„Tatort“: Keiner gewinnt

„Tatort“: Roland Suso Richters bemerkenswerter Film „Spiel auf Zeit“

Wenn es ordentlich knallt und Türen gesprengt werden, wenn Polizisten und Gangster aufeinander schießen und der Helikopter kreist – dann ist Big Crime angesagt, und dann ist auch der „Tatort“ mal: modern! Die Kollegin von der „Hörzu“ lobte „Spiel auf Zeit“ als „Rififi im Schwabenland“, die Verbrecher „handeln mitleidlos, allein aufs schnelle Geld fixiert“, und „die Polizisten sind die Guten“. Nun merkt man bei jedem Gespräch über den „Tatort“ vom Vorabend, dass andere den Film vollständig anders verstanden haben und beurteilen, es sei denn, es handelt sich um einen Devid-Striesow-Fall. Ich würde sagen: Die Verbrecher sind aufs langsame Geld fixiert (das für immer reicht), einer von ihnen ist voller Mitleid, und die Polizisten sind nicht immer die Guten – sie sind auch Verzweifelte, die Schlechtes tun.

Also ja, „Spiel auf Zeit“ ist natürlich gut gemacht, denn Roland Suso Richter hat schon größere Aufgaben gemeistert: Dresden am Computer in Schutt und Asche gelegt, Götz George zum Greis werden lassen. Und er ist rasant und verzwickt geschrieben von Holger-Karsten Schmidt, der die Kommissare Thorsten Lannert und Sebastian Bootz erfunden hat.

Richy Müller und Felix Klare liegen in der Gunst der Zuschauer bloß im Mittelfeld der „Tatort“-Ermittler, obwohl ihr realistisches Spiel schwieriger und überzeugender ist als die Burleske der Knallchargen Jan-Josef Liefers und Axel Prahl. Vielleicht darf man bei „Spiel auf Zeit“ einwenden, dass sogar im Schwabenland die Straßen von Autos befahren werden, auch wenn gerade ein Gefangenentransporter überfallen wird. Und dass der eigentliche Coup entgegen den Beschwörungen erstaunlich schlecht geplant und denkbar stümperhaft ausgeführt wird. Das ermöglicht die sentimentale Pointe, dass Filip Peeters als Victor de Man seinem Freund Lannert das Leben rettet. Er hatte ja stets beteuert, dass er während seines Freigangs den Polizisten nicht ans Messer liefern würde.

So hat der Film einiges gemein mit der Konstruktion von Michael Manns „Heat“: Peeters ist Robert de Niro, Richy Müller spielt den Part von Al Pacino. Sie mögen einander. Dagegen wächst die Distanz zwischen Lannert und Bootz, denn der Partner wird von seiner Frau verlassen und schweigt zunächst darüber. Und als er darüber spricht, sitzt de Man hinten im Auto und höhnt. Felix Klare hat hier die seltene Gelegenheit, sich als einer der charismatischsten deutschen Schauspieler zu zeigen – und zwar gerade in den Szenen, in denen er vor Rachsucht und Selbstmitleid bebt. Dass der Liebhaber seiner Frau im Rollstuhl sitzt, entgeistert ihn vollkommen und verhindert die Prügelei; man sieht, wie ihm die Worte fehlen angesichts des Versehrten, der ihm keine Satisfaktion geben kann. Lannerts Verhältnis zu de Man ist geprägt vom Tod seiner Frau und seines Kindes, die Erinnerungen spülen wieder an, und weil sie diese schrecklichen Bilder teilen, vertraut Lannert dem alerten, intelligenten Waffenschieber. Filip Peeters hat die beste Rolle des Films, die auch unserem Sky du Mont gut gestanden hätte.           

Am Ende von Jean-Pierre Melvilles „Un Flic“ erschießt der zynische Inspektor Alain Delon seinen Nebenbuhler, der ein Verbrecher war, und verliert die Liebe seines Lebens. Es ist diese Ambivalenz, die den großen Kriminalfilm ausmacht, das Wissen um die Tragödie und die Kontingenz, dass es immer auch den anderen erwischen könnte. Thorsten Lannert ist schon ein Überlebender, jetzt hat er noch mehr Zeit bekommen; und Victor de Man geht wieder ins Gefängnis, statt in Belgien die Füße ruhig zu halten. Keiner gewinnt.

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