Spencers rock’n’roll explosion. Druckroll und mitreißend: JON SPENCER BLUES EXPLOSION

Neben mir steht ein Mittzwanziger mit den zweitlängsten Koteletten der Welt, Hornbrille und Trainingsjacke. Mit solch hybriden Stilmixen kämpft man sich durch das Identitätsfiasko der Zeit, die man früher mal Postmoderne nannte: die Vereinigung von Slacker- und Rockertum. Man stelle sich vor, ein Heils Angel wäre in den 60ern auf einem Roller durch die Gegend gedüst.

Nach einem leicht verstörenden Set der Yeah Yeah Yeahs mit viel Gekreische und dumpf dröhnender Gitarre kommt der Mann mit den längsten Koteletten der Welt auf die Bühne und zeigt, warum er all diese Stile und Weltanschauungen auf sich vereint: es ist die Attitüde – und die Konsequenz. Beginnend mit „Money Rock ’n‘ Roll“ spielt Jon Spencer mit seiner Blues Explosion ohne große Pausen ein atemberaubendes Set, zu dessen Charakterisierung einem die Wort fehlen. Nein! Halt: „druckvoll“ – zumindest, wenn man sieht, wie viele Fans nach den ersten Songs in die hinteren Reihen gedrängt, ja geblasen werden. Die Ohren beginnen zu schmerzen, die Augen beginnen zu tränen, jedoch nicht vor Rührung. Die Songs sind nebensächlich, scheinen aber zum großen Teil vom neuen Wetk „Plastie Fang“ zu stammen. So hört sich das auch an, ohne Schnörkel und Spielereien. Ein DJ soll auch anwesend sein, irgendwo hinter der Bühne, allein: man kann ihn nicht hören.

Nach 45 Minuten ist der Spuk vorbei, Trainingsrückstände machen sich bemerkbar und man ist so erschöpft, dass man sich nach hinten an die Bar verkrümelt. Hinter der Bühne werden wohl Drogen nachgelegt, um das zweite, etwa ebenso lange Set mit der gleichen Energie zu abzuspulen.

Doch die Rauschmittel scheinen nicht gleich zu wirken – oder die nun folgenden, teilweise älteren und brüchigeren Songs taugen dazu nicht. Das scheint auch Spencer zu bemerken, wirft sich erneut in eine atemberaubende Vfersion von „Money Rock’n’Roll“ und geht von dort direkt in „Shakin‘ Rock ’n‘ Roll“ über: „Rock’n’Roll Blues Explosion style“. Es folgt ein launiges Intermezzo: „Clap your hands!“, „I need a woman so badly!“, “ You know what I mean!“, „Yeah! Reeperbahn!“. Der ganze, alte Rock’n’Roll-Scheiß halt. Dann „Killer Wolf“ und ein berauschendes „Bellbottoms“, und als die Blues Explosion schließlich die Durchschlagskraft des ersten Sets noch übertroffen hat, ist’s aus.

Er liefert die klassischen Rockerposen, und doch glaubt man immer, eine Spur Ironie darin zu sehen. Wichtiger scheint jedoch, dass Spencer mit einer Konsequenz zu Werke geht, die einem gar keine andere Möglichkeit lässt, als das irgendwie gut zu finden. „Mitreißend“ heißt das Wort dafür.

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