Schulmädchen-Akkord, Teil 1: Pannen machen sexy: DIE ÄRZTE und ihre lange „MTV Unplugged“-Nacht

Vorn an den Fahrradständern wird wild geknutscht, Wachsmalkreide-Plakate grüßen, aus dem Spalt zwischen den Glastürflügeln dringt Essigreiniger-Flavour, denn ein Albtraum ist wahrgeworden: Wir sind zurück in der Schule und müssen uns auch noch anstellen, um reinzukommen.

In der „Rock’n’Roll Realschule“ (Motto und Erstverwertungstitel), wo Die Ärzte ihr „MTV Unplugged“ aufzeichnen, kann man Abitur machen – das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hamburg (im Ländervergleich der PISA-Ergänzungsstudie: hinteres Drittel) hat sich aus dem Bewerberfeld von 700 Schulen als Sieger herausgeschält, und weil nur 300 Leute in die Aula passen, muss die Selektion an der Tür scharf sein. Der Blick auf die Liste, das schwarze Einlassbändchen. Warum kein blaues? „Weil Sie kein Fan sind!“ sagt die Frau – oh Gott, sieht man das? Nein, griesgrämige Journalisten sollen nur nicht in der ersten Reihe sitzen, kommt ja alles im Fernsehen. Sogar Wiglaf Droste, der sicher auf der „Fans“-Liste steht, trägt schwarz am Handgelenk. Er erklärt höflich hüstelnd, dass er dank dieses Zugeständnisses seine „Begleiterin“ mit hineinbringen durfte.

Es sind genau die Bänke, auf denen Schulgottesdienste ausgesessen werden. Die Arzte haben motorisierte Bürostühle auf der Bühne, als erstes kommt in roter Schuluniform Bela B. vorgefahren und singt das fast vergessene Früh-Stück „Tittenmaus“. Hier klingen die Lieder der Arzte endlich so, wie sie eh meistens gespielt werden, im Zeltlager und bei Schülerpartys, wenn der Klassen-Gitarrist das Instrument nimmt: „Sommer, Palmen, Sonnenschein“, „Hurra“, „Blumen“. Das noch ungehörte „Monsterparty“, „das Lied, wegen dem ihr die CD kaufen sollt“, sagt Farin Urlaub, der im Lauf des langen Konzertes noch lustiger werden wird.

Denn die immer absurderen Wendungen, die der Abend nimmt, stacheln die Band kreativ an. Für lähmende Unterbrechungen, wenn die Kameramänner Filme wechseln, improvisieren sie ein Cowboy-Lied, verarbeiten jeden Bühnenarbeiter-Einsatz in musikalische Pausenfüller und beginnen gar mit dem Harakiri, durch mutwillige Gags selbst die Aufzeichnung zu stören, wenn sie ein Lied wegen kleiner Patzer eh schon zum dritten Mal spielen müssen. Die besten Szenen, sie werden fehlen im TV und auf DVD.

Bei „Westerland“ kommt das 30-köpfige Schulorchester aus der Deckung, ein kecker Mädchenchor tritt auf, das obskure „Mk dem Schwert nach Polen, warum Rene?“ wird so zum tearjerker. Vier Stunden sind durch, der Produzent lässt noch ein paar Songs wiederholen und die Leute, gerade die mit den blauen Bändern, müssen noch mal klatschen wie vorher. Draußen, wo man rauchen darf, steht immer noch das nette Punkmädchen ohne Ticket: Alles abgekartet, sagt sie, Arzte-Rod kenne den Musiklehrer und habe die Schule gewinnen lassen. Drinnen spielen sie „Schlaflied“. Es ist indiziert Es wird wohl auch nicht auf der DVD sein.

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