ROLLING STONE Guide: Manic Street Preachers

Vor 27 Jahren erschien „Everything Must Go“, das wichtigste Album der Manics. Eine Werkschau

Essenziell

The Holy Bible (1994)

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Das Vermächtnis des 1995 verschollenen, 2008 für tot erklärten Texters und Punks der Band, Richey Edwards. Ein missverstandener Feingeist: „I am an architect/ They call me a butcher“, heißt es in „Faster“. Edwards identifizierte Bulimie als unterschätzte Krankheit des Jahrzehnts: „I want to be so skinny that I rot from view“ („4st 7lb“). Fürs nächste Album plante er einen Sound, der The Velvet Underground und Industrial vereint. Nach seinem Verschwinden wurde das übrig gebliebene Trio stattdessen zu einer sehr guten Popband.

Everything Must Go (1996)

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Ihr heiß geliebtes Album. Dabei standen schon mit der ersten Single alle Zeichen auf Konfrontation. „A Design For Life“ spiegelt das stark im britischen Pop verankerte Bedürfnis, Herkunft zu betonen. Selten klang Unterschicht so prächtig: „Libraries gave us power/ Then work came and made us free.“ Während das Orchester anschwillt, singt James Dean Bradfield davon, sich mit einer zerbrochenen Flasche das Gesicht zu zerkratzen. Nach Edwards’ Verschwinden wagten sie den Sprung an die Öffentlichkeit erst wieder, als der Slot als Oasis-Vorband gebucht war: 1996, auf dem Höhepunkt des Britpop. Nur so lässt sich erklären, dass die Manics zumindest in jenem Jahr in die Bewegung eingemeindet wurden.

This Is My Truth, Tell Me Yours (1998)

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Lohnend

Lifeblood (2004)

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Der Misserfolg des Synthiepop-Albums trieb die drei in eine Sinnkrise. Trennung stand im Raum. Vielleicht reproduzierte Tony Visconti für sie nicht so deutlich wie erhofft Bowies retrofuturistischen „Low“-Sound. Aber das einzige experimentelle ihrer 13 Alben lässt Raum für Electro-Flächen („Always/Never“) und so viele Gesangsleerräume, dass Bradfield nie schöner singen konnte als dann, wenn er wieder vors Mikro durfte. Als SingleB-Seite wurde „Automatik Teknicolour“ versteckt, ihre eigentliche Zielrichtung: eine (etwas zu deutliche) Hommage an New Order und Kraftwerk.

Know Your Enemy (2001)

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„Kenne deinen Feind!“ Sie kannten ihn aber nicht. Das macht die auf den „This Is My Truth“-Welterfolg folgende Platte gerade so reizvoll. Waren sie noch Punk? Oder nur noch Pop? Die Vorabsingles erschienen parallel und offenbarten den Widerstreit: „Found That Soul“ war kurzer Garage-Rock, „So Why So Sad“ zitierte Sonic Youth zu Beach-BoysHarmonien, im Video rannten Soldaten über einen paradiesischen Urlaubsstrand. „Miss Europa Disco Dancer“ ist einer ihrer göttlichsten Songs – würde Nicky Wire ihn nicht mit „Braindead motherfuckers!“Rufen zerstören. Sie taten so, als bräuchten sie ihre Fans nicht, dabei kennt Wire jede einzelne ihrer Chartpositionen auswendig. Von da an konnte es nur noch nach Havanna gehen. Dort führten sie die Platte vor Publikum auf, darunter auch El Comandante.

Journal For Plague Lovers (2009)

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Ein spektakuläres Experiment. Aus dem Manuskriptnachlass von Richey Edwards griffen die Manics sich die schwierigsten Fragmente heraus und konstruierten drum herum ihre Lieder. Sie hatten selbst zu entscheiden, ob aus Titeln wie „Doors Closing Slowly“ Akustikballaden oder Punknummern werden sollten. Feingefühl war nötig, denn auch wenn Edwards als Musiker nicht prägnant war – als Ideologe der Band war er es natürlich schon. Wie singt man „Oh, Mummy, what’s a sex pistol“? Stücke über Persönlichkeiten wie Jackie Collins oder das genmodifizierte Schaf Tracy erschienen 2009 wie Zeitkapseln – es waren ja die Themen, die den Gitarristen 1995 beschäftigten, bevor er verschwand.

Resistance Is Futile (2018)

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Ab den Zehnerjahren hatte die Band eine todsichere Formel gefunden, mit extrem eingängigem, aber wenig herausforderndem Material im Gespräch zu bleiben. Auch das macht den „Widerstand zwecklos“. Aber sie sind nun mal Meister der (Selbst-)Referenzen, weil sie die Erinnerungen an Originale verblassen lassen: „International Blue“ ist eine Kopie von „Motorcycle Emptiness“ – und dennoch einer ihrer zehn besten Songs. „Dylan & Caitlin“ – der einsichtige Wire schickte es selbst voraus – ist eine Neuerzählung von Elton Johns „Don’t Go Breaking My Heart“. „People Give In“ eine Gospelmesse, wie von … Nein, diese Hymne haben sie sich wirklich komplett selbst ausgedacht.

Ergänzend

Generation Terrorists (1992)

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„Motorcycle Emptiness“ war der Hit, aber die restlichen 17 Songs ihres Debüts eine charmante, wenn auch nicht immer gelungene Aufarbeitung von Wundern der Jugend. Reminiszenzen an Guns N’ Roses („Slash ’N’ Burn“), und bei „Little Baby Nothing“ singt Pornostar Traci Lords mit.

Futurology (2014)

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Bowie und Berlin haben die Band nie losgelassen. Im Grunde wie „Lifeblood“ mit mehr Sequencer-Störgeräuschen, dazu eine etwas ziellose EU-Kritik mit Nina Hoss („Europa geht durch mich“) und einem Einsatz des Berliner Kneipenchors („Misguided Missile“), jenem hippen Gesangsverein, für den gute Laune wichtiger ist als Perfektion.

Schwächer

Postcards From A Young Man (2010)

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Für Slogan-Spezialist Nicky Wire „unser letzter Versuch der Massenkommunikation“. Aber die euphorisch intonierten Hymnen klingen eher, als hätte eine KI den Backkatalog der Band neu zusammengebastelt. „A Billion Balconies Facing The Sun“ ist exemplarisch für den Murks: Mal wieder ein brillanter Titel, beim Schriftsteller J. G. Ballard entliehen, das Lied selbst BoogieWoogie-Rock mit Bradfields zunehmend bärigem Timbre.

Film

Louder Than War

Es wird laut werden, sagten sie. „Lauter als Krieg kann es nicht sein, oder? “, gab Fidel Castro zurück. Er musste es ja wissen. Als erste westliche Rockband traten die Manics in Havanna auf. Der kubanische Trompeter Yasek Manzano Silva begleitete sie, letzte Zugabe war Chuck Berrys „Rock & Roll Music“.

Preziosen

Raritäten und Obskuritäten

„This Is The Day“

Der The-The-Klassiker hatte eine Coverversion längst verdient. Diese hier setzt Matt Johnsons melancholischer Betrachtung des Älterwerdens volle Zuversicht entgegen.

„(Feels Like) Heaven“

Haben Sie bereits beim Ablesen des Titels mitgesungen, ne? Ertappt! Fiction Factory kennt aber keiner. Das Cover klingt wie ein Manics-Original.

„The Girl From Tiger Bay“

Shirley Bassey stammt auch aus Wales, diese Komposition für sie war Ehrensache.

„Some Kind Of Bliss“

1997 drohte Kylie Minogue mit dem Flop-Album „Impossible Princess“ das Karriereende. Auch dieser Britrock der Manics riss es nicht raus.

„Alien Orders/Invisible Armies“

Hinter dem marschierenden Instrumental verbirgt sich eine Verneigung vor Pink Floyds „Breathe“.

Together Stronger (C’mon Wales)“

„When Gareth Bale plays, we can beat any side“ – beinahe. Erst im Halbfinale der Euro 2016 wurde Wales gestoppt.

„Horses Under Starlight“

Drummer Sean Moore ist auch ein begabter Trompeter. Wie auf diesem Instrumental, das als B-Seite den seltenen Sprung in eine Live-Setlist schaffte.

„Heyday Of The Blood“

Ihre beste B-Seite bezieht ihren Namen von dem Waliser Schriftsteller Geraint Goodwin und dessen gleichnamigem Roman (nur mit „of“ statt „in“ im Titel).

„Too Cold Here“

B-Seite von „Revol“ – und eine Mischung aus zwei Akustiksongs von Guns N’ Roses: „Patience“ und „One In A Million“.

„Close My Eyes“

Mit „The Masses Against The Classes“ gelang der Band im Jahr 2000 ihr zweiter und letzter Nummer-eins-Hit auf der Insel. Diese B-Seite ist Nicky Wires Eingeständnis der Kapitulation vor dem Erfolg, mit dem sie selbst nie gerechnet hatten. Seine Reaktion auf zu viel Aufmerksamkeit: „Augen schließen!“

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