Waterson:Carthy – Common Tongue

Um Mord und Maßlosigkeit geht es in diesen Liedern. Um Tod und Verderben, aber auch um Lust und die Launen der Natur. Ihr Aber mißt sich in Jahrhunderten, und ihre Helden sind liebeskranke Damen und ruchlose Wüsdinge, läufige Jungfern und rachsüchtige Riesen. Ort der Handlung ist das britische Empire, also gut und gern die halbe Welt.

Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, daß sich die first family of folk diesmal explizit auf die englische Song-Tradition beschränkt und die schottische wie irische außen vor läßt. Vom Folk-Purismus der alten Schule will der Clan der Watersons und Carthys ohnehin nichts wissen. Er halte es nicht für „desirable to set up musical border Checkpoints anywhere“, schreibt Martin Catthy in den Iiner Notes, eine unkeusche Erkenntnis für einen Mann, der sich seit bald 40 Jahren in Feldstudien und mit Forscherdrang um das nicht selten nur mündlich überlieferte Musik-Erbe Albions verdient gemacht hat, am meisten natürlich mit seinen eigenen Interpretationen dieses unendlich reichen Liedschatzes.

Und so kennen wir so manche der Ausgrabungen auf „Common Tongue“ bereits von Master Carmy. „Lowlands Of Holland“ etwa, eine Klage gegen Zwangsrekrutierung, findet sich schon auf seinem „Second Album“ (1966), hart und spartanisch. Die warme, charakterfeste Stimme seiner Gattin Norma Waterson nimmt dem Song ein wenig von seiner Rigidität und historischen Verbürgtheit, aktualisiert ihn aber durch Einfühlsamkeit und das menschliche Moment schlechthin.

Vieles auf „Common Tongue“ st, jenseits allen Tiefgangs, einfach nur atemberaubend schön. Wenn eine (möglicherweise durch ihr letztjähriges Pop-Album) verjüngte und beschwingte Norma Waterson durch „Rambleaway“ walzert oder mit der gemeinsamen Tochter Eliza für „Meeting Is A Pleasure“ die wunderbarsten Harmonies webt, süß, nicht süßlich, herb, nie harsch – a pleasure indeed. Elizas Fiddle-Spiel ist sicherer geworden, souveräner, und dasselbe gilt für ihren Gesang. Der ist tonlos für das todgeweihte und gänzlich illusionslose „Maid Lamenting“, stolz und abgeklärt für das epische „Claudy Banks“, das Shirley Collins auf ihrem Meisterwerk „No Roses“ einst zwar ebenso unbeugsam intonierte, aber auch stets mit Rücksicht auf den schneidenden Folk-Rock ihrer famosen Albion Country Band.

Das zweite Waterson:Carthy-Album mag verbindlicher sein und zugänglicher als das erste, bunter und nicht so streng, und sicher nicht so wichtig für die Folk-Gezeiten; aber wie „Waterson:Carthy“ vor drei Jahren ist es ein Füllhorn wunderbarer Musik und ewig gültiger Worte über die cold hard facts of life. Die Nuancen machen den Ton. Norma Watersons frivoles, nachgerade anzügliches Innuendo in „Flash Company“, neben dem June Tabors Version auf „A Cut Above“ sittsam und stubenrein klingt. Oder der mehrstimmige Satzgesang in „Stars In My Crown“, einer Baptisten-Hymne, der selbst aufrechte Atheisten Wie yours truly in die Knie zwingt.

Folk music: past, present and future.

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