The Master

Paul Thomas Andersons lang erwartetes, grandioses Scientology-Epos will sich nicht zwischen Sekten- und Epochenfilm entscheiden

Joaquín Phoenix, Philip Seymour Hoffman

Regie: Paul Thomas Anderson

Start: 21.2.

Paul Thomas Andersons „Scientology-Film“ hat sich wie ein aufziehender Sturm lange angekündigt. Gerüchte kursieren seit knapp einem Jahr, vor der Weltpremiere in Venedig gab es vereinzelte Sondervorführungen in speziell ausgerüsteten Kinos, und selbst Tom Cruise, der mit Anderson an „Magnolia“ gearbeitet hatte, soll im Vorfeld um seine Meinung gebeten worden sein.

Missfallensbekundungen sind nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Doch auf Konfrontation hat Anderson es offenkundig auch nicht angelegt. „The Master“ ist weder der Film, der das traditionell schwierige Verhältnis von Hollywood und Scientologie therapiert, noch beabsichtigt er, die gewachsene Zweckgemeinschaft leichtsinnig gegen die Wand zu fahren. Er hat auf den ersten Blick nicht einmal viel mit Scientology zu tun (auf den zweiten dann schon). „The Master“ sieht in seiner ganzen kinematografischen Pracht zunächst wie ein bis ins kleinste zeitgenössische Detail durchdachtes Porträt der frühen 50er-Jahre aus, in denen der Grundstein für die heute straff organisierte Sekte gelegt wurde. Er untersucht sozusagen den historischen Kontext, in dem es jemandem wie L. Ron Hubbard möglich war, eine solche Sekte zu gründen.

Vielleicht sollte man also erst ein, zwei Schritte zurücktreten, um das Gesamtbild in Ruhe zu betrachten. Für manche Filme und Filmemacher arbeitet bekanntlich die Zeit. Und eine historische Perspektive hat Paul Thomas Anderson mit „The Master“ zweifelsohne im Blick. Nach dem preisgekrönten Öldrama „There Will Be Blood“ hat er sich wohl endgültig von den kaleidoskopischen, Altman-artigen Vorstadterzählungen aus „Boogie Nights“ oder „Magnolia“ verabschiedet. „The Master“ schwelgt in großen Momenten wie ein klassisches Hollywood-Epos, das noch in Filmpalästen zu Hause war. Erinnerungen an eine vergangene Kino-Ära, wie das kommerziell nicht mehr gebräuchliche 65-mm-Filmmaterial, auf dem „The Master“ gedreht wurde. Der Film will zu keinem Moment verhehlen, dass er einer sterbenden Spezies angehört. Merkwürdig ist nur, wie kraftlos und taub die Nostalgie wirkt, die Anderson mit so viel technischem Aufwand und Liebe zum Detail heraufbeschwört.

Diese Benommenheit ist die mentale Kondition der Hauptfigur Freddie Quell (Joaquín Phoenix). Freddie ist wie so viele junge Amerikaner aus einem Krieg zurückgekehrt, den er persönlich verloren hat. Entlassen in eine Gesellschaft, die gerade damit beschäftigt ist, die Produktivkräfte des Krieges in ein neues Wirtschaftswunder umzumünzen. Doch der traumatisierte Freddie ist in dieses neue Amerika nicht mehr integrierbar – ein Drifter ohne Ziel, der sich, seiner ungelenken Motorik nach zu urteilen, sogar in seinem eigenen Körper fremd fühlt. Eines Nachts landet er auf der Yacht von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman). Dodd hat gerade eine Bewegung namens „Die Sache“ ins Leben gerufen, die über ein Produkt verfügt, das dem neuen Amerika für seine Reise in eine prosperierende Zukunft noch fehlt: Selbsterkenntnis. Verabreicht in Form eines kruden Glaubensbekenntnisses aus New-Age-Spinnereien, Westentaschenpsychologie, philosophischen Versatzstücken und obskurer Science-Fiction, das der Meister nachts am Schreibtisch ausheckt. Dodd nimmt Freddie unter seine Fittiche, will ihn zum Modellsoldaten seiner „Sache“ erziehen, aber der weiß mit seiner neuen Ersatzfamilie wenig anzufangen. Sein Verhalten bleibt sprunghaft, bis Dodd sogar die Bewegung und seine Ehe aufs Spiel setzt, um Freddie vor Schlimmerem zu bewahren.

Erstaunlich, mit welcher Grandezza Anderson diese überschaubare Geschichte inszeniert. Da segelt ein weißes Schiff unter der Golden Gate Bridge in den Sonnenuntergang, das Meer schimmert in unzähligen Blautönen, und die alten Kameraobjektive werden entstaubt, um die Gesichter von Hoffman und Phoenix in extremen Close-ups wie archaische Widescreen-Landschaften in Szene zu setzen. Jede Einstellung ist für die Ewigkeit gestanzt.

„The Master“ kann sich erst nicht so recht zwischen Sekten- und Epochenfilm entscheiden, und endet schließlich als trippiges Resozialisierungsdrama mit den Produktionsmitteln eines „Lawrence von Arabien“. Unbestritten ist Anderson ein weiteres Meisterwerk gelungen, wenigstens als formale Behauptung. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, die wahre Größe des Films zu entschlüsseln. andreas busche

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