Treibstoff & Pfefferminz

Alter Blues, Folk und Beat haben die White Stripes nicht nur inspiriert - sie machen den Nachlass einer neuen Generation schmackhaft

Die weißen Kids. So bündig beantwortete Howlin‘ Wolf die Frage nach jener ominösen Macht, die den Blues am Leben halte. Die Musik alter, schwarzer Männer. Unter dem Joch der Sklaverei gezeugt, in den Baumwollfeldern Mississippis geboren, vom Hunger in die Metropolen des Nordens getrieben. Und dort bald unerwünscht, wiewohl inzwischen tanzbar und elektrifiziert. Wer wollte sich nach der Fabrikfron schick machen, die Liebste ausführen und dabei Geschichten von Entbehrung und Elend um die Ohren kriegen, von Leid, Pein und Tod?

Soul, ein eleganter, frivoler Enkel des Blues, hatte diesen flugs beerbt, bestimmte nun das Geschehen in den Nachtclubs der schwarzen Viertel. Blues wurde randständig, taugte nur noch zum schlechten Gewissen des florierenden Entertainments, beschwor unablässig die gemeinsamen kulturellen Wurzeln, malte Menetekel an die Wand. Mit den musikalischen Mitteln der Altvorderen, adressiert an eine schwarze Jugend, die sich immer weniger angesprochen fühlte.

Gehör fand der Blues woanders. Bei den vornehmlich weißen Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung, bei einer Studentengeneration, die ihre frugale Folk-Kost gern mit etwas Jazz aufpeppte oder mit Blues würzte, je archaischer, desto lieber. Gerade die urige Gewalt und der ungebrochene Stolz des Blues rührten an ein Bedürfnis, das keine noch so emphatische Sing-out-Diät befriedigen konnte.

Eine unwahrscheinliche Wendung der Blues-Geschicke, befand auch ein darob nicht unglücklicher Muddy Waters, dessen Auftritt beim Newport-Festival 1960 so triumphal geriet, dass ihn backstage Tränen der Rührung übermannten. Gefragt, wie er sich den Enthusiasmus des vornehmlich jungen, weißen Publikums erkläre, nahm der Pionier Zuflucht bei einer wohlfeilen Phrase. Musik sei ein Idiom, so Muddy, das Jung wie Alt verstünden, der Blues gehöre allen Amerikanern. Little did he know.

Denn bereits wenige Jahre später war der Blues ein globales Phänomen, getragen von einer Woge juveniler Begeisterung, die ein paar langmähnige Jungs in London losgetreten hatten. Nun verschlug es Waters, Wolf und die anderen Überlebenden alter Blues-Herrlichkeit in ferne, fremde Länder, wo sie gefeiert wurden wie nie von Ihresgleichen. Als sie dann starben, hinterließen sie ihre Musik auf Platten. Die ihrerseits geliebt wurden, so leidenschaftlich, dass Nachwuchs nicht ausbleiben konnte.“.Wir vergruben uns darin, suchten der Magie dieser Musik auf den Grund zu gehen“, erklärte Jack White, auf die Motivation hinter den Blues-Adaptionen der White Stripes angesprochen. „Eh du dich versiehst, hat sie dich absorbiert, lässt dich nicht mehr los.“ In Detroit sammle man Platten nicht bloß, um sie zu besitzen, fügte Meg an, man lege sie auch auf: „We know our records.“

Ein Song, den die Stripes unermüdlich studierten, so lange, bis er fällig war, ist der „Death Letter Blues“. Gemeinhin Son House zugeschrieben und in dessen späterer Fassung sicher Vorlage für die unheilvoll scheppernde Version des Detroiter Duos, war die Thematik des Briefes mit Trauerrand bereits eine vielbemühte, als Son House sie in eigene Verse goss und erstmals 1930 aufnahm. Unter dem Titel „My Black Mama“ noch und in zwei Teilen für die Seiten einer Schellackscheibe auf Paramount, doch in Sachen Stanzas und Struktur schon jener Song, den er 1965 abermals aufnehmen würde. „Got a letter this morning/ Whaddya reckon it read?/ It said hurry, the gal you love is dead.“ Ein Lament, das House ohne Gefühlswallung vorträgt, schicksalsergeben, stoisch. Ganz anders als die Jazz-Aufgüsse des Folk-Standards „Letter Edged In Black“, die in den 20er Jahren als „Death Letter Blues“ kursierten. Gesungen freilich fast immer von Frauen wie Ida Cox, Monette Moore oder Helen Gross, die sich eher expressiv der Trauer hingaben, Mitgefühl heischend.

Nicht so Eddie J. House Jr., der sich nach den Paramount-Sessions desillusioniert vom Musikmachen verabschiedete und bei der Eisenbahn verdingte. Für die er arbeitete, bis er 1964 im Zuge des Blues-Booms zu einem Comeback überredet werden konnte. Die Gitarrengriffe dafür musste er sich neu aneignen, Gedächtnis und Hände hatten gelitten unter der Maloche, doch Son House widmete sich seiner unverhofften Wiederkunft mit derselben Unbeugsamkeit, die ihn einst die Gitarre an den Nagel hängen ließ. Zwar hatte ihn 1942 Alan Lomax mit seinem Tonbandgerät aufgesucht und ihm ein paar Takes für die Library Of Congress abgerungen, doch erst 22 Jahre später ließ sich Son House davon überzeugen, dass seine Musik gehört werden wollte. „Three young white men turned up on my doorstep late one evening“, berichtete House, „very polite, told me there were people out there who would listen to me.“ Ein paar Monate später nahm der betagte Künstler unter der Ägide John Hammonds eine Reihe von Tracks auf, die Columbia 1965 veröffentlichte, an Sons Seite derselbe AI Wilson an Gitarre und Harmonica, der bereits Skip James, Bukka White und Sleepy John Estes kongenial begleitet und zu späten Großtaten beflügelt hatte, während er selbst sein Talent bei Canned Heat vergeuden sollte.

Stimmig scheint indes, dass Sons „Death Letter“ inzwischen von den White Stripes zugestellt wird. Denn das hatte Son House dem Mikrofon des Feldforschers Lomax anvertraut: „The blues ain’t nothin‘ but a lowdown shakin‘ chill/ If you never had ‚em, children, I hope you never will.“ Eine nur von einer Million möglichen Definitionen des Blues, aber fraglos eine, die perfekt mit dem fiebrigen Delirium einer Stripes-Performance korrespondiert. Auch die rotweißen Junk-Punk-Tribute an andere Bluesveteranen und ihre Songs sollen nicht ungewürdigt bleiben. Robert Johnsons „Stop Breaking Down“, von den Stones durch den gärigen „Exile“-Sumpf gezogen, wird auf der Debüt-LP der Stripes mit rohen Riffs geschreddert. Das Son House gewidmete Album wartet bei allem Garagen-Lärm überhaupt mit einer Fülle von Blues-Bezügen auf, vom „Boom Boom“-Fundament John Lee Hookers in „When I Hear My Name“ über den Gospel-Blues „St. James Infirmary“ aus unzähligen Repertoires zwischen Louis Armstrong und Doc Watson, bis hin zum überraschenden Son-House-Exkurs, wenn dessen „John The Revelator“ inbrünstig auf „Cannon“ die Stimme erhebt. Blind Willie McTell, dem die Stripes ihre zweite LP „De Stijl“als Denkmal setzten, wird dort nicht nur vergleichsweise andächtig gecovert, akustisch leicht beschwingt, sondern kommt hernach noch selbst zu Wort in einem Interview-Fetzen aus grauer Vorzeit, sein „Your Southern Can Is Mine“ im Stripes-Gewand höchstselbst absegnend, cheeky.

Vergessener noch als McTell (ein so sprachlich falscher wie inhaltlich zutreffender Komparativ) ist Blind Willie Johnson, dessen grimmiges „Motherless Children Have A Hard Time“ die White Stripes in schöner Regelmäßigkeit live zelebrierten, nicht selten übrigens im Tandem mit „Death Letter“. Selbst im Heimatstaat Johnsons blickte Jack in mehr irritierte als informierte Gesichter, wenn er den Song ankündigte: „It’s good to be in Texas, the home of Blind Willie Johnson.“ Und das, obwohl etliche Coverversionen von Johnson-Tunes in Umlauf sind von nicht gerade namenlosen Interpreten wie Bob Dylan oder Eric Clapton, von den Grateful Dead oder den Staple Singers. Eine rätselhafte Erscheinung, deren Biografie bis heute lückenhaft blieb, nahm Johnson in den späten 20er Jahren nur wenige Songs auf, die jedoch tiefe Spuren hinterließen. Seltsam, wie er mysteriös bleiben konnte, während Robert Johnson zum Mythos wurde. Immerhin gelang dem texanischen Enigma. was dem berühmteren Namensvetter bislang versagt blieb: Seine Stimme ist auf einer Schallplatte verewigt, die seit 30 Jahren im Bauch der Raumsonde Voyager auf dem Weg ist zu fernen Galaxien. Beethoven, Bach, Chuck Berry und Blind Willie Johnson.

Keineswegs schäbig, aber für Jack White nicht annähernd genug der Verehrung. „Diese Blues-Pioniere sind Götter“, befindet er, „man müsste Statuen von ihnen errichten, zu denen man dann pilgern könnte, um in ihrem Schatten Inspiration zu empfangen.“ Immerhin wisse man von vielen nicht einmal, wo sie begraben wurden. Whites Anbetung, so irren viele Puristen, finde in seinem krachenden, schlierigen Slide-Blues keine adäquate musikalische Entsprechung. Ein Vorwurf, der White nicht beeindruckt. „Wir nähern uns dem Blues wie jedem anderen Stil nicht wie Gelehrte, sondern wie Kinder. Also so kindisch wie möglich, ohne jeden Hintergedanken und ohne Sinn für Humor. Kinder denken so. Der kleinste Anflug von Ironie würde alles kaputtmachen.“

Noch weniger als den akademischen Anspruch schätzen die Stripes Koordinatensysteme, die Coolness-Quotienten errechnen. „The book of cool is a boring book“, weiß Jack. „Cool zu wirken ist so ziemlich das Letzte, das uns am Herzen läge.“ Wer das nicht glaubt, betrachte das Foto auf der Cover-Rückseite der ersten Stripes-LP: Meg in grünen Plateau-Clogs, Jack mit Fußballer-Pudel. „Man kann uns manches vorwerfen“, setzt Jack nach, „aber wir haben noch nie einen Song gecovert, um für cool gehalten zu werden oder weil uns ein besonders obskures Cover zur Zier gereicht hätte.“

Was natürlich nicht nur für die Punk-energischen Adaptionen atavistischer Blues-Songs gilt, sondern für alle Fremdkompositionen, derer sich das Duo hingebungsvoll annahm. Die Stilpalette ist bunt, reicht von Rockabilly bis Folk, von Beat bis zu Balladen. Eine unvollständige Aufzählung offenbart bereits ein beachtliches Spektrum. Leadbellys „Boll Weevil“, gefiltert durch den Roll von Eddie Cochrans „Boll Weevil Song“. Gene Vincents „Baby Blue“, in Cramps-Manier verfinstert für John Peels BBC-Sessions. Dusty Springfields „I Just Don’t Know What To Do With Myself“ aus den Federn von Burt Bacharach und Hai David. Dolly Partons „Jolene“ und Loretta Lynns „Rated X“, von Jack jeweils metrosexuell aufgeladen. Was Loretta Lynn so imponierte, dass sie Jack zum Produzenten ihrer LP „Van Lear Rose“ bestellte.

Ferner Bob Dylans „One More Cup Of Coffee“ und „Isis“, Captain Beefhearts „Ashtray Heart“ sowie „Looking At You“ vom Agitrock-Kollektiv MC5 aus Detroit. Plus „Jack The Ripper“, im Original von Screaming Lord Sutch, „Five String Serenade“ von Arthur Lees Love, die Liste ließe sich fortsetzen. Nicht alle diese Coverversionen sind gelungen, ein paar scheitern kläglich oder grandios. Weil das musikalische Vokabular nicht hinreicht. Oder weil eines dieser unsäglichen Led-Zep-Gewitter, für die Jack White fatalerweise ein Faible entwickelt hat, alles verhagelt.

Doch sind solche Ausrutscher tolerabel, solange die Passion spürbar bleibt, mit der Jack und Meg zu Werke gehen, aus dem Moment heraus Energie erzeugend, die Songs galvanisierend. Wobei sie nicht mehr zwischen eigenen und fremden unterscheiden. „Whatever song we do“, so Jack White. „it’s like we’re doing a cover Version of a song I wrote.“

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