The Art of Peer Pressure: Kendrick Lamar live in Berlin

Ein guter Auftritt, der jedoch nur bedingt funktionierte. Kendrick Lamars Konzert in der Berliner C-Halle bewies, dass mehrstimmige Kunst auf der Bühne schnell an Profil verlieren kann, wenn sich die Zuschauer einmischen und die Songs zu ihren eigenen machen.

Welche Kritik hätten sie gerne, lieber Leser? Die dienstleistungsorientierte, die Ihnen davon berichtet, dass Kendrick Lamar einen ziselierten Querschnitt aus seinen verschiedenen Mixtapes und Cuts des immens erfolgreichen Albums „good kid, m.A.A.d. city“ präsentierte, vor euphorisierten Hörern und mit guter Akustik ? Die phänomenlogische, in der gleichmütig die Musik links liegen gelassen wird – für kulturkritische Bedeutungssuche oder ein schlecht informiertes Feuilleton?

Vielleicht das nächste Mal. Der Abend in der Berliner C-Halle verlangt nach einer differenzierten, persönlichen Sicht der Dinge, die den Künstler verehrt, sich aber gleichzeitig mit dem Publikum anlegt.

Kendrick Lamars letztjährige LP stieß auf so viel Resonanz, weil sie die Eloquenz und Präzision des Conscious Rap mit melodisch süffigen Hooklines verbindet und so auch Hörer ansprechen konnte, die nicht primär durch Black Music sozialisiert sind. Prägnante Phrasen ziehen dabei ihre Unmittelbarkeit und bewusste Drastik aus der Horrorcore-Tradition, Lamar sinniert jedoch stets aus verschiedenen Perspektiven, lässt die Vorstellungen seines 16-jährigen alter egos mit dem wachen Bewusstsein der Gegenwart kollidieren (er ist mittlerweile 25). „good kid, m.A.A.d. city“ beschreibt in Form klassischer Kurzgeschichten eine Fluchtbewegung und einen Neuanfang: Eine Narration der Emanzipation und des Empowerments, die bereits begann, als Kendricks Eltern beschlossen aus der Southside von Chicago nach Los Angeles zu ziehen, um ihren Sohn vor einem Leben auf der Straße zu bewahren.

Das gestrige Konzert bewies, dass eine solche mehrstimmige Kunst auf der Bühne schnell an Profil verlieren kann, wenn sich die Zuschauer in den Auftritt einmischen und die Songs zu ihren eigenen machen. Der Abend beginnt bereits unter ungünstigen Vorzeichen: Zwei sich als DJs gebärdende Clowns an ihren Laptops versuchen im Kommandoton die Zuschauer so lange in enthemmte Laune zu versetzen, bis sie durch ein entnervtes Mitglied der Tourcrew brüsk von der Bühne gescheucht werden. Der unbedingte Wille zur Partizipation bleibt jedoch in der Halle zurück. Kendrick Lamars warmherzige Bereitschaft zum Zwiegespräch mit dem Publikum dankt ihm dieses nämlich vornehmlich durch aggressives Mitsingen. Jedes vernommene Reizwort wird stolz nachgesungen, die verschiedenen Blickwinkel der Songs zu einer widersprüchlichen Feier des Selbst umorganisiert. Stücke mit klar konturierten Beats verlieren so schnell an eigener Form, lediglich Tracks mit weicheren Grooves und Soul-induziertem Gesang werden nicht gestört. Zwischendurch nutzt Lamar ein instrumentales Zwischenspiel zum Appell, bittet darum den Texten zuzuhören und mahnt. auf die weiblichen Zuschauer vor der Bühne acht zu geben. Eine Sensibilität, die vielen fremd zu sein scheint.

„I see the crowd mood changing by the minute and the record on repeat“ heißt es in „Swimming Pools“. und die zugehörige Melodie bestehend aus dem Wort drank intoniert der Saal mit hysterischer Überzeugung, als sei es eine Aufforderung des MCs. Die Ironie dabei scheint es zu sein, dass Lamar zwar an solchen Abenden wieder an jene Orte zurückkommt, aus denen er entkommen wollte, sich dafür aber immerhin von den Leuten bezahlen lässt, vor denen er ursprünglich geflüchtet war. Ein für den Künstler eher unverhoffter Triumph möglicherweise, aber was bleibt einem Hörer, der die Zeilen zu deuten versteht und an der Selbstentblößung nicht teilhaben möchte? Man denke sich einen Auftritt von Randy Newman, bei dem das Publikum nur auf dessen giftigen Songzyklus „Good Old Boys“ wartet, um lauthals im Chor „We’re Rednecks/We don’t know our ass from a hole in the ground“ skandieren zu können. Eine bizarre Vorstellung, aber so war es in einigen Momenten bei Kendrick Lamar in der Columbiahalle.

Könnte dieses Missverständnis aber möglicherweise der Grund sein, weswegen deutscher Hip Hop trotz hell blinkender Ausnahmen so wenig vielgestaltig und nuanciert ist wie auch deutscher Humor? In Deutschland ist Hip Hop nur relativ populär geworden; Popularität verankerte ihn hierlanden schließlich nie als mögliches Ausdrucksmittel. Anders als in den USA entwickelte sich Rap nahezu ausschließlich zu einer Nische für die Posen männlicher Selbstbehauptung oder zotigen Trotzes. Einem pubertären Ventil mithin, das man ab einem bestimmten Alter wieder schließen konnte.

Folgerichtig nennt sich das hiesige Zentralorgan für Beats und Rhymes auch nicht „Wax Poetics“, sondern bezeichnend „Juice“. Mich soll es nicht kümmern. Ich mache es wie Kendrick Lamar und haue ab: Das großartige „good kid, m.A.A.d. city“ zuhause hören, Pläne machen für eine Reise nach Los Angeles im Sommer.

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