Speech Debelle :: Freedom Of Speech

Die Rache der Londoner Rapperin: ein herrliches Wohlfühlalbum!

Heute wird ja jede Rap-Platte gleich als Statement darüber gelesen, wie es um den HipHop im Allgemeinen gerade so bestellt ist (was wiederum nur Leute interessiert, die sich gar nicht für HipHop interessieren). Wenn es nun also nach dem zweiten Album der 28-jährigen Londoner Rapperin Speech Debelle geht, dann – ist HipHop im Jahr 2012 super-intensiv und extrem unkrass, multi-vernetzt und mega-hippiesk, sendungsbewusst und locally thinking, atmosphärisch verhallt, aber unbekifft. Als ob das biestige Gemurmel der kleinen Fish-and-Chips-Kellnerin plötzlich zur Tirade wird, die sie einem direkt ins Ohr spuckt. Und dann fällt die Kulisse und man merkt, dass man die ganze Zeit in einer brennenden Kirche in Brixton saß, und die Kellnerin setzt sich auf eine riesige weiße Taube und fliegt weg. Na ja, so ungefähr.

Speech Debelle alias Corynne Elliot hat schon eine reichlich tragische Karriere erlebt, wurde 2009 für ihr Debütalbum hochgelobt, aber nur, bis sie den honorigen Mercury Music Prize gewann. Im sonderbaren Zirkelschluss wendete sich die öffentliche Meinung gegen sie, Platte und Konzerte floppten – es gäbe jetzt also viel zurückzuprügeln für die auferstandene Speech Debelle, sie tut es auch, im Echo-Jazzfolk-Rap „Angel Wings“, aber anders als gedacht. Trotz allem Ärger kämpfe man doch für dieselbe Sache, gesteht sie ihren Kritikern zu, im Flüsterselbstgespräch.

Ungefähr da liegt der Grundton dieses ganz erstaunlichen Rap-Albums: Im Schatten der gegenwärtigen Bedrohungen muss schonungslos ausgepackt werden, von allen. Von untreuen Liebhabern („X Marks The Spot“), von Londoner Riot-Brüdern und -Schwestern („Blaze Up A Fire“), passiven Armageddon-TV-Zuschauern („Collapse“) und natürlich von der Sprecherin selbst, die sich plappernd (und freiwillig!) in die herrlichsten Widersprüche verstrickt, immer wieder vom typischen B-Girl-Gestus in den nicht-öffentlichen Bereich hinüberwechselt, begleitet von Proberaum-Rockgitarren, Jazz-Schlagzeug und düsterem Salon-Piano. Speech Debelle klingt wie eine echte Band-Leaderin, nicht wie die jungen Laptop-Piraten, die sie in der Ode „Studio Backpack Rap“ besingt.

Dass die eingeweihten HipHopper das nicht gut finden, dürfte klar sein. Und auch die Kanye-West-Fans aus der Vorstadt werden ein schlechtes Gewissen kriegen, weil „Freedom Of Speech“ einfach zu gut klingt, um wahr zu sein: eine Feelgood-Platte, die davon erzählt, wie die zerknuspernde Welt vielleicht gerettet werden kann. Durch freie Rede. So einfach. (Big Dada/Rough Trade) Joachim Hentschel

Beste Songs: „Blaze Up A Fire“, „Collapse“

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