To Die For von Gus van Sant
ab 14. Dezember Jeden Abend nach Spielfilmen und Serien schlägt im deutschen Fernsehen die Stunde der grauen Köpfe. Der ZDF-Souffleur Alexander Niemetz stochert im „heute-jornal“, der „Tagesthemen“-Märchenonkel Ulrich Wickert säuselt in der ARD mit Lesebrille, Dackelblick und bourgoisem Tonfall wie auf einer Wein-Auktion, zuletzt fuhrt Heiner Bremer wie ein Besinnungsloser durch sein RTL-„Nachtjournal“. Jan Hofer auf Pro 7 ist noch ein Knabe in dem Gewerbe, die sterilen „Nachrichten“ aber sehen bereits ziemlich grau aus. Unter ihren Maßanzügen, die auf dem Bildschirm wie Rüstungen anmuten, schwitzt die biedere Herrenriege eine Doppelmoral aus, die bereits Flecken auf ihren weißen Hemdkragen hinterläßt. Wickert, der sich für eine jüngere Kollegin von seiner Ehefrau scheiden ließ, gibt als Bestseller-Autor mit abgetippten Aphorismen in seinem „Buch der Tugenden“ den Apostel für Sittlichkeit und andere verlorene Werte. Niemetz erdreistet sich der Eitelkeit, nur „leicht ergraute und erfahrene Männer“ könnten „glaubwürdig“ Nachrichten im TV präsentieren. Bremer assistierte diesem Eifer des Kollegen mit seiner Präzisierung, „nur zu sehr aufgedonnerte Frauen lenken ab“. Mann-o-Mann. Bei Suzanne Stone (Nicole Kidtnan) würden Niemetz und Bremer feuchte Hände und trockene Gaumen bekommen und Wickert alle Tugenden ablegen. Die Blondine ist ein hot spot auf high keels und der Wetterhase beim lokalen TV-Sender WWEN. Sie haucht wie eine Sommerbrise, überstrahlt dabei jede Regenwolke und blickt wie die Märchenmuse aller Meteorologen. Mag das Barometer fallen, mit ihr steigen die Einschaltquoten – undihre Selbstüberschätzung. Zwar hat die berückende Bürgerstochter aus dem Kaff Little Hope, New Hampshire, in dem Studienfach Elektronische Medien graduiert. Die erste Lektion über die Praxis im Fernsehgeschäft erhält sie jedoch während ihrer Flitterwochen in Miami von einem leicht ergrauten und erfahrenen TV-Manager (George Segal). „Erfolgreiche TV-Frauen beginnen mit einer Referenz, in der steht, daß sie intelligent sind, Erfahrung haben im Fernsehjob, und… ganz wichtig“, er beugt sich vor und züngelt ihr ins Ohr, „sie einen Schwanz lutschen können, bis die Pupillen hervortreten.“ Suzanne ist pikiert: „Oh… oh nein, das glaube ich nicht. Das gibt es nicht.“ Er besorgt ihr die Referenz. „To Die For“ von Gus Van Sant („Drugstore Cowboy“, „My Own Private Idaho“) ist ein überdrehter cineastischer Blondinenwitz als sarkastische Gesellschafts- und Medien-Satire, und der Gedankengang funktioniert als Umkehrschluß. Suzanne ist das Zerrbild von Medien-Machismo und Männerphantasien, zugleich Vehikel für Ehrgeiz und Eitelkeit, Naivität und Narzißmus, Rollenspiele und Ruhm, Familienplanung und Familienehre, Doppelmoral und Desillusionierung, Tragik, Tod, Lüge und Liebe an sich. „To Die For“ ist aber auch ein Melodram und Psycho-Drama. Oft gibt es nichts zu Lachen. Mit kanarienvogelgelbem Mini-Kostüm stöckelt Suzanne ins Büro des fetten, schwitzenden WWEN-Inhabers Ed Grant (Wayne Knight) und schwatzt so lange auf ihn ein, bis er mit ihr die Wetterkarte schmückt. Schnell erreicht Suzanne provinzielle Prominenz und wird vom Erdkunde-Lehrer der High School zu Referaten eingeladen. Dort hängt sie eine Liste aus für ihre erste Reportage „Speak Out“ über problematische Jugendliche. Der schüchterne Jimmy (Joaquim Phoenix), der aggressive Russell (Casey Affleck) und die mollige Lydia (Alison Folland) tragen sich ein. Die drei Freunde, löjähriger white trash mit fettigen Haaren und abgenutzten T-Shirts von Metalbands, sind zugleich irritiert und fasziniert von dem plappernden TV-Pin-up. Und obwohl das Film-Material völlig verwackelt ist und Grant es nicht senden wird, verbringt Suzanne weiter Stunden mit dem Trio. Ihr Ehemann Larry (Matt Dillon), der im italienischen Restaurant seines Vaters (Dan Hedaya) arbeitet, nörgelt unbefriedigt über diese Betriebsamkeit. Er will sie im Hause haben und eine Familie gründen. Suzanne fühlt ihre traumhafte Karriere bedroht. Sie muß ihn loswerden. Eines Abends sind Jimmy und Lydia bei ihr. Suzanne schickt das Mädchen mit ihrem kleinen Köter zum Gassigehen, verfuhrt Jimmy und preßt ihm unter Liebesschwüren beim Fellatio das Versprechen ab, Larry zu meucheln. Mit Rüssel und Lydia überwältigt er Larry, als im Wohnzimmer gerade Suzannes Show läuft. Ihre roten Lippen scheinen Jimmy geradezu anzuspringen. Er feuert eine Pistole auf Larry ab. Suzanne sendet dem Sterbenden einen keuschen Seufzer hinterher. Dann ist alles vorüber. Besser hätte selbst Joachim Friedrichs selig nicht zum Wetterbericht überleiten können. Van Sant hat seinen Film als Mosaik aus Medien-Formaten wie soap opera, story, Show und Statements angelegt. Interviews wechseln mit Reportage-Bildern und Zeitungs-Schlagzeilen, Beteiligte und Bekannte kommentieren das Geschehen, die Eltern und Schwiegereltern treten gemeinsam in einer Talkshow auf. Als Suzanne nach der Tat die Kamerateams bemerkt, ordnet sie mit entrückter Freude ihre Frisur. Selbst bei ihrer Verhaftung posiert sie im Blitzlicht der Papparazzi. Nun ist sie ein Medien-Star. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber in den besten Szenen wirkt „To Die For“, als hätte Woody Allen „Natural Born Killers“ und „Serial Mom“ verbunden. Als Barbie-Puppe betört Nicole Kidman mit heißkalter Vielfalt. Allein für Matt Dillon bedeutet die Rolle des Pantoffelhelden mal wieder keinen Durchbruch. Vielleicht sollte er auf graue Haare warten. Ouver Hüttmann