Wachablösung der Beknackten

Während sich kluge Künstler wie Blumfeld und Harald Schmidt zurückziehen, haben ausgerechnet die derben Bands Led Zeppelin und The Police den günstigen Moment für die Wiederkehr erkannt

Was werden wir die Reportagen aus den Buchhandlungen vermissen, die extra um Mitternacht öffneten und Kakao an Schlangestehende ausschenkten. Nachdem Harry Potter zu Ende ist, erwarten wir immerhin noch die zweite Folge des weltweit zweiterfolgreichsten Buches von 2007: der Jesus-Studie vom Benedikt XVI., die Erbauungsliteratur-Freunde in aller Herren Länder heillos überforderte. Als Theologe an der Hochschule Freising hätte Ratzinger das genau so schreiben können – um ein Star zu werden, um in die Bestseller-Charts zu kommen, muss ein Wissenschaftler sich allerdings erst zum Papst wählen lassen.

Öfter funktioniert es ja andersrum. Dass Leute sich als interessante Denker offenbaren, die aus ganz anderen Gründen berühmt sind. Obwohl Harald Schmidt im März 2006 in einem Interview der „Netzeitung“ sagte: „Das Kennzeichen des wahren Intellektuellen ist es, dass er in der Öffentlichkeit überhaupt nicht stattfindet.“ Als wolle er die Dinge gemäß dieser Aussage geraderücken, kündigte er dann 2007 seinen Rücktritt an: Spätestens in zwei Jahren werde er die Show höchstens noch als Urlaubsvertretung machen, bis dahin teilt er sich die Nachtmoderation schon mal mit dem Komödianten Oliver Pocher, über den man viel sagen könnte. Das Netteste davon wäre, dass er nicht lustig ist.

Dass Schmidt selbst Pocher für genial hält, darf man ihm nicht glauben. Dass es für einen vielleicht nicht intellektuellen, aber intelligenten Mann wie Schmidt auf Dauer trotzdem leichter ist, aus der Opposition, der väterlichen Widerrede gegen einen Feierabend-Plumpskomiker wie Pocher heraus zu sprechen (oder gleich ganz zu schweigen), das kann man allerdings nachvollziehen. Verabschiedet haben sich 2007 auch Blumfeld, die Hamburger Band um den Sänger und Dichterjochen Distelmeyer, der mit Harald Schmidt zumindest das gemeinsam hat, dass er oft als Intellektueller bezeichnet wird, das jedes Mal abstreitet, aber in seiner Kunst dann doch den Eindruck aufs Erfreulichste bestätigt. Und jetzt, in der Post-Popzeit, angeblich an seinem ersten Buch arbeitet. „Der Kreis schließt sich“, teilten Blumfeld mit: Bei der Arbeit an einem karriereübergreifenden Boxset sei ihnen aufgefallen, dass die letzte Platte einen Zyklus beendet habe, den man lieber so stehen lassen wolle. Eine großartigere Begründung für die Auflösung einer Band gab es noch nicht in der Musikgeschichte.

Dass später im Jahr dann ausgerechnet die Gruppen zurückkehrten, denen man ein so subtiles Verständnis für die Zyklen der Kultur nie unterstellen würde, ist kein Wunder. Led Zeppelin, The Police, Van Haien, die Mutproben für jede literarische Neigung, die Typen, die wie wenig andere den freien Oberkörper verkörpern, das Lautsein in der Bar, die schmierige Anmache. Leute, die merken, dass im Konzert-Sektor noch was zu holen ist. Harald Schmidt ist mal auf ähnliche Art zurückgekommen, in die ARD. Vielleicht wünscht er sich heute, er hätte das damals anders gemacht.

Dass sich die Intelligenten zurückziehen, während die Derben wiederkommen, kann nur einen, paradoxerweise schon wieder trivialen Grund haben: Klugheit. Die ja heute nicht mehr als Makel und Spielverderberei gilt, auch nicht bei schönen, volkstümlichen Personen. Im „Stern“ stand neulich, dass man sich mit den Jungschauspielerinnen des Proll-Regisseurs Klaus Lemke prima über Systemtheorie unterhalten könne. Können wir nicht. Weil wir von Systemtheorie keine Ahnung haben.

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