Warten auf die breitbandige Zukunft

VIVA und MTV wissen genau, dass sie einmal ganz groß sein müssen im Internet. Morgen. Oder spätestens übermorgen. Heute sind sie es jedenfalls noch nicht.

Ach, hups! Jetzt sollte Moderatorin Milka gerade der versammelten Interaktiv-Gemeinde zeigen, wie schick der neue Internet-Auftritt von Viva ist, da stürzt das Programm ab. Ein paar Sekunden vor Ende der Werbepause. Jetzt tuschelt die verantwortliche Mitarbeiterin hinter den Kulissen ziemlich leise in ihr Headset, in dem sie offenbar jemand ziemlich laut zusammenstaucht. Und Milka darf ein paar Meter weiter Live on Air feststellen, dass die Kaugummi-Kuschelbär-Viva-Insel im Internet von einem rauhen Sturm umtost wird. „Ah, ja, was ist das jetzt: Zum Anschauen der Viva-Site brauchst du… Flash… JavaScript…, sie starrt auf einen blauen Bildschirm, „hmmm, ach jetzt geht’s los.“

Keine halbe Minute dauert es, bis auf Milkas Bildschirm ein paar bunte Bilder flimmern und – hey! – die Uhrzeit „Das ist praktisch, das könnt Ihr laufen lassen, dann wisst Ihr immer, wie spät es ist“ Hmmm. Den supitollen Programmpiloten will sie noch zeigen, aber der knattert ächzend und sprotzend los und rückt nur langsam die Informationen über das Programm raus. „Das liegt an unserem langsamen Rechner“, sagt Milka. Klar. Zu Hause wird das sicher problemlos laufen, auf den Pentium-III-Türmen in den Kinderzimmern.

Das muss sie sein, die Digitale Revolution: Dass Viva, der Sender, der Naivität zur Haltung und Augenhöhe zum Maßstab gemacht hat, seine Zuschauer plötzlich nicht mehr da abholt, wo sie sind, sondern von weitem winkt, hinter einer Barriere aus Plug-ins, Browseranforderungen, Bildschirmmindestgrößen und ISDN-Verbindungen. Für den echten Genuss sollten sie schon einen T-DSL-Anschluss bestellen, jene Telefonverbindung der Zukunft, bei der man nicht mehr im Internet wartet, sondern in der Kundendienstschleife der Telekom. Jetzt stell Dir das mal mit Breitband vor“, steht neben der Briefmarke, die das Programm ist. Warum? Tja. Vielleicht weil Seitenbauer Paulus Neef, Chef der Multimediaagentur Pixelpark, Viva mit dem aufwändigen Auftritt Millionen aus der Tasche ziehen wollte, wie man bei MTV lästert. Vielleicht weil Viva-Digital-Chef Marc Adam selbst früher bei der Telekom war. Gut vielleicht auch, weil man anders das Internet nicht voranbringt, wie Adam sagt. Obwohl, „voranbringen“ und Viva…?

Abgestürzt ist einiges auch bei MTV, und nicht nur ein Browser. Die Interactive-Tochter in den USA hat gerade bekanntgegeben, ihren bereits verschobenen Börsengang komplett abzublasen. Auf einen Teil der Erlöse hatte das Online-Team von MTV Deutschland fest gebaut. Mal abgesehen davon, dass das kein schönes Symbol für den gerade ausgerufenen Aufbruch in die Welt der neuen Medien ist, wenn das US-Schwesterunternehmen zur gleichen Zeit ein Viertel der Belegschaft entlässt. Andererseits bleiben dann immer noch 300 Redakteure übrig; die Deutschen haben ihr Team gerade erst von drei auf 13 Mitarbeiter aufgestockt. Immerhin ein Anfang. Als Ziel hat Deutschland-Chefin Christiane zu Salm ausgegeben, im Netz so etwas wie CNN für Popkultur zu werden. Jeder, der etwas zum Thema Musik oder Lifestyle sucht, soll als erstes MTV anlaufen – selbst wenn er nach nur einem Klick wieder weg ist, weil er dank MTV gefunden hat was er sucht. Das ist als Anspruch nicht einmal vermessen: Nichts weniger als die erste Pop-Adresse im Netz muss MTV schon sein, wenn die Marke im Internet überleben will. Noch aber ist MTV Online den Künstler-Seiten oder Spezialisten wie rap.de nicht meilenweit voraus. Es gibt Nachrichten, ein paar interaktive Shows, neue Titel zum Hören und ein paar Interviews und Konzerte zum Abruf- und noch im Herbst sollen Struktur und Optik so verändert werden, dass man all das sogar findet. Im April will endlich die Main-Taunus-Verkehrsgesellschaft die Adresse www.mtv.de herausrücken – dann ist der Umweg über www.mtvhome.de Vergangenheit. Ganz ordentlich, das alles. Aber ordentlich reicht nicht. Nichts deutet darauf hin, dass Salms Ansage, richtig Geld auszugeben für den Auftritt und alle, die Innovatives zum Thema Musik im Netz machen, ins Boot zu holen oder gar zu kaufen, mehr ist als nur ein unverbindliches Statement.

MTV und Viva nähern sich dem Netz aus gegensätzlichen Richtungen: MTV als eine Musikseite, die zufällig von einem Fernsehsender stammt. Viva als Auftritt eines Fernsehsenders, der zufällig Musik sendet. Selbst Themenspecials und Videos on Demand werden unter www.viva.tv so präsentiert, als wären sie Teil des Tagesablaufes eines Fernsehsenders. Kern ist seit Oktober eine Art Vorher-Nachher-Show für Interaktiv: Eine eigene Moderatorin („Webjane“ heißt das) führt vor der TV-Sendung schon mal in das Thema ein, hinterher wechseln die Künstler von der TV-Couch auf die Web-Couch, um mit dem Publikum zu chatten.

Viel mehr passiert noch nicht in dem zweiten Stream, der die Keimzelle sein will für die theoretisch unbegrenzte Vervielfältigung der Viva-Programme. Irgendwann sollen hier eine Handvoll thematisch sortierter Programme gleichzeitig ausgestrahlt werden. Zur Zeit muss sich der Fan eines bestimmten Genres noch informieren, um welche Zeit im Stream Videos nach seinem Geschmack laufen, und dann gezielt einloggen. Aber schon die Genehmigung dafür von der Musikindustrie zu bekommen, soll ein hartes Stück Arbeit gewesen sein. Gerade weil die großen Musikverlage Gesellschafter sind, kann Viva sicher sein, immer der Letzte zu sein, der die Erlaubnis bekommt, Musik in die digitale Welt zu bringen. Ganz schön bitter.

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