Wörtersee – Der Bachmann-Blog III

Maik Brüggemeyer berichtet aus Klagenfurt, wo dieser Tage der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird. Von Leere ist dabei viel die Rede, von Langeweile und von Nebelwerferei. Und von Grundmoränenlandschaften.

Schriftsteller reisen gerne. Schriftsteller sind gern auf dem Land. Schriftsteller sind gern in der Stadt. Schriftsteller sind noch nicht angekommen. Schriftsteller schauen hinter die Wirklichkeit. Schriftsteller blicke auf die „Dinge an sich“. Schriftsteller sprengen Grenzen. Schriftsteller erzeugen Parallelwelten. Schriftsteller wollen nicht Autoren genannt werden, weil sie nämlich Schriftsteller sind.

All das kann man aus den Videoporträts der diesjährigen Bachmannpreis-Autoren… pardon… -Schriftsteller erfahren.

Sie wollen uns erzählen… aber sie erzählen gar nichts. Mit naivem Pathos spielen sie ihre Schriftstellerrollen, und die Juroren halten es nicht einmal für nötig, sie zu enttarnen, drehen sich um sich selbst und legen beiläufig die Latte, die es in diesem Jahr zu überspringen gilt, immer noch ein bisschen niedriger. Vergleiche zu Werken von Kafka, Kubrick, Ransmayr werden kurz in Betracht gezogen und verschämt wieder fallen gelassen. Von Leere ist viel die Rede, von Langeweile und von Nebelwerferei.

Der zweite Lesetag endet mit dem absoluten Tiefpunkt, Josef Kleindiensts (Foto) „Ausflug“. Zwei Männer misshandeln eine Frau, weil sie einem von ihnen 20 Euro schuldet. Soll tatsächlich so passiert sein in Österreich. Kleindienst belädt den Vorfall mit Adjektiven und Ganovenklischees aus US-Gangsterfilmen. Trivialliteratur. Alain Claude Sulzer, der gestern lernte, was ein auktorialer Erzähler ist, hat ihn hier erkannt (war aber auch wirklich nicht zu übersehen). Der Rest der Jury tänzelt am Abgrund entlang, ohne auch nur einmal hineinzuschauen. Der beste Kommentar kommt von einem ORF-Kameramann. Während Kleindienst liest, stellt er das Bild sehr elegant unscharf und blendet dann ins Schwarz. Er lacht verzückt. Sein Kollege nickt anerkennend.

Der andere Höhepunkt des Tages: Aleks Scholz liest „Google Earth“. Eine Grundmoränenlandschaft, zwei stoische Nachbarn, sozusagen mit der Scholle verwachsen. Einer von ihnen so sehr, dass er am Ende selbst zur Landschaft wird. Ein bisschen Peter Handke („Langsame Heimkehr“), ein bisschen frühester Detlev Buck – eine große Lakonie, eine stille Komik. Bitte lesen – und zwar hier.

Für den letzten Lesetag hoffen alle auf Peter Wawerzinek, der immer so großartig mit Sonnenbrille, hochrotem Kopf, wirrem Resthaar und alkoholischem Getränkt in der Sonne sitzt. 1991 war er schon mal in Klagenfurt dabei. Den Hauptpreis gewann jedoch Emine Sevgi Özdamar. Aber – um noch einmal auf Sibylle Lewitscharoffs Eröffnungsrede zurückzukommen – aus Niederlagen entsteht ja oft die größte Literatur. Hoffen kann man ja mal… Maik Brüggemeyer

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