Straight ontta Eppendorf – Udo Lindenberg erfindet den Deutschrock

Juli 1973

Lässt man den Werdegang Udo Lindenbergs vor „Alles klar auf der Andrea Doria“ Revue passieren, muss einem die Erfindung des Deutschrock fast wie ein Zufall vorkommen. Das Schicksal jener in der Eingangszeile des Titelsongs besungenen Rentnerband dräute dem damaligen Jazz-Schlagzeuger zeitweise selber. Er fürchtete, „lebenslang in weißen Hosen Tango spielen zu müssen“, wie er 1979 dem Autor Steve Peinemann erzählte.

Des späteren Plattenmillionärs Lehr- und Wanderjahre als juveniler Knallkopf hatten ihn von einer – abgebrochenen – Kellner-Lehre über einen Muckerjob in Tripolis und ein halbherzig aufgenommenes Musikstudium schließlich nach Hamburg geführt. Nach jahrelanger Tingelei (unter anderem mit Klaus Doldinger) findet Lindenberg in „Onkel Pös Carnegie Hall“ eine Art Zuhause. In dem Jazz-Club am Eppendorfer Lehmweg, im Song,Andrea Doria“ verewigt, formiert sich gerade die später in den Medien ausgeschlachtete „Szene Hamburg“. Leute wie Otto Waalkes, Inga Rumpfund Udo selbst feiern, musizieren und diskutieren im „Po“ – und bisweilen schlafen sie auch dort. In diese Zeit fällt die Erfindung der Kunstfigur Udo Lindenberg.

Im August 1973 gründet Lindenberg dann in Münster die erste Version seines Panikorchesters. Zuvor hatte er in den Hamburger Teldec Studios sein zweites deutschsprachiges Album aufgenommen, mit dem er beweisen will, „dass es eine Alternative gibt zum angloamerikanischen Rock-Monopol“. Keineswegs selbstverständlich, gilt es doch damals als unmöglich, irgendetwas anderes auf Deutsch zu singen als Schlagerlieder. Doch „Andrea Doria“ verändert im Sommer ’73 auf einen Schlag alles. Innerhalb kürzester Zeit verkauft sich das Werk 70000 Mal und beamt Lindenberg aus der heimeligen Eppendorfer Szene geradewegs auf sämtliche Titelseiten. Eine hierzulande bislang beispiellose Promo-Kampagne führt den frischgebackenen Star von Dr. Sommer-Beratungsstunden bis zu Sitzungen am „Bild“-Telefon, die Zahl der Nachahmer wächst ins Epidemische.

Bereits damals wird auch Kritik laut. Doch Barry Graves irrt, als er in der „Welt“ radebrecht, Lindenberg fehle es an der „Technik der skizzenhaften Situationsschilderung, der diskreten Symbolismen“. Der Humor war frisch, die Texte auf spielerische Weise clever – eine frühe Sternstunde der deutschsprachigen Rockmusik. Die Lindenberg zwar nicht komplett im Alleingang erfand – Ton Steine Scherben waren bereits aktiv-, zu deren herausragendem Exponenten er jedoch werden sollte. Eine Pioniertat, ohne die Westernhagen, Grönemeyer und all die anderen vermutlich nie einen Plattenvertrag gekriegt hätten.

Sein bis heute bestes Album, „Ball Pompös“, sollte Lindenberg damals freilich erst noch machen.

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