The Matrix von Andy & Larry Wachowski :: ab 17. Juni

Die Racheengel tragen schwarz. Mit Sonnenbrillen, in langen Mänteln und polierten Springerstiefeln betreten sie ein Gebäude, strecken mit Maschinenpistolen das Sicherheitspersonal nieder, metzeln in einem brachialen Feuergefecht eine schwer armierte Polizeitruppe um und zünden schließlich im Fahrstuhl eine Bombe. Die Szene staumt aus dem US-Kassenhit „The Matrix“ und erinnert Kinokenner etwas an „Leon – Der Profi“ von Luc Besson. Andere wird sie ans Massaker von LittJeton gemahnen, bei dem zwei Teenager ähnlich bewaffnet und bekleidet ihre Schule stürmten, mehrere Menschen erschossen und Sprengsätze anbrachten. Auch obiges Filmmotiv, so jaulten Presse und Psychiater, habe die Täter animiert; neben Computerspielen und einer Traumsequenz im Jugenddrama „The Basketball Diaries“, in der Leonardo Di Caprio auf Schüler und Lehrer feuert. Die meisten Kinder können die Ebenen trennen, wenn sie am Bildschirm oder vor der Leinwand ausleben, was im echten Leben unmöglich bleibt. Manche klinken aus – und jeder ist einer zu vieL Von der Macht der Bilder und Computer und den Bildern in den Köpfen erzählt allerdings auch „The Matrix“. Nur nicht so, wie Psychologen und Pädagogen es sich wünschten. Die Brüder Wachowski lieben Waffen und waghalsige Schnitte und Steadycam-Fahrten, illustrieren also gewal tig die Umkehrung dessen, was im Kino mit der Adaption von Videospielen wie „Mortal Kombat“ begann. Als der Hacker Neo (Keanu Reeves) erwacht, ist er im Nirgendwo statt im Nirwana, doch erstmals ganz bei sich selbst. Wie Millionen anderer Leiber liegt er in einer mit Flüssigkeit gefüllten Schale, am Körper hängen Schläuche, am Hinterkopf hat er eine Kabelbuchse. Morpheus (Larry Fishburne), Führer eines Rebellenhaufens, erklärt die Wiedergeburt: Aliens hätten die Erde zerstört, würden Menschen als Nahrung züchten und während des komatösen Schlafs deren Wahrnehmung in ein Netz einspeisen, das Matrix heiße. Die Welt – ein Computerprogramm. Leinwand NEU IM KINOAm Anfang blinkt ein Cursor in der linken, oberen Ecke der Leinwand, über die dann Zahlen- und Buchstaben-Reihen fließen, aus denen sich der Titel zusammensetzt. Und so wie die Spezialeffekte und Kulissen von „The Matrix digital generiert sind, scheint auch die Story per Suchmaschine mit Links zu den Philosophien und Religionen sowie phantastischen Utopien und finsteren Futurismen aus Literatur und Kino erstellt zu sein. Fündig wurden die Wachowskis etwa bei „Alien“ und „Body Snatchers“ oder „Blade Runner“, „Total Recall“ und „Strange Days“, wo sich ebenfalls die Realität zwischen Datenströmen und Bildkanälen verschoben hat Aus „T2“ und „Men In Black“ konvertierten sie drei androide Superagenten. Und Reeves schmuggelte im Endzeit-Scie-fi Johnny Mnemonic“ schon Informationen als Chip im Kopf. Indem „The Matrix“ all diese Vorbilder vernetzt, reflektiert er auch das Verschwinden der Authentizität. Der Film ist selbst eine Festplatte: Seine Figuren können sich einloggen, Waffen und Kleidung beliebig wählen wie auf dem „Star Trek“-Holodeck, sich enorme Kung Fu-Kräfte einprogrammieren – und der letzte Schrecken ist, wenn bei den Kämpfen im Cyberspace aus der zurückgelassenen Körperhülle das Blut tropft. Wenn Morpheus, umgeben von einem weißen Nichts wie in „2001“, in einem Ohrensessel vor einem Fernsehgerät der Fünfziger sitzt, drängt in dieser Nostalgie seine Sehnsucht, die Virtual reality überwinden zu können. „Was ist denn Realität? Ein elektrischer Impuls im Hirn“, weiß er jedoch auch. WUle und Vorstellung sind hier Bits und Bytes, die in die Sackgasse führen. Wo Freiheit Illusion ist, wenn man sein Dasein in einem Vehikel aus Ufo und U-Boot wie bei Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“ fristet, denkt auch einer an Verrat, wofür er nur zurück will in die Matrix – aber reich. Das alte Lied und ein sarkastisches Spiel mit dem alltäglichen Realitätsverlust wie diese „Titanic“-Pointe: „Du wirst einen Toten lieben“, prophezeit eine Greisin die Erlösung. Das letzte Gefecht wird virtuell und virtuos ausgetragen, aber mit letztlich archaischer Action. Also, liebe Kids, bitte, bitte – nicht nachmachen! oliver hüttmann

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