The Complete Motown No.1’s

„Hitsville U.S.A.“ hatte Berry Gordy prahlerisch über dem bescheidenen Firmensitz anbringen lassen – und das Haus, das er mit zwei Dutzend Künstlern und Songschreibern gebaut hatte, gibt nun dieser Sammlung den Rahmen. Freunde von Modelleisenbahnen werden für das Knusperhäuschen des Soul noch anderweitig Verwendung finden.

Zehn CDs und eine Statistik im Booklet (doch keine Laudatio!) dokumentieren chronologisch die Erfolgsgeschichte des Labels – die freilich in den Jahren 1960 bis 1966 besonders eindrucksvoll war. als noch die Single dominierte. Die Miracles. Martha And The Vandellas, Mary Wells, die Supremes, die Temptations und die Hot Tops hatten Hits in Serie – aber nur Stevie Wonder, Marvin Gaye und (bedingt) Diana Ross gelang der Wechsel zum Album-Format, für das sie noch in den 70er Jahren wesentliche Beiträge leisteten. „Please Mr. Postman“. „You Can’t Hurry Love“, „Stop! In The Name Of Love“, „Dancing In The Street“, „Heat Wave“ und „Get Ready“ gehörten schon bald zum Repertoire auch weißer Pop-Künstler und wurden immer wieder für die wundersamsten Interpretationen von so erstaunlichen Figuren wie Phil Collins bemüht. Funktionierten stets. Das Autoren-Trio Holland-Dozier-Holland war für die meisten Motown-Hits erster Güte verantwortlich, die das serielle Produzieren von Liedern zur Kunst erhoben – hier war es, entgegen der Binsenweisheit, eher der Song als der Sänger.

Mit Smokey Robinson. Gladys Knight & The Pips und den Jackson Five (neben Ross. Wonder und Gaye) hatte Motown nur eine kleine Truppe für die Siebziger, bis die Commodores zur Supergruppe avancierten und der kleine Michael Jackson auch solo reüssierte. Sänger wie David Ruffin und T. G. Sheppard wurden nie berühmt, und Rick James war kein Hit-Garant. So wurde Disco beinahe ausgesessen. Lionel Richie knüpfte an seine Triumphe mit den Commodores an und wurde mit „Can’t Slow Down“allgegenwärtig – nur übertroffen von Michel Jackson, der „Thriller“ allerdings nicht mehr bei Motown veröffentlichte. Mit dem Niedergang der Girl Goups und dem Heraufdämmern des HipHop verlor das Label geschwind an Bedeutung. In ähnlicher Weise wie das Studio-System in Hollywood nach 1967 war auch die Soul-Fabrik ein Anachronismus geworden: der große Marvin Gaye musste in den Siebzigern in Holland und Deutschland üble Gelegenheitsarbeiten verrichten, bevor er mit „Sexual Healing“ noch einmal aufglühte.

Geschniegelte Romeos mit Schlafzimmerblick wie El Debarge und Rockwell retteten mühevoll den Rest der Achtziger, und Boyz II Men schleppten das Label durch die Neunziger – bis Erykah Badu mit „Bag Lady“ kam, im Jahr 2000. Aber diese beispiellos talentierte Frau machte entgegen allen Erwartungen gar keine Karriere, trug komische Mützen und ließ sich nicht vermarkten.

Und Vermarktung, das war ja vier Jahrzehnte lang – neben dem seltenen Rohstoff Genie – das Material, aus dem das Haus immer wieder neu gebaut wurde.

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