Serenaden der Straßenecke

Meist waren es Schwarze und Immigranten, die R&B, Gospel, Belcanto und Rock'n'Roll in den frühen 50er Jahren zu dem immens erfolgreichen Vokal-Stil Doo-Wop verschmolzen

Was tun, wenn man der Liebsten ein Ständchen bringen oder das Herz einer Angebeteten mit musikalischen Mitteln erweichen möchte, Instrumente aber weder besitzt noch bedienen kann? Man macht aus der Not eine Tugend und vertraut auf den Zauber der Stimme. Der sich in harmonischem Wettstreit mit anderen Stimmen verlässlicher entfaltet. Eine Erkenntnis, die in den frühen 50er Jahren rasend um sich griff, vor allem unter sozial nicht eben auf Rosen gebetteten Jugendlichen schwarzer Hautfarbe. Mancherorts wurden die begehrten, weil belebten Straßenecken für die Minnesänger so knapp, dass Blut floss. Doo-Wop stiftete Identität durch Abgrenzung, fächerte sich in Szenen und Stile auf, die in ihrer Summe freilich ein gigantisches Geschäft versprachen.

Ein Versprechen, das in der zweiten Hälfte der 50er eingelöst wurde, als weiße Gruppen die Stilpalette erweiterten und für Akzeptanz jenseits des Rhythm & Blues-Marktes sorgten. Meist Kinder italienischer oder puertoricanischer Einwanderer, die sich in den Tunneln der Subway herumtrieben auf der Suche nach dem perfekten Echo, und deren Belcanto und hispanisches Rhythmusgefühl ebenso Eingang fanden ins Doo-Wop-Vokabular wie Rock’n’Roll.

Pioniere wie die Orioles aus Baltimore oder die Five Royales aus North Carolina hatten ihre Inspiration noch aus Jazz und Gospel bezogen und einen hochkonzentrierten, intensiv wirkenden Stil destilliert, den so manche nachfolgende Gruppe dann verpanschte und bei Bedarf mit blassem Pop verdünnte. Die Diamonds und Crewcuts, beide aus Kanada, spezialisierten sich auf die verharmlosung von R&B-Vorlagen, etwa der Willows aus Harlem, der G-Clefs oder der Heartbeats, mit riesigem Erfolg. Aus Schwarz mach‘ Weiß. Was sich durchaus auch mal andersherum als praktikabel erwies. So wurde das packende „You Cheated“ von den weißen Slades aus Texas erst zum Hit, als die schwarzen Shields aus Kalifornien den Song dezenter darboten.

Überhaupt begann ab 1957 der Gegensatz zwischen den Küsten eine größere Rolle zu spielen. In Sachen Härte und Raffinesse lag die Ostküste vorn, während dem Westküsten-Doo-Wop eine gewisse Unverbindlichkeit kaum abzusprechen ist, „Im Osten haben sie tolle Harmonies und sind musikalisch schwer auf Draht“, so urteilte Bandleader Johnny Otis, „daneben klingen die Penguins, die Medallions und all die anderen Gruppen von der Westküste leblos.“ Sonne wärmt eben nur, das Leben in den Slums erzeugt Reibungshitze

DIE MUSIKINDUSTRIE WUSSTE

beides zu nutzen. Man war auf eine Bonanza gestoßen und teilte die Schürf rechte unter sich auf. Doch erwies sich die Transformation eigensinniger und nicht selten rebellischer Sangestalente in unauffällig funktionierende als erheblicher Unsicherheitsfaktor. Weshalb man sie unter die Aufsicht bewährter Songschreiber, Arrangeure und Produzenten stellte, mit den Pop-Charts als Zielvorgabe. Das zeitigte jede Menge einprägsamer Singles, die sich entsprechend leicht unter die Leute bringen ließen, domestizierte den Doo-Wop aber und veränderte ihn bis zur Unkenntlichkeit. Die keimfreie Perfektion der Platters, der kalkuliert romantische Soul der Drifters, die amüsanten Streiche der Coasters-. kommerzielle Errungenschaften des Doo-Wop, auf Kosten seiner Unverwechselbarkeit. Andererseits: Hätte Jerry Wexler die Drifters nicht gezwungen, „Under The Boardwalk“ aufzunehmen, wäre dieser Ausnahme-Song vermutlich weder uns noch den Stones je zu Gehör gekommen. Und hätten die Herren Leiber und Stoller für die Coasters nicht Hits am Fließband geschrieben, müssten wir wohl nicht nur auf „Poison Ivy“ verzichten. Aufzuhalten war die Evolution des Doo-Wop ohnehin nicht. Danny & The Juniors vermengten ihn mit Rock’n’Roll, Billy Ward ließ seine Dominoes mit gospeliger Inbrunst jauchzen, Frankie Lyman & The Teenagers tönten forsch und frühreif, und Dion & The Belmonts standen bei aller Scat-Hibbeligkeit für lässige Coolness.

Noch bis zum Ende der 60er Jahre fand Doo-Wop-informierter, mehrstimmiger Satzgesang auch in den Charts noch statt. Die Beach Boys bezogen ihre Harmonies nicht zuletzt von den kalifornischen Four Preps und Fleetwoods, während die Four Seasons gar selbst mit Doo-Wop begonnen hatten, in New Jersey, als die Four Lovers. Die 70er? Showaddywaddy.

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