Wörtersee – Der Bachmann-Blog IV

Lesen Sie Maik Brüggemeyers letzten Bericht aus Klagenfurt. Peter Wawerzinek erwies sich als wahrer Tausendsasser, der auch im Fußball oder neben dem Klavier glänzte. Gar nicht so glanzvoll waren hingegen die Juroren.

Peter Wawerzinek sitzt in der Sonne und raucht. Peter Warwerzinek trägt einen Schulranzen. Peter Wawerzinek sitzt am Wasser. Peter Wawerzinek liest. Peter Wawerzinek verliest sich grandios. Peter Wawerzinek rechtfertigt sich. Peter Wawerzinek spielt Fußball (mit der Nummer 13). Peter Wawerzinek singt seine Lieder zum Klavier.
Der dritte Lesetag war der Tag des Peter Wawerzinek. Im Wettbewerb, beim Fußballspiel der Bachmann-Mannschaft gegen das österreichische Autoren-Nationalteam (trotz 0:3 Niederlage), abends in der Bar. Sein autobiografischer Text über ein fantasiebegabtes Waisenkind war nicht makellos, aber berührend. Und berührend war bis dahin kaum etwas gewesen bei den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur. Jurorin Karin Fleischanderl stellte den Text darob gleich unter Kitschverdacht, der Autor selbst musste eingreifen: „Wenn ich mal was sagen darf: Es war nicht einfach, das zu schreiben, mich der eigenen Biographie zu nähern und ich habe Jahrzehnte dafür gebraucht – aber irgendwann muss man auch zu einem Schluss kommen. Irgendwann werde ich vielleicht auch mal lustige Bücher schreiben“. Die Juroren wirken an diesem Tag seltsam lustlos. Nie zuvor war eine Jury so sprachlos zerstritten. Das fiel besonders bei Iris Schmidts vollkommen biederem, sprachlich verunglücktem „Schnee“, zu dem sich niemand so recht äußern will, und im letzten Text das Tages:, Verena Rossbachers Romanauszug „Schlachten“. Ein Sprachevent, eine literarische Inszenierung, eine atemlose Performance. Fleischanderl, die selbst in diesem Jahr kein besonders gutes Händchen für literarisch anspruchsvolle Texte besaß, warf dem Jury-Vorsitzenden Burkhard Spinnen vor, immer die falschen österreichischen Autoren vorzuschlagen. Der Kritisierte reagierte pikiert, literarische Kategorien wurden erst gar nicht angefasst. Hubert Winkels holte zu einer großen Deutung des versponnenen Textes aus, Paul Jandl stichelte, Winkels‘ Paratexte seien mittlerweile längst selbst Literatur.

„Herzlich Willkommen zu den Klagen… zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt“, begrüßt Literaturkritiker Andreas Isenschmidt die 3Sat-Zuschauer zur Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises. Ein freudscher Versprecher wohl, denn zu klagen gibt es genug:

1. Die Qualität der Texte ist in diesem Jahr äußerst dürftig. Etwa die Hälfte hat bei einem solchen Wettbewerb eigentlich nichts zu suchen.
2. Die Juroren haben nicht nur schlampig ausgewählt (zumindest einige von ihnen), ihnen gelingt es auch in keiner Diskussion, ihre literarische Kriterien und Kategorien transparent zu machen. Ein Indiz für die Schwäche der Diskussionen: Keiner der Juroren lässt sich durch die Argumente seiner Kollegen umstimmen. Alle bleiben bei ihren vorgefassten Meinungen. Und mehr als Meinungen sind es eben auch nicht.
3. Am Tag der Preisverleihung fliegt genau eine Maschine von Klagenfurt nach Berlin. Viele sind daher schon am Flughafen, als es ernst wird.
4. Am Flughafen gibt es keinen funktionstüchtigen Fernseher. Alle starren auf ihre Handies und warten auf Kurzmitteilungen der Dagebliebenen.
5. Der Text von Verena Rossbacher ist nicht einmal auf der Short List.

Am Ende gewinnen aber die Richtigen. Peter Wawerzinek erhält den Bachmann-Preis, der zweite Platz geht an Dorothee Elmiger. Das Flugzeug hebt ab – und alle reden nur noch vom Fußballspiel am Nachmittag. So enden die Tage der deutschsprachigen Literatur wie sie begannen.

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