus St. Louis und weben auf ihrem zweiten Album „Anniversary“
(Glitterhouse) aus Fiedeln und Mandolinen, Dobros und Celli, Pedal- und Lap-Steel Guitars einen Sound-Quilt für beschauliche Stunden, Ton in Ton, wollig, wohlig, behaglich. Und ein kleines bißchen langweilig. Kammer-Folk für Sensibilisten.
Eine ganze andere Art Teppich, ungleich farbiger, wird von den SONS OF THE DESERT (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen US-Country-Band) aus London gewoben: Hier werden keltische mit arabischen Fäden verknüpft, in jazzige Farben getaucht und mit Folk-Mustern aus aller Welt verziert Tracy Shiels singt besser denn je, doch hat leider nichts auf „Greedy“ (Label Bleu/EFA) die Rasse ihrer ersten Single, einer fulminanten Wüsten-Punk-Variante von „Paint It Black“. Ein Wunder immerhin, daß der Nonkonformisten-Zirkel die Music-Biz-Wirren der letzten zehn Jahre überstanden hat. Charakter, nicht zu knapp.
WYNONNA, früher die jüngere, jedoch nicht hübschere und ganz gewiß nicht dünnere Hälfte des vorzüglichen Mutter-Tochter-Duos The Judds, hat neuerdings nicht nur physisch abgespeckt, sondern besinnt sich auf ihrem vierten Solo-Album „The Other Side“(Curb) auch musikalisch wieder mehr auf ihre eigentliche Stärke. Die liegt in einer voluminösen, ausdrucksstarken Stimme mit Blues-Substanz und darf, von Brent Mäher durchaus effektiv in Szene gesetzt, auf einigen Tracks glänzen. Der Rest ist Mainstream-Country, wie gehabt.
„Rock This Country!“ heißt progammatisch ein Song auf „Come On Over“ (Mercury), dem zweiten Album des kanadischen Crossover-Wunders SHANIA TWAIN. Country Music findet praktisch nicht mehr statt, alles ist Pop, alles ist kleinster gemeinsamer Nenner. Natürlich kann die Lady singen, hat mit ihrem Gatten Mutt Lange alle Songs geschrieben, formelhaft zwar, aber eingängig, und hier und da von George Martins Gypsy-Streichern auf Trab gehalten. Die Balladen dagegen sind reinster Sirup.
Man nehme ein Dire Straits-Tape, lösche Mark Knopflers Läufe und ersetze sie mit gestandenen Blues-Riffe und Slide-Einlagen. Das Ergebnis wäre „The Blue Café“ (Eastwest). CHRIS REA hat sich offenbar erholt von seiner Exkursion ins Pop-Operetten-Fach an der Seite von Shirley Bassey und besinnt sich wieder auf ereignislosen, aber keineswegs würdelosen Easy-Listening-Rock. Und auf seine Stimme, die noch immer wie feinkörniges Sandpapier schmirgelt, niemandem wehtut und niemanden bewegt. Neutraler geht’s nimmer.
Eher gewöhnungsbedürftig ist die Stimme von EMMA TOWNSHEND, Tochter von Pete, auf ihrer Debüt-LP „Winterland“ (Eastwest). Vergleiche mit Tori Arnos drängen sich auf, doch sind Townshends Songs dunkler. Vergleiche auch mit Fiona Apple, doch sind deren Lieder koketter und selbstvernarrter. Emma Townshend textet reflektJver, erwachsener, weltgewandter. Am Piano präferiert sie Moll, am Mikro agiert sie ohne große Emphase, singt stellenweise fast selbstverloren. „Who’s Baby“ hätte die Platte zuerst heißen sollen, dann hat Emma den Titel doch lieber anonymisiert. Wird ihr nichts nützen. The word is out.
Wie schon Kylie Minogue vor ihr, hat es die Australierin NATALIE IMBRUGLIA über die Soap-Serie „Neighbours“ bereits als Teenager zu einigem Ruhm gebracht, wie Kylie sieht sie zum Anbeißen aus, und wie Kylie hat sie die erste sich bietende Gelegenheit genutzt, vom TV-Karussell abzuspringen und ihr Glück mit Musik zu versuchen. Mit sensationellem Erfolg. Imbruglias Single „Torn“, ein subversives Stück Candy-Pop, hielt sich wochenlang in den britischen Top-Ten. Derartige staying power ist dort heutzutage rar, und hört man „Left Of The Middle“(RCA) mehr als einmal durch, kann man sich das Verdachts nicht erwehren, daß dieses Persönchen exakt weiß, wohin es will und wie es hinkommt. Alanis-Morissette-Fans werden sie zu schätzen wissen.
MISERABEL
Auch das altbekannte kanadische „Black Velvet“-Vollweib ALANNAH MYLES hat ein paar Tricks und Phrasierungen von Morissette abgeschaut, doch ist der größte Teil von „Arrival“ (El Dorado) MOR-Kitsch von bodenloser Banalität. Lachhaft, wie sie sich in Positur wirft und die wilde Mieze mimt, wo doch die Songs nichts hergeben außer einem müden Miau.
Prätention pur sind die Shooting-Stars der 90er Jahre am Heavy-Himmel, DREAM THEATER aus Long Island. „Falling Into Infinity“ (Eastwest) ist weniger pompös und verblasen als die Vorgänger, mainstreamiger auch und radiotauglicher, aber nur marginal erträglicher. Die Theatralik wurde reduziert, die Symbolik entschlackt, die Breaks entzerrt Was noch bleibt, ist Prog-Metal für dauergewellte Headbanger mit mittlerer Reife. Tempowechsel! Trockeneis! Testosteron! Eine rasante Veranstaltung.