Trump hat die Marke Amerika vollkommen zerstört

Dank Trumps zweiter Amtszeit erlebt der weltweite Ruf Amerikas einen radikalen Relaunch. Ein Kommentar der Kollegen des amerikanischen ROLLING STONE

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Die längste unbewachte Grenze der Welt besitzt nun eine neue und unüberwindbare Mauer, die sich von Küste zu Küste zieht. Eine Barriere, die ebenso real wie imaginär ist. Für Kanadier, die ständig Opfer von Donald Trumps grellen Versuchen sind, sie zur 51. US-Bundesstaat zu machen, ist eine Kontrolle durch amerikanische Grenzbeamte nicht mehr nötig. Die Grenze ist nun selbstregulierend und selbstüberwachend. Denn fast die gesamte Bevölkerung des friedlichen Nachbarlands im Norden, meiner Heimat, ist sich einig. Einreisen in die USA ist nicht nur tabu. Es ist eine Art Verrat, fast schon Hochverrat.

Kanada war das Ziel lächerlicher Witze

Seit Jahrzehnten kamen die größten grenzüberschreitenden Bedrohungen für Kanada aus dem Süden. Waffen. Drogen. Schwaches Bier. Idiotische Kriege. Reaktionäre Politik. Reality-TV. Idiotische Kriege und nun auch völlig absurde Zölle sowie der wahnsinnige Versuch einer Annexion. Für Amerikaner war Kanada immer ein Zufluchtsort. Für Loyalisten im Unabhängigkeitskrieg. Und für Sklaven im Bürgerkrieg. Dann für Wehrdienstverweigerer im Vietnamkrieg. Und für Frauen im allzu realen fiktiven Geschlechterkrieg aus „The Handmaid’s Tale“.

Kanada war aber auch das Ziel lächerlicher Witze – ein ständiges Objekt des Spotts, Yin zum Yankee-Yang, universelle Gesundheitsversorgung und soziale Gerechtigkeit als Gegenentwurf zum nihilistischen „Wir werden alle sterben“-Gefühl der USA. Ein ruhiger und höflich passiver Nachbar, der unter einem von Trump ausgehandelten Handelsabkommen prosperierte, wurde so sehr als selbstverständlich angesehen, dass seine Existenz kaum wahrgenommen wurde.

Der ehemalige kanadische Premierminister Pierre Trudeau, Vater des kürzlich abgelösten Premierministers Justin, sagte einst, das Leben neben den USA sei wie das Schlafen mit einem Elefanten – jede Bewegung sei zu spüren. Doch wie ist es, neben einem wütenden, irrationalen, rachsüchtigen Orang-Utan auf Amoklauf zu existieren, einem Zölle verhängenden, Groll hegenden Mafiaboss mit narzisstischem Wahnsinn in Nero-Ausmaßen, der sich selbst als Mount-Rushmore-würdige historische Figur verewigen will – oder notfalls als Diktator –, selbst wenn er sich und Amerika zum Gespött macht?

Amerikanisches Image im Sinkflug

Donald Trump, selbsternannter Meistermarketer und Verkäufer, misst dem Wert seiner Marke höchste Bedeutung bei. Er behauptet, diese allein sei Milliarden wert – ein großer Teil seines erfundenen Vermögens gründet sich auf den immateriellen Wert seiner Jahrmarktsnummer im Stile von P. T. Barnum. Als Präsident hat Trump sich und seine betrügerischen Kinder mit dubiosen Krypto- und Creepo-Geschäften bereichert, wobei seine Familie sogar den Bau eines Trump-Golfplatzes für Bauern auf vietnamesischen Reisfeldern als neueste Erpressungsmasche forderte. Damit brachte er Korruption auf ein neues Tief – möglicherweise sogar rivalisierend mit seinem Vorbild Wladimir Putin.

Trump ist aber auch der Verwalter der wertvollsten Marke der Menschheitsgeschichte: der Vereinigten Staaten. Anstelle von Trumps mickrigen Milliarden ist die Marke Amerika Billionen wert, ein unermesslicher Wert, der gerade die radikalste Überarbeitung seit New Coke in den 1980ern erfährt.

Ein Werbeprofi aus Manhattan, der unter Obama für die Bewerbung von „Brand USA“ beauftragt wurde, erklärt mir, dass die damalige Botschaft simpel und effektiv war: Demokratie, Unabhängigkeit, Freiheit. Heute lauten die Schlagworte Kapitalismus und Kultur – was die Vorgänge jedoch nur mit schönen Worten beschreibt.

„Die Welt ist in Verleugnung dessen, was wirklich in Amerika passiert,“ sagt der Werbeprofi. „Die Wahl war ein Spiegelbild Amerikas – die Wahl zeigt, was Amerika gerade ist: frustrierte junge weiße Typen, wütend auf die Welt.“

Für Kanadier, die aus Protest gegen Trumps Angriff auf ihre Ökonomie und Souveränität US-Produkte boykottieren, besteht dennoch eine humorvolle Seite in der unwiderstehlichen Anziehungskraft amerikanischer Kultur. Eine Sketch der CBC-Sendung „This Hour Has Twenty-Two Minutes“ mit dem Titel „Canadians Anonymous“ illustriert das: verwirrte Kanadier bekennen, dass sie nicht genug von dreilagigem US-Klopapier bei Walmart bekommen können oder Diet Pepsi gegen generische kanadische Light-Cola tauschen wollen. In einer Art anonymen Gruppe gestehen sie ihre Rückfälle beim Kauf amerikanischer Produkte wie trockene Alkoholiker. Diese Liebes-Hass-Beziehung scheint einseitig: nur Kanada empfindet sie.

Trumps Negging bringt Kanadier zusammen

Star der Sendung ist Mark Critch, ein Neufundländer mit atlantischem Akzent und scharfem Humor. Kein Komiker für den US-Mainstream wie Mike Myers oder Jim Carrey, sondern einer, der für Kanadier produziert.

„Wenn ich in Toronto einen Manhattan bestelle, werde ich sofort misstrauisch angeschaut,“ sagt Critch. „Als wäre das das Schlimmste überhaupt.“

Critch vergleicht Trump mit einem toxischen Freund, der Kanada manipuliert, indem er behauptet, Amerika brauche kein kanadisches Holz, Stahl oder Wasser – obwohl das Gegenteil stimmt. Ironischerweise hat Trumps permanente Abwertung Kanadas einen historisch beispiellosen Patriotismus erzeugt. Vom urbanen Hipster bis zum Präriefarmer fühlen sich Kanadier durch Trumps Gier geeint. Jahrzehntelang definierten sich Kanadier über das „Nicht-Amerikanisch-Sein“. Dank Trump hat diese Negativdefinition neue Bedeutung erlangt – als beneidenswerte nationale Eigenschaft.

Der Con-Man im Potemkinschen Dorf

Ein wenig beachteter Aspekt von Hochstaplern ist, dass sie sich mit Leuten umgeben müssen, die dumm oder skrupellos genug sind, bei ihren Betrügereien mitzumachen. Trumps Hofstaat umfasst Trottel wie J.D. Vance, Poser wie Don Jr., und Fanatiker wie Peter Navarro, Stephen Miller und Kash Patel. Andere wissen, dass es ein Betrug ist, hoffen aber auf Profit – wie Elon Musk, je nach Ketaminspiegel. Gemeinsam hoffen sie, dass große Lügen zur Wahrheit werden, wenn sie nur groß genug sind.

Doch das Resultat ist, dass der Hochstapler selbst der einsamste Mann im Raum ist – oft sein eigenes Opfer, überzeugt von seinen Lügen, isoliert von der Realität. Der neue kanadische Premierminister Mark Carney – Ex-Goldman-Sachs-Banker – kennt diesen Typus. Im Weißen Haus hört er Trumps Lügen zu, kontert mit Fachjargon wie „Step Change“ in Handelsverhandlungen, während Trump verwirrt nickt. Carney ist der Gegenentwurf: ein global versierter Finanzstratege, der Trump nicht ernst nehmen muss.

Critch sagt: „Carney gibt Trump die Chance, nicht dumm zu wirken. Carney kann es ihm erklären. Er hat mit Typen wie Trump Erfahrung.“

Kanadas Plan: Post-Amerika

Trump lebt in einem Potemkinschen Dorf, einem globalen Schneekugel-Wahn, in dem nur er recht hat, Ausländer Zölle zahlen und er verehrt wird. Trotz universeller Abneigung in Kanada glaubt Trump weiter, Kanada werde der 51. Bundesstaat.

„Anfangs war das Kanada-Zeug ein Witz,“ sagt Critch. „Vielleicht ist es das immer noch. Aber die Welt merkt, dass es keinen Plan gibt.“

Carneys Plan lautet, Trump nicht zu provozieren. Aber hinter der Höflichkeit treibt Kanada Handelsabkommen mit Europa und Asien voran, baut interne Handelshemmnisse ab – und bereitet sich fieberhaft auf eine Welt nach Amerika vor.

Demokratische Vielfalt als Bollwerk

„Kanada“ stammt vom irokesischen Wort für eine Sammlung von Dörfern – ein passendes Bild für eine Gesellschaft voller Vielfalt. Politische Komplexität gibt es reichlich: Separatisten aus Quebec retteten die Wahl durch Stimmen für Carneys Liberale; während rechte Präriebewohner eine Abspaltung planen. Amerikaner fürchten „Polar Vortex“, Kanadier nennen es einfach Winter. Ihre Lösung für Probleme: Demokratie.

Unter der Oberfläche liegt jedoch die bittere Erkenntnis, dass Amerika kaum Verteidigung für Kanada zeigt. Erst mit wirtschaftlichen Folgen wuchs das Bewusstsein. Trumps Ablehnung von Vielfalt, Gleichheit und Integration ist ein direkter Angriff auf Kanadas Grundwerte. Kanada ist eine Einwanderernation wie die USA, steht aber vor demografischer Katastrophe ohne Zuwanderung. Toleranz und Vielfalt sind der einzig gangbare Weg in einer schrumpfenden, wärmeren Welt – ein Konzept, das Trump verhöhnt.

Abschied von Amerika

Am Grenzübergang nördlich von Watertown, New York, stauen sich an Memorial Day normalerweise Hunderte Fahrzeuge. Dieses Jahr: keine einzige Warteschlange auf kanadischer Seite, trotz Urlaubssaison. Nur das Auto meiner Kinder, zurück von der Uni.

Der Rückgang der Tourismuszahlen ist nicht nur Statistik, sondern Ausdruck eines zivilisatorischen Wandels. Die halb leeren Volksfeste in Minnesota, die Verkaufsanzeigen für Wohnungen in Florida, die leeren Hotels in Maine: Zeichen für eine tiefgreifende Entfremdung.

Aus Sicht jenseits des 49. Breitengrads wendet sich Amerika nicht von Kanada ab – sondern von sich selbst, seiner Geschichte, seiner Verfassung, der Welt. Für Kanadier fällt Amerika ins Bodenlose. Selbst Pressefreiheit wird infrage gestellt. Der Besitz dieses Magazins könnte an der Grenze bereits als Verbrechen gelten – je nach Pass, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit. Ein US-Grenzbeamter könnte alles beschlagnahmen, was der „Dear Leader“ missbilligt – auch ein Exemplar des ROLLING STONE.

Wer die Thousand Islands Bridge überquert, betritt das einzige echte Bollwerk, das Trump je errichtet hat: ein Land frei von der Selbstmitleid und Wut eines alten Mannes – das wahre Nord, stark und frei.