Shitstorm-Skater

Erregungswellen im Internet folgen sehr eigenen Regeln: Ponyfrisuren tragende 40-Jährige lassen sich leicht provozieren, über sexistischen Rotz empört sich aber kaum jemand

Tout L’internet regt sich über einen Artikel im Frauenmagazin „Brigitte“ auf, in dem sich eine Kolumnistin despektierlich über längst er­wachsene Männer äußert, die immer noch Skateboard fah­ren und dabei „eine schräge Pony-Frisur tragen, nie lächeln und nach der Party von letzter Nacht riechen“. Erstens: Natürlich lächeln die nie, denn wenn man am Abend vorher saufen war, muss man sich beim Zur-Arbeit-Skaten am nächsten Morgen schon ein bisschen auf den Gleichgewichtssinn konzentrieren, das steckt man nicht mehr einfach so weg wie früher. Zweitens: Habe neulich zufällig ebenfalls konzentriert an der Shitstormproduktion gearbeitet, indem ich mich darüber aufgeregt habe, dass im Modemagazin „Instyle“ eine unfassbar rassistische Kolumne über „russische Schlampen, die uns die Männer wegnehmen“ erschienen ist. Aber irgendwie stürmte es kaum. In der Onlinepräsenz der „Instyle“ gibt es nämlich keine Kommentarmöglichkeit, sodass ich mich ganz altmodisch in einer Tageszeitung echauffieren musste. Und was auf Papier steht, kratzt bekanntlich weniger. Damit lässt sich kein Sturm auslösen, höchstens eine sanfte Brise.

Zudem haben männliche erwachsene Skater statistisch gesehen öfter stressfreie, zigarettenpausendurchwachsene Officejobs als weibliche, aus Russland stammende Modefans. Darum ist die Shitstormwahrscheinlichkeit bei gemeinen Skaterartikeln größer als bei den üblichen Sexismen und Rassismen gegen hübsche Russinnen. Die Konsequenz daraus wäre, beim nächsten Shitstormwunsch außer auf die Wahl des Mediums unbedingt darauf zu achten, dass man Menschen provoziert, die genug Zeit haben, darauf zu reagieren. Das wären zum Beispiel Flugzeugkapitäne, die viele Überseeflüge absolvieren: Schließlich muss man die acht Stunden, die man via Autopilot über dem Atlantik schwebt, auch erst einmal füllen. Mit Onlinepoker, Schlafen, Nägellackieren, an die Fluglagenanzeige einen Blu-ray-Player anschließen und „Flight“ mit Denzel Washington als alkohol­abhängigem Piloten gucken, Facebook-Messages – „fliege gerade selbst nach Paris“, zusammen mit einem Handyfoto von den Wolken 4000 Meter über der Pigalle (im Cockpit wird es ja wohl WLAN geben). Wenn dann eine kleine Journalistin in irgendeinem interaktiven Medium einen miesepetrigen Artikel über faule Piloten veröffentlicht, die Stewardessen auf den Po klatschen, und dieser Text per Ausschnittsdienst unter die Augen der umtriebigen Pilotenvereinigung gerät, dann gnade ihr Gott.

Genauso hoch im Kurs der Shitstormwahrscheinlichkeit sind garantiert Sicherheitsleute, die nachts in börsennotierten Unternehmenssitzen hocken und die Monitore überwachen. Ich wette, man könnte mit einer klitzekleinen, gelogenen Glosse à la „Warum Securitytypen immer Schlägerfrisis tragen“ ganz schön etwas lostreten. In den letzten Monaten durfte man zudem lernen, dass jegliche Aussagen über die Piratenpartei sich außerordentlich gut für Shitstorms eignen. Und nach einer persönlichen Erfahrung mit einer sogar positiven Kritik zu einem herrlichen Iron-Maiden-Film möchte ich noch hinzufügen, dass auch Hardrockfans ziemlich versierte Shitstormer abgeben, obwohl man ja denken sollte, sie hätten nichts im langhaarigen Kopf. Ups, mal sehen, was jetzt passiert.

Ganz bestimmt keine derartigen Reaktionen gibt es dagegen bei bösen Glossen über Krankenhausärzte, Stewardessen, Pfaffen, Senioren und Adlige (oh, was habe ich schon versucht, Adlige zu provozieren! Die sind wahrscheinlich alle in einem blaublütigen Intranetz und stürmen per Büttenpapier mit Wasserzeichen!). Diese haben zu viel zu tun, jene eben kein Internet.

Die Geschichte mit den uralten Skatern ist jedenfalls eher einen Respektsturm wert: In einer Frauenzeitschrift, die formatgebunden vor allem das Erkaufen von Jugendlichkeit mit jugendlichen Accessoires/Mode/Kosmetik propagiert, so subtil gegen den Redaktionsgrundsatz zu arbeiten, und Alte, die auf jung machen anzuprangern, erfordert immerhin einen gewissen Mut.

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