Teamwork im Akkord

Hier ein Duett, dort ein kleines Nebenprojekt: XAVIER NAIDOO kommt nicht zur Ruhe

Ein Herr aus Mannheim ist zurzeit in Deutschlands Pop-Landschaft allgegenwärtig: Bei „Top of the Pops“ gibt er sich selbst die Klinke in die Hand, und die VJs der Chart-Shows von MTV und Viva stöhnen nur noch, wenn sie den Namen Xavier Naidoo immer wieder aufsagen müssen. Kein Wunder: Seit Frühjahr 2001 ist der 29-Jährige nicht nur mit den Söhnen Mannheims Dauergast in den Single-Top 100, sondern hievte auch ein halbes Dutzend andere Künstler via Duett in die Hitparade.

Im Bunde mit Naidoo, Rolf Stahlhofen (Söhne Mannheims) und Sasha feierte zunächst Soul-Altmeister Edo Zanki den größten Single-Hit seiner gut 30-jährigen Karriere: „Gib mir Musik“ stieg auf Platz 44 ein und hielt sich neun Wochen. Dem völlig missglückten Geraune Ben Beckers zu Rainer Maria Rilkes „Lied (Du, nur Du)“ verhalf der Sohn Mannheims nicht nur zu einer Prise Soul, sondern auch zu achtbaren Plattenverkäufen. Naidoos zweiter Beitrag zum Rilke-Projekt, „Die Dinge singen hör ich so gern“, scheint seine Vorliebe fürs Rezitieren geweckt zu haben. Das nächste Opfer war wieder ein österreichischer Lyriker: Falco. Für Reamonn übernahm Naidoo gerne die Sprech-Rolle des Triebtäters in ,Jeanny“. Er habe sich wie ein Schauspieler darauf vorbeitet, berichtet der Mannheimer. „Ich fand es spannend, mich da hineinzudenken. Was geht in so einem kranken Hirn vor? Ich hatte Gänsehaut, als ich meine eigene Stimme hörte.“

Was dem maliziösen Provokateur aus Wien noch locker von der Hand ging, wirkt bei Reamonn und Naidoo arg angestrengt, ist aber gut gemeint: Sein Ertrag geht an „Dunkelziffer e. V.“ und die Unesco-Stiftung „Saving An Angel“, die sexuell missbrauchten Kindern hilft.

Gelungener ist das zweite Benefizprojekt, mit dem der Sohn südafrikanischer Eltern wochenlang in den Top 10 residierte: „Brothers Keepers“, ein Zusammenschluss afrodeutscher Rapper und Sänger, macht mit der Single „Adriano (Letzte Warnung)“ gegen rechte Gewalt mobil.

Mit Kollegen wie Torch, Afrob, Samy Deluxe, D-Flame, Sekou oder dem Projekt-Initiator Ade schlägt der selbsternannte „Neger aus Kurpfalz“ ziemlich militante Töne an: „Dies ist so was wie eine letzte Warnung/ Denn unser Rückschlag ist längst in Planung/ Wir fall’n dort ein, wo ihr auffallt/ Gebieten eurer braunen Scheiße endlich Aufhalt/ Denn was ihr sucht, ist das Ende/ Und was wir reichen, sind geballte Fäuste und keine Hände.“ Im dazugehörigen Video marschiert der sonst so bibelfeste Sänger an der Spitze seiner Mitstreiter und demonstriert allein durch Körperhaltung, was ihn früher zum Disco-Türsteher qualifizierte.

Die Nächstenliebe zu allem und jedem ist Naidoo bei der „Rock gegen Rechts“-Tour mit Udo L. jedenfalls vergangen. „Im Osten haben wir jede Menge Initiativen und Opfer besucht. Was du da hörst… Am liebsten wäre ich danach mit Baseballschlägern und ein paar Leuten um die Häuser gezogen, um richtig aufzuräumen. Für mich ist dieses Lied das letzte Mittel, noch friedlich zur Diskussion beizutragen.“

Kein Wunder, dass der Song für den von Nazi-Skins ermordeten Mosambikaner Alberto Adriano eine hitzige Diskussion um Gewalt und Gegengewalt oder Toleranz den Intoleranten gegenüber auslöste (nachzulesen unter www.brothers-keepers.de). Der Verein Brothers Keepers will die Einnahmen der Single, des Nachfolgeprojektes Sisters Keepers und eines geplanten Albums unter anderem an die Familie Adriano weiterleiten.

Es gibt aber auch weniger dramatische Kooperationen: Komiker Michael Mittermeier schwärmte, als er hörte, dass seine Frau Gudrun den Star für ihr Sommersault-Liedchen „Way To Mars“ rumgekriegt hatte: „Ich würde mir den linken Fuß abschneiden, wenn ich mit Xavier Naidoo im Duett singen dürfte“ – worauf sie lakonisch konterte: „Ich hab mir den linken Fuß abgeschnitten!“ Was sich der Schweizer Tenor Erkan Aki abgesäbelt hat, damit Naidoo „Über sieben Brücken“ mit ihm schmettert, ist nicht überliefert.

Trotz solcher mäßig geschmackssicheren Allianzen genießt Naidoo genug Credibility, um für die heikle Hip-Hop-Szene interessant zu bleiben. Dass der zum Reggae konvertierte Beginner Jan Eißfeldt aka Jan Delay ihn bei der Suche nach den Jan Soul Rebeis anrief,

macht den Mannheimer glücklich: ,Jan ist einer der Talentiersten überhaupt.“ Zumal Naidoo in „Flashgott“ über sein Allerheiligstes rappen darf- nur um einiges entspannter, weniger missionarisch, als er seine Heilsbotschaft normalerweise verkündet. Delay sah sich anschließend dazu gezwungen, eine Lanze für den Kurpfalzer Kreuzritter zu brechen: „Er wird sehr missverstanden. Deshalb wollte ich auch, dass er dabei ist. Und bei dem Thema hat es dann einfach gepasst. Da kann er noch mal deutlich machen, dass er es auch nicht immer so krampfmäßig meint.“ Außerdem finde er Naidoos Stimme „richtig derbe“. Das sah wohl auch Weltenretter Sekou so, als er Naidoo einlud, auf dem Track „Silver 8C Gold“ Babylon den Krieg zu erklären.

Rock, Rap, Reggae, Rezitationen, Klassik. Jüngst stellten die Söhne Mannheims eine Kooperation mit dem Rundfunkorchester Kaiserslautern vor – Naidoo scheint keine Berührungsängste zu kennen. Wenn ihm jemand ein Mikro vor die Nase hält, singt er. Kommerzielles Kalkül kann man als Motiv wohl ausschließen -jedem Plattenfirmen-Manager würde diese wild wuchernde Medienpräsenz dem Kardiologen näher bringen. Aber Naidoo ist nach dem Bruch mit Moses Petham sein eigener Herr und schert sich wenig um Branchen-Vokabeln wie overexposure. „Ich mache, was ich interessant finde“, sagt er, gibt aber zu, „dass es gerade etwas viel ist Vielleicht halte ich mich mal ein wenig zurück.“

Doch“Nok“, das zweite Album der Söhne Mannheims, sei längst fertig. Und für seine zweite Solo-Platte habe er bereits 27 Stücke im Kasten: „Einige Leute werden sich noch wundern, denn da sind Sachen dabei, die man eher von einer Punkband erwartet.“

Wann die Platte erscheinen kann, steht noch in den Sternen. Schließlich bindet der so genannte „Knebelvertrag“ mit 3p den Solo-Künstler Xavier Naidoo exklusiv an Moses Peiham. Aber das juristische Damokles-Schwert rostet rapide: An Gerichten in Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Karlsruhe und in Mannheim wurden sieben Einstweilige Verfugungen gegen alle Platten mit Naidoos Beteiligung abgeschmettert – nur die Brothers-Keepers-Single blieb aus naheliegenden Gründen verschont. Wobei die Plattenfirma WEA im Vorfeld wochenlang im Geheimen mit dem afrodeutschen Moses Peiham verhandelte und den Erscheinungstermin mehrfach verschob. Der Hauptprozess beginnt am 19. Oktober in Mannheim, wird sich wohl über Jahre ziehen und den Verlierer nach Einschätzung von Experten ruinieren.

Die Naidoo-Anwälte sind aber siegessicher, denn der 3p-Vertrag sei sittenwidrig „wegen seiner theoretisch fast unbegrenzten Laufzeit, der extrem niedrigen Vergütung, Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen und 1000 anderen Sachen“. 3p schweigt zu allen Anfragen, Pelhams Anwalt muss sich vor Verhandlungen „sammeln“, statt mitjournalisten zu reden.

Sein großes Ziel verliert Naidoo dabei nicht aus den Augen: Wer irgendwann die Milliardenschulden seiner Vaterstadt begleichen will, dem ist der deutsche Markt nicht groß genug. Die Anfrage von U2, ob die Söhne ihre hiesigen Shows eröffnen wollen, kam da gerade recht – auch wenn ihnen dann erbitterter Widerstand aus dem Publikum entgegenschlug.

Doch die Tür zu einer Weltkarriere scheint sich trotz solcher Misslichkeiten allmählich zu öffnen: RZA, Chefproduzent des Wu-Tang Clan, kam neulich nach Europa, um mit hiesigen Rappern einen Sampler zu produzieren. Für Naidoo ein Traum: „Die Arbeitsweise des Wu-Tang-Clan als lockerer Verbund mit neun MCs war für die Söhne Mannheims ein Vorbild.“

Damit nicht genug: Der New brker HipHop-Guru hebt nach den Aufnahmen nur einen Musiker heraas: „Zum Beispiel ist da ein Künstler, der Xavier Naidoo heißt und deutsch singt. Wenn der anfangt zu singen, klingt das richtig phatt und melodiös. Du kannst nicht sagen, was er singt, aber es klingt gut im Ohr!“ So gut, dass RZA mit Naidoo zwei Tracks aufnahm und für den Mannheimer große Pläne schmiedet: ein Duett mit Lauryn Hill.

Zunächst erscheint aber am 5. November das Album JIZA Goes To Europe“. Im Januar geht dann Naidoos englische Ballade mit der Ex-Fugees-Sängerin weltweit an den Start. Und irgendwann erfüllt sich vielleicht auch Xaviers größter musikalischer Traum: „Einmal mit Van Morrison singen, das war unglaublich.“

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