Steve Earle – Toronto, Guvernment

Draußen pfeift der Eiswind vom Ontario-See. Drinnen ist dem reiferen Rockfan der zweite Frühling versprochen: Bluegrass’n’Roll. Aber wie geht das zusammen -Steve Earle, der Bike- und Lederjacken-Jesus, mit dem geschniegelten McCoury-Clan? Dann stapfen sie gemeinsam auf die Bühne. Aus Earles Fanblock kreischt ein entsetztes Weib:

Steve wears a suit!

Fürwahr. Seriös betucht, entmannt und mit gestutztem Bart wirkt Earle inmitten des adretten Quartetts wie Wolfgang Thierse im Präsidium der SPD. Freilich klingt er anders, als er die Mandoline in seine Bärentatzen nimmt und loslegt wie auf dem fabelhaften Earle/McCoury-Album „The Mountain“: „My grandaddy was a railroad man.“ Zunächst ist dies eine Earle-Show mit akustischer Band: Mike Bub am Kontrabaß, Fiddler Jason Carter, an Banjo und Mandoline die Mc-Coury-Söhne Rob und Ronnie. Dann ruft Earle den Alten heraus, und ein ganz anderes Konzert beginnt. Del McCoury aus Pennsylvania wurde anfangs der 60er Jahre vom Ahnvater Bill Monroe zu seinen Blue Grass Boys rekrutiert. Heute ist McCoury 60 und selbst ein Patriarch des high and lonesome sound. Auch Steve Earle hat mit dem 1996 gestorbenen Bill Monroe noch auf der Bühne gestanden und gespürt, daß der uneitle Dienst der Bluegrass-Leute an ihrer redlichen Kunst etwas viel Stärkeres sei als das pathetische Outlaw-Gestrampel seines bisherigen Lebens. Nach Drogen und Knast suchte Earle Heimat in einer Musik, die älter war und größer, als er jemals werden könnte.

Der heimliche Star des Abends ist das Mikrophon. Es gibt nur eins auf der Bühne, einen Oldtime-Klops mit silbernen Lamellen. Wie Kinder beim Staffelspiel reihen die Musiker sich auf, treten an das allmächtige Ohr und entbieten ihm ihre Soli. Vater Del mit der Gitarre springt wie ein grauer Kater aus dem Hintergrund und singt die Chorusse mit scharfem nasalen Tenor. Earle tritt ab. Jetzt folgt Bluegrass pur, das Universum der Provinz. Del McCoury ist ein Traditionalist und trägt Düsternisse und Desaster mit heiterem Fatalismus vor – und mit Selbstironie: Auch „Nashville Cats“ gibt’s, die Hillbilly-Persiflage der Lovin‘ Spoonful. Pause. Dann Earle solo, mit all seinen großen Heulern. Und dann kommen die Mc-Courys wieder, und sie spielen, bis die vierte Stunde Voll ist.

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