THE WHTTE STRIPES wären ohne das Sommerloch für immer ein Geheimnis Detroits geblieben

Schweinerock. Irgendwann musste das böse Wort kommen, und es kam an einem Sonntagabend Ende November, im Vorraum des Hamburger Molotov-Gubs, noch während die White Stripes drinnen ihr Konzert fertig spielten. Da hatten große Teile der anwesenden Indie-Rock-Crowd begriffen, dass das kein postmoderner Gag gewesen war, das Gerede von Bluesrock und Led Zeppelin und Blind Willie McTell. Dass Jack White wirklich als kleiner, pausbäckiger Gitarrengott auf der Bühne steht, dass er angeschaut werden will, seine Virtuosität ausspielt und das alles nicht – wie üblich -von einem Band-Kollektiv abgefedert wird. Junger, euphorischer, brennender Schweinerock. Klingt gut.

Ob die White Stripes mit ihrem Charme und der drängelnden Ungeduld den Rock’n’Roll retten werden (wie vielfach plakatiert wurde), hängt mal wieder von der leidigen Frage ab, ob es da überhaupt etwas zu retten gibt. Wie auch immer, sie sind nur deshalb auf Deutschland-Tour, weil ihnen dieser Ruf vorauseilt – für die ersten zwei Platten hat sich in Europa kein Mensch interessiert. Nicht mal die, die das jetzt behaupten. Ein großes Vakuum hat die White Stripes dieses Jahr aus der Detroiter Lokalszene herausgesogen, das Vakuum im Sommerloch der britischen Boulevardpresse: Nach der Titel-Story im „New Musical Express“ druckten einige Blätter plötzlich große Fotos und ganzseitige Artikel, teilweise von Journalisten geschrieben, die das Konzert nachweislich verpasst hatten. Die Rettung des Rock’n’Roll, ein Missverständnis. Jack White (Gesang, Gitarre) und Schwester Meg (Schlagzeug) brachte es den weltweiten Plattenvertrieb, dem Garagen-Blues-Punk-Album „“White Blood Cells“ brachte es die Aufmerksamkeit, die es um Himmels Willen verdient hat.

White kennt das: „Du liebst heimlich die Fiat Duo Jets, Rockabilly- und Surf musik, und dann – zack – kommt ‚Pulp Fiction‘ raus, und alle hören das. Eine Band gewissermaßen zu besitzen ist ein tolles Gefühl Ich habe ein bisschen Angst, dass jetzt niemand mehr die White Stripes besitzen kann, weil jeder im Viertel die Platte kennt.“ Im engen Kontext einer Szene hat er nicht einmal als Schüler gelebt, im Mexican district von Detroit, wo sich keiner für seine alten Blues-Platten interessierte und er sich mit der großen Schwester im Dachboden-Proberaum aus musikalischen Spielklötzen eine eigene Ästhetik baute. Detroit (die Heimat der MC5 und der Stooges, die Motown-Stadt) ist sowieso eine Art Reservat: „Groß genug, um ein Publikum zu finden, aber weit weg von L.A. und New York, wo die Bands schon eine Website haben, bevor sie die erste Show spielen.“ Der Sänger der Vorgruppe The Von Bondies meint nach dem Hamburg-Konzert, dass sie in Detroit oft nur vor 20 Leuten spielen würden, dass eine Tour wie diese finanziell ruinös sei, weil die Einnahmen aus den Gelegenheits-Jobs wegfallen. Die Rock-Revolution frisst ihre Kinder. Bis zum nächsten Sommerloch.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates