SPÄTE ERNTE

Als es vorbei war, änderte Charles Thompson zum zweiten Mal seinen Namen: Black Francis verschwand mit den Pixies, Auftritt Frank Black. Im Frühjahr 1993 war er in Deutschland, um sein erstes Soloalbum vorzustellen, das genauso hieß: „Frank Black“. In Hamburg spielte er in der Prinzenbar, parkte einen gemieteten Mercedes am Hintereingang und schleppte seinen Gitarrenkoffer zur kleinen Bühne.

Als er sich an den erwartungsfrohen Zuschauern vorbeidrängelte, rief er „Entschuldigen!“ An jenem Abend spielte Black „Monkey Gone To Heaven“ und „Velouria“,“Wave Of Mutilation“ und „There Goes My Gun“, die Pixies-Songs also, und großartige neue Stücke: „Los Angeles“,“Old Black Dawning“,“Hang On To Your Ego“. Es waren Gassenhauer, aber wie immer bei Black hatten sie Widerhaken: Wovon, zum Teufel, handelten diese euphorisierenden Lieder bloß? Der Erzähler in „Los Angeles“ möchte dort leben und ins Kino gehen, aber nicht in der kalifornischen Stadt mit diesem Namen, sondern in einem Los Angeles in Süd-Patagonien; „Fu Manchu“ ist eine Ode an einen Bart; „I Heard Ramona Sing“ feiert nicht eine Frau, sondern die Ramones. Frank Black schollerte auf seiner Gitarre, manchmal brüllte er, und es war das schönste Konzert eines einzelnen Mannes, das sich denken lässt. Black war klein, dick und beinahe glatzköpfig. Und er war offenkundig ein Genie.

Aber das wussten wir bereits, denn mit den Pixies hatte er binnen weniger Jahre ein Universum geschaffen, in dem Surrealismus, Science-Fiction und Surf kühn zusammengedacht wurden, in dem die Navajo-Indianer, die Autobahn von Roswell, außerirdische Wesen, die Bibel, ein Affe im All, obskures Spanisch, Gewalt-und Bestrafungsfantasien wie in einem gemeinsamen Roman von Matt Ruff und Thomas Pynchon eine Parallelwelt bildeten. „And how does lemur skin reflect the sea?“

Vom ersten Moment an -man kann es auf dem „Purple Tape“, einer 1986 aufgenommenen Kassette mit Demos, nachhören – war bei den Pixies alles vorhanden: die singende Gitarre, die Melodien, das Wilde, der Wahnsinn und der Pop. Black Francis und der Gitarrist Joey Santiago, die sich auf der Universität von Massachusetts in Amherst kennengelernt hatten, suchten einen Bassisten mit einem Inserat, in dem sie eine Band als Hybrid aus Peter, Paul & Mary und Hüsker Dü ankündigten. Die Bassistin, die sie auswählten, heißt Kim Deal, sie ist eine derbe, selbstbewusste Südstaatlerin -die perfekte Gegenspielerin für den Egozentriker Francis, Sternzeichen Widder, der von Santiago und Trommler David Lovering keinen Widerspruch gewohnt war. Francis schrieb die Songs und war der Sänger. Deal schrieb und sang später das überaus beliebte „Gigantic“ von „Surfer Rosa“ und wollte weitere Lieder beitragen, aber Black lehnte das ab: Die Pixies waren ja seine Erfindung. Man kann das hartherzig oder unsympathisch finden, aber Kim Deal ist auch eine ziemlich sture und aggressive Frau, und nach zwei Platten mit den Breeders war ihr kreatives Potenzial offenbar aufgebraucht.

1987 erschien „Come On Pilgrim“, ein Mini-Album mit acht Songs und ein Husarenstreich. Nicht eine amerikanische Guerilla-Firma wie SST oder Homestead brachte es heraus, sondern das britische Kunst-Label 4AD, das die Cocteau Twins und Dead Can Dance im Programm hatte. „Pilgrim“ stiftete eine neue eklektische Sprache in der Rockmusik: Es war nicht nur Punk. Es war nicht nur Pop. Es war nicht nur Dadaismus. Vor allem unterschieden sich die Pixies von Black Flag, Dinosaur Jr., fIREHOSE, den Replacements und Dead Moon darin, dass nichts authentisch sein sollte: „Ed Is Dead“, „The Holiday Song“,“Nimrod’s Son“ – der 22-jährige Black Francis drehte in seiner wurschtigen Art alles durch den Fleischwolf. Heute sagt er: „Ich mag eben ganz verschiedene Dinge. Inspirieren sie mich zu Musik? Ich bin nicht sicher. Es hält mit Sicherheit mein Interesse an Kunst aufrecht. Manchmal ist selbst der Akt der Arbeit Inspiration. Jemand will, dass du Musik machst. Jemand will, dass du ein Album herausbringst. (Befragt sich selbst:) Habe ich ein bisschen Zeit dafür? Ja, du hast Zeit dafür. Bekomme ich Geld dafür? Ja, hier ist das Geld. Habe ich die Erlaubnis meiner Frau, um an diesem Projekt beteiligt zu sein? Ja, du hast die Erlaubnis. Okay, ich denke, jetzt bin ich inspiriert.“

Dieses Arbeitsethos brachte dann vier Alben hervor. „Surfer Rosa“, von Steve Albini scheppernd produziert, war eine Sensation: Nonchalant zertrümmerte Black Francis mit satanischen Versen die Reste von Hippietum, und die Songs bersten vor wüsten Einfällen und sexueller Energie. Ein Dampf kochtopf. „Doolittle“, von Gil Norton unwiderstehlich als Reigen heißkalter Schauer eingerichtet, ist die Platte, auf die sich 1989 neben „Workbook“ von Bob Mould und „Freedom“ von Neil Young alle einigen konnten -ein Rausch von surrenden, fräsenden, hallenden Gitarren, irren Gesängen, Hysterie, Western, Metal und Surf-Echos: „I’ve kissed mermaids/Rode the El Nino/Walked the sands with the crustaceans“. Es war diese Platte mit ihrer Dichotomie aus Pop und Krach, Elegischem und Dionysischem, die Kurt Cobain als wichtigste Inspiration neben den Beatles nannte. „Die Pixies waren immer eine Mischung aus Pop-Elementen und Anti-Pop-Elementen“, sagt Francis. „Wenn wir keinen Pop in unserer Musik hätten, gäbe es auch keine Songs wie ,Where Is My Mind?‘ oder ,Gigantic‘.“

„Bossanova“, 1990 erschienen, enthält noch mehr Weltraum und Surf-Gitarren, manchmal wirken die Songs wie in ferne Idyllen entrückt: „All Over The World“,“Ana“,“The Happening“,“Havalina“. Ein Jahr später war „Trompe Le Monde“ eine Enttäuschung: planer, fantasieloser Gitarrenrock mit skurrilen Texten.

Dann kam „Nevermind“, Nirvana hatten den Erfolg, der den Pixies nicht vergönnt war, und „Alternative Rock“ tönte von überall her. Anfang 1993 teilte Francis den Kollegen per Fax mit, dass er die Band aufgelöst habe. Sein erstes Album war längst aufgenommen.

Beinahe in jedem Jahr erschien hernach ein Album von Frank Black, oft mit den Catholics, oft wie beiläufig eingespielt -er schüttelte die Songs aus dem Ärmel, arbeitete mit den Two Pale Boys und Reid Paley, auch mit seiner Frau Violet Clark (als Grand Duchy), alles ohne viel Zuspruch. Seit 2007, als „Bluefinger“ erschien, nennt er sich wieder Black Francis.

Im Jahr 2004 geschah das, was viele Fans eher befürchtet als herbeigesehnt hatten: Die Pixies kamen wieder zusammen, unternahmen eine Tournee und noch eine und noch eine. Sie traten bei großen Festivals auf. Sie veröffentlichten einige rohe Mitschnitte von Konzerten, bei denen sie „Doolittle“ komplett und andere Lärm-Lieder spielten, in Eigenregie auf faszinierend schundigen Doppel-CDs. Kim Deal sang ihr „Gigantic“, bei „Where Is My Mind?“ wurde mitgegrölt, und garantiert jede Halle in Boston, Brüssel und Berlin bebte. Fehlte nur „Also sprach Zarathustra“ als Eröffnungsmusik. Auch auf DVD erschienen Konzertaufnahmen. David Bowie, schon lange ein Bewunderer, sang „Cactus“.

So holten sich die Pixies, was ihnen verweigert worden war. Black Francis erinnert sich an die Idee zur Wiedervereinigung: „Ich gab ein Interview in London und machte einen Witz, weil sie mich nach einer Pixies-Reunion fragten. Ich sagte, dass wir die ganze Zeit über regelmäßig gejammt hätten. Ich dachte eigentlich, dass es für jeden offensichtlich war, dass ich nur einen Witz gemacht hatte. Aber sie gaben meine Aussage ganz unironisch wieder. Es lief dann über CNN und stand in der ,New York Times‘. Darauf hin riefen mich die anderen Bandmitglieder an und fragten, was zur Hölle los sei. Also unterhielten wir uns und kamen zu dem Schluss, dass wir es ja tatsächlich noch einmal versuchen könnten, auch, um es nach außen nicht so aussehen zu lassen, als wäre unsere Kommunikation untereinander total zerrüttet.“

CNN also. In dem Dokumentarfilm „Loud -Quiet – Loud“ sieht man, wie die vier Musiker vor dem Konzert in verschiedenen Ecken sitzen, wie Joey Santiago am Laptop angeblich Musik für Soundtracks komponiert, wie sie im Reisebus zum nächsten Ort fahren, wie sie manchmal streiten und einander sonst nichts zu sagen haben. Und nie erschien ein neues Album.

Ein paar Jahre ging das so weiter. Dann stieg Kim Deal aus, und die Band arbeitete doch an Songs, die im vergangenen Jahr auf einigen EPs erschienen -weiterhin war von einem Album keine Rede. Die neuen Songs wurden sehr verhalten rezipiert. Black Francis ist nicht sentimental, wenn er vom Anstoß für die Aufnahmen berichtet: „Unser Manager erzählte mir, dass er eine Unterhaltung mit Kim Deal gehabt hätte, in der sie ihm sehr dezent den Vorschlag unterbreitet hatte, dass Joey und ich doch damit beginnen könnten, an neuen Demos zu arbeiten. Ich wertete das als Bestätigung ihrerseits, unser gemeinsames Konzept fortzuführen, auch wenn es eine merkwürdige Form der Konversation war. So etwas nennt man Dreiecksmethode.“ Der Manager sprach also mit Kim Deal. Traurig ist Francis nicht über den Abgang der Quertreiberin: „Na ja, wenn Kim geblieben wäre, hätten wir das Album vielleicht nie gemacht. Insofern bin ich froh, dass sie gegangen ist.“

Doch nichts ist gut im Land der Pixies. „Es ist schwieriger als je zuvor“, klagt Francis. „Die Leute werden älter, haben ihre eigenen Familien, haben Terminpläne. Jeder fragt sich:,Was ist für mich der beste Weg, um meine musikalische Karriere fortzusetzen?‘ Am Anfang geht man einfach nur vorwärts. Man ist jung und glaubt nicht, dass man so viel Glück gehabt hat. Man fließt einfach mit der Strömung. Doch jetzt ist alles langsamer. Es sind mehr Leute beteiligt. Aus kreativer Sicht ist es heute schwer, schnelle Entscheidungen zu treffen oder spontan zu sein.“

„Indie Cindy“ – das aus den Songs der EPs bestehende Album -klingt, als würde eine Nachwuchsband aus Idaho versuchen, wie die Pixies zu klingen: Es fehlt nahezu alles, was ihre Alben in die ewigen Bestenlisten gehoben hat. Domestiziert, ja kalmiert ist Francis‘ einst sprühende Song-Kunst, sogar Santiagos Gitarrenspiel hat den Zauber verloren. Vielleicht ist das nur für die Zuhörer eine Tragödie -Black Francis ist Pragmatiker, und vor allem ist er realistisch: „Ich kann ganz bestimmt keine 22 mehr sein. Denn das ist nun mal nicht die Realität. Die Realität ist, dass ich 48 Jahre alt bin. Wenn man die Realität nicht akzeptiert, muss man leiden. Wenn man sie jedoch umarmt, findet man Frieden.“

Frieden findet Francis heute mit Musik von Debussy und Erik Satie. „Musik ist zu einem riesigen digitalen Archiv geworden -sofern man Zugang dazu hat. Man kann etwas hören, das man durch Recherche gefunden hat. Oder etwas, das man in einem Film oder einem Café gehört hat. Man kann jederzeit rausfinden, um welches Stück Musik es sich handelt. Ich entdecke viel durch Lesen. Wenn ich also etwas über die Surrealisten lese, stolpere ich zwangsläufig irgendwann über den Namen Erik Satie.“ Die Bibliothek in seinem Gehirn reichte für fünf Pixies-Platten und mehr als ein Dutzend Soloalben – nun ist kein Gran Ingenium mehr übrig. Man kann es auch so sagen: „Ich bin ein besserer Songwriter – aber das heißt nicht automatisch, dass ich bessere Songs schreibe. Man wird besser darin, Songs in verschiedenen Stilen zu schreiben oder sie aus verschiedenen Blickwinkeln anzugehen.“

Heute lebt Francis wieder in Boston, nachdem er eine Weile sehr kommod in Los Angeles wohnte und in seinem klimatisierten Auto durch die Gegend fuhr. Damals, 1995, hatte er bei Sony Music unterschrieben und wäre beinahe ein Star geworden – doch auf dem Label erschien nur das schwache Album „The Cult Of Ray“. Fährt er noch immer so gern auf Autobahnen?“In letzter Zeit reise ich häufiger mit dem Zug. Wenn man älter wird, begreift man, dass man viel Energie verliert, wenn man selbst fährt. Energie, die einem dann am Abend beim Konzert fehlt.“

Der vormalige Brüllfrosch macht heute Rockmusik nach Vorschrift. Das Tolle an Black Francis war immer das Fehlen jeder Mäßigung: Francis agierte wie ein Berserker; man erwartete den Moment, in dem er auf die Bühne kommen würde, wie das Erscheinen eines gefährlichen Raubtiers. Natürlich machte er dann nur höllischen Lärm. Wenn man damals mit ihm sprach, war man überrascht darüber, wie jovial, rational und amerikanisch er wirkte. Hey, war er nicht der Alfred Hitchcock der Rockmusik? Die Dämonen trieb Francis in seinen Songs aus; sein Gestus war vollkommen unaufgeregt. Heute ähnelt er dem späten Orson Welles, der sein Leben von altem Ruhm und Schauspielerei finanzieren musste und auch mal für Frühstücksflocken die Stimme erhob. Immerhin hat der schaffenswütige Black Francis -der fast jeden Abend stoisch zwei Stunden auf der Bühne steht, Gitarre spielt und singt – auch Ausgleich: „Ich nehme Gesangsunterricht, ich mache Yoga. Aber das alles bringt nichts, wenn man nicht das Verlangen verspürt, auf die Bühne zu gehen.“

Letzte Frage: „Wie nennen die Kollegen Sie -Frank, Black oder Charles?“

„Sie nennen mich ,Fettsau‘.“

Surf & Space

„COME ON PILGRIM“ (1987)

Acht der Stücke, die auf dem Demo von 1986 enthalten waren, erschienen in arrangierten Fassungen auf diesem verblüffenden Mini-Album, das bereits die charakteristischen Sujets und Stilmittel enthält. „I’ve Been Tired“ wird mit einer lustigen Erzählung von Black Francis eingeleitet; überhaupt ist zwischendurch viel spontanes Gerede im Studio zu hören. Vaughan Oliver begann seine Reihe mystisch-verrätselter Artworks.

„SURFER ROSA“ (1988)

Sprachverwirrung, Anarchie und Wutanfälle: „Bone Machine“(vor dem gleichnamigen Album von Tom Waits),“Cactus“,“Where Is My Mind?“, „Broken Face“ und „Gigantic“ ermunterten eine Generation von Indie-Bands mit wahnwitziger Gaga-Lyrik und zerschossenen Songs, Schreianfällen und Lärmattacken, die Steve Albini kaum kanalisiert hatte. ¿

„DOOLITTLE“ (1989)

Das Meisterwerk aus einem mystischen Schattenreich des Unterbewussten: Surf Music hallt in „Wave Of Mutilation“ und „Here Comes Your Man“,“Debaser“ und „Tame“ evozieren Speed Metal, sinister tönen „I Bleed“,“There Goes My Gun“ und „Hey“,“Mr. Grieves“ und „Silver“ wurzeln im Blues, und „La La Love You“ ist laszivster Pop. „Monkey Gone To Heaven“ ist womöglich blasphemisch: „When the devil is six, then God is seven.“

„BOSSANOVA“ (1990)

Himmlische Gesänge, Exkursionen ins Weltall, Hymnen auf Frauen: „Velouria“,“Allison“ und „Ana“. Mit „All Over The World“ und „The Happening“ sprengt Black Francis das Drei-Minuten-Format, und „Is She Weird“ ist erstaunlicherweise bei Terry Jacks‘ „Seasons In The Sun“ entlehnt. Das Harte und das Zarte, Surf und Space, gar Instrumentalstücke im Stil der Sputniks -eine gleißende Supernova des Surrealismus. ¿

„TROMPE LE MONDE“ (1991)

Das konventionellste Album der Pixies, aufgenommen in Burbank, Paris und London: feister Gitarren-Rock, hektisch und hymnisch, kaum Brüche oder Bilderstürmerei. Erst am Ende der Platte, bei „Motorway To Roswell“ und „The Navajo Know“, scheint das mythische, das geheime Amerika auf, das Black Francis von Anfang an besungen hat: die Fahrt in die Verlorenheit, der auf einer Eisenträgerkonstruktion balancierende Mohawk-Indianer.

„THE PURPLE TAPE“ (1987)

Im März 1987 bannten die Pixies 17 Stücke auf Kassette, mit der sie sich bei Plattenfirmen bewerben wollten; Black Francis‘ Vater gab ihm die nötigen 1.000 Dollar für die Aufnahmen. Neun der Songs wurden 2008 als „The Purple Tape“ auf CD veröffentlicht -darunter „Broken Face“, „Down To The Well“,“Here Comes Your Man“ und „Subbacultcha“.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates