Rock am Ring, der Sonntag: Foo Fighters – eine der perfektesten aller Rock-Shows?

Letzte Festivaltage werden immer von Aufbruchsstimmung beherrscht, und auch Rock am Ring bildet da keine Ausnahme. Während die ersten ihre Zelte und die weiteren Campingutensilien zusammenpacken, ist das musikalische Programm auf den drei Bühnen so ekklektisch und vielfältig, wie bereits die Tage zuvor. 

Kindheitsträume werden wahr

Auf der dritten Bühne im Zelt stehen um zehn vor vier AnnenMayKantereit auf der Bühne. Die Kölner Band um Sänger Henning May vermengt melodischen und tanzbaren Indie mit Folk, Blues und Americana – schmachtende Mexico-Trompete inklusive. Liebeslieder an den Vater („Oft gefragt“) und Texte, die über die Angst vorm Älterwerden berichten („21, 22, 23“), wirken zunächst deplaziert im Rahmen eines großen Rockfestivals, doch die Stimmung im Alternatent ist hervorragend. Obwohl der Klang matschig und breiig und die Gitarren viel zu laut durchs Zelt schallen, gefällt es dem größtenteils weiblichen Publikum. Dennoch wirkt die junge Band bemüht – und May nimmt man seine Pose als Nachwuchs-Tom-Waits, der den Weltschmerz bereits im jungen Alter mit Löffeln gefressen hat, nicht recht ab.
Unterdessen beschallt die Nu-Metal-Band Papa Roach draußen das bestens gelaunte Publikum. Für manche scheint ein Kindheits- und Jugendtraum in Erfüllung zu gehen, Songs wie „Last Resort“ aus voller Kehle mitzugröhlen. Wenigstens nimmt sich die Band um Frontmann Jacoby Shaddix mit ihren Ramones-Zitaten und einem Bühnenoutfit, das unverkennbar von den frühen 2000ern geprägt ist, nicht allzu ernst. Parallel dazu spielen die Südlondoner von Bastille auf der Hauptbühne. Während ihres Auftritts, den sie mit ihrem wohl bekanntesten Song „Things We Lost In The Fire“ eröffnen, plagen sie technische Pannen, nicht funktionierende Samples und noch allzu holprig einstudierte Songs ihres neuen, noch nicht erschienen zweiten Albums. Das hindert die Zuhörer jedoch nicht daran, sich bei den Wohlfühl-Refrains und „Ohoho“-Hymnen entspannt vor der Bühne zu sonnen.
Als Höhepunkt entpuppen sich Lamb Of God, die gegen halb sechs auf der Crater Stage spielen. Trotz ihrer teils außergewöhnlich komplexen Riffs lädt ihre Musik gleichermaßen zum Kopfnicken, wie zur wilden, unkoordinierten Bewegung ein. Dadurch, dass Sänger Randy Blythe zwischen kräftigen Shouts und dumpfen Growls wechselt, bleibt die klangliche Abwechslung nicht auf der  Strecke. Optisch ein echter Hingucker ist übrigens Bassist John Campbell, der mit der stoischen Gelassenheit eines Familienoberhauptes im Greisenalter sein Instrument bedient.

Blutleere Beatsteaks

Die Beatsteaks hingegen, die quasi den Support für den „Main Act“ Foo Fighters übernehmen dürfen, bleiben, vieler einprägsamer Zeilen und schöner Melodien zum Trotz, etwas blutleer. Arnim Teutoburg-Weiß, in buntem Charlie-Sheen-Gedächtnishemd, verliert sich in hohlen Posen und planlosen Gesten in Richtung Publikum – und warum Zweitschlagzeuger sowie Multiinstrumentalist Dennis als Pantomime verkleidet auftritt, entbehrt jeglicher Logik sowie Komik. Nach zweifelhaften Coverversionen, darunter „Sabotage“ der Beastie Boys, und einem circa anderthalb Stunden langem Set, haftet ihrer Darbietung ein schaler Beigeschmack an. Da vertreiben sich die Leute lieber die Zeit damit, wild Wasserbälle in die Luft zu boxen.
Von der reinen Spielzeit her gibt es derweil keinerlei Zweifel, wer der wahre Festival-Headliner ist. Die Foo Fighters stehen am Sonntagabend für über zwei Stunden auf dem Programm. Bereits Dave Grohls erster Auftritt verdeutlicht, wieso: kein minutenlanges Intro, kein mysteriöses Filmchen – Grohl spielt einen Powerchord, kommt schreiend auf die Bühne gerannt und schon geht eine der wohl makellosesten Rockshows unserer Zeit los. Bei den Hits – „Everlong“, „The Pretender“ und „Learn To Fly“ sind alle unter den ersten fünf Songs – reckt der bärtige Musiker, in ein rot-schwarz-kariertes Holzfällerhemd gekleidet, immer wieder den Zeigefinger nach oben und zur Seite, stolziert den eigens für ihn aufgebauten Catwalk, der weit in die Menge hineinragt, hinab und kreischt mehr, als dass er singt.

Endlose Gitarrenduelle

Die Band, die vom brillanten Drummer Taylor Hawkins zusammengehalten wird, lässt ebenso wie Grohl kein Rockklischee aus – aber die Masche funktioniert als ironisches Spiel. Bei der Mitgliedervorstellung wird munter durch die Musikgeschichte gecovert – aber immer nur die erste Hälfte der jeweiligen Stücke angespielt. Nach einer überaus gelungenen Akustik-Einlage, während der Grohl alleine „My Hero“ intoniert, taucht die komplette Band plötzlich in der Mitte des Laufstegs auf – Hebebühne macht’s möglich. Noch dazu kann sich die Konstruktion im Kreis drehen, sodass jeder mal in den Genuss kommt, die Musiker von vorne zu sehen. Sie gratulieren Dave Catching, dem Gitarristen von Eagles Of Death Metal, zum Geburtstag, laden ihn zum Endlos-Jam über „Stay With Me“ der Faces ein und fühlen sich bei endlosen Gitarrenduellen besonders wohl. Und spätestens als Grohl das Publikum dazu auffordert, selbst eine Band zu gründen – er würde dann auch einsteigen -, ist spürbar, dass die Foo Fighters Musik wirklich leidenschaftlich lieben.
Nach einigen Klassikern der frühen Alben (herausragend: „Best Of You“) und etliche Gänsehaut-verursachenden Gitarrensoli später müssen dann aber auch die Foo Fighters in den wohlverdienten Feierabend. Glücklich und erhaben, von Leidenschaft erfüllt, kehrt man entweder zu seiner Behausung zurück. Oder geht zu Slipknot, die auf der Bühne nebenan ihre Parolen gen Nachthimmel prügeln. Wer friert, stürzt sich zu „Psychosocial“ in die Moshpits vor die Bühne, wer es ruhiger angehen lassen möchte, bleibt hinten und genießt das Spektakel der maskierten Dämonen, die in einem Bühnenbild agieren, das direkt aus der Hölle zu kommen scheint, per Leinwand. Was sonst noch passiert ist? Motörhead haben mal wieder „Ace Of Spades“ gespielt und Lemmy hat den Gig durchgehalten, ohne vornüber von der Bühne zu fallen. Auch solche Kleinigkeiten sollte man zu schätzen wissen.
Was vom Wochenende bleibt, ist viel Positives. Die gute Stimmung, der mitunter seltsam anmutende, aber trotzdem jederzeit funktionierende Stilmix und die neue Örtlichkeit – so zufrieden, wie sich die Fans zeigten, zeigte sich auch Marek Lieberberg, der am Sonntag auf einer Pressekonferenz ankündigte, auch im nächsten Jahr mit Rock am Ring nach Mendig zurückkommen zu wollen. So sollten sich die Fans schon jetzt das Wochenende vom 3. bis zum 5. Juni 2016 freihalten – Rock am Ring 2016 wird hoffentlich wieder so schön werden wie dieses Jahr.
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