Voodoo im Elfenbeinturm

Viele Werke des Künstlers Carsten Nicolai ähneln naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen. Nun hat er unter dem Namen ANBB ein Pop-Experiment aufgebaut – mit Blixa Bargeld.

Ist das jetzt ein Kinderspiel oder Kunst auf der Höhe der Zeit? Für sein Projekt „AutoR“ ließ Carsten Nicolai in diesem Sommer die Temporäre Kunsthalle in Berlin mit einer weißen PVC-Haut überziehen. Alle Besucher durften vom Künstler entworfene Aufkleber in sieben verschiedenen Farben anbringen und so eigene Muster und Formen gestalten. Sogar eine Hebebühne stand zur Verfügung, um kreative Laien in bis zu elf Meter Höhe zu befördern. Das Ergebnis war ein Stück demokratisierte Kunst, ein verspielter Farbtupfer vor der staatstragenden Kulisse der Museumsinsel.

„Der Tod des Autors“, das „Eigenleben“ eines Werks, ist in der Kunst nichts Neues. Die Klarheit und Präzision, mit der Carsten Nicolai bei seinem jüngsten Projekt zur Sache ging, ist jedoch typisch für den 1965 in Karl-Marx-Stadt geborenen und heute in Berlin lebenden Künstler und Elektronikmusiker: „Viele meiner Arbeiten involvieren den Prozess, und ich bin eher an Gestaltungsprinzipien interessiert, als daran, ein fertiges Kunstwerk abzuliefern. Bei, AutoR‘ ist das offensichtlich, weil ich ja praktisch gar nichts zur Entstehung des Kunstwerks beitrage“, sagt er lächelnd und ohne einen Hauch von Eitelkeit. Es ist die Selbstorganisation der Dinge, die den studierten Landschaftsarchitekten interessiert; Prozesse, bei denen man nicht vorhersehen kann, was im Detail passieren wird. Diesmal waren es Ausstellungsbesucher, ein anderes Mal sind es Umwelteinflüsse oder Naturgesetze, die Nicolais Arbeiten prägen oder beeinflussen. Manche seiner Installationen sehen deshalb aus wie aufwendige naturwissenschaftliche Versuchsanordnungen. Da werden Schneekristalle gezüchtet oder Milch mit Bässen zum Wellenschlagen animiert, um die Kodierung der Welt zu entschlüsseln. Nicolai will auf diese Weise das schwere, sinnstiftende Kunstwerk an sich in Frage stellen. Doch es bleibt die skulpturale Qualität seiner Gerätschaften, die Faszination der Technik. Galerien und Museen von New York bis Tokyo lieben diese sehr deutsche Art von Kunst.

Unter dem Pseudonym Alva Noto macht Nicolai auch Musik und betreibt mit Frank Brettschneider das Label Raster Noton. Seine avantgardistischen Tracks, die meist um Loops und akribisch designte Sounds kreisen, realisierte er mit Künstlern wie Ryuichi Sakamoto, Michael Nyman und dem Ensemble Modern. Nun hat er unter dem Namen ANBB mit Blixa Bargeld „Mimikry“ veröffentlicht. Ein kühnes und dabei sehr zugängliches Album, das näher an den Einstürzenden Neubauten als an Nicolais bisherigen Werken operiert und mit Coverversionen von Harry Nilssons „One“ und dem Traditional „I Wish I Was A Mole In The Ground“ durchaus in der Pop-Tradition steht. „Der Reiz an einer Kollaboration ist ja, etwas zu machen, was man sonst nicht macht“, so Nicolai. „Mich interessiert hier der rohe Sound, das, was man primitiv nennen könnte.“ Eine hintersinnige, sorgfältige Primitivität, in der Sounds „verwittern“ dürfen und Elektronik Voodoo-Qualitäten entwickelt. „Mimikry“ klingt, als hätte Captain Beefheart ein Techno-Album aufgenommen und Blixa Bargeld seine Seele wiedergefunden. Wieder hat Nicolais Versuchsanordnung funktioniert – Wissenschaft schlägt Kunsthandwerk.

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