Wolfgang Doebeling, Beatles-Fan von 1963 bis ’64, über Sinnsuche und schicksalsmächtige Begegnungen im Leben des George Harrison

Ein ruhiger Nachbar sei Mr. Harrison gewesen, sagen die Leute, unter denen er gelebt hatte. Man habe ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Nur manchmal, in der Abenddämmerung meist, sah man ihn über das Wasser gehen. George hatte Wege aus Steinplatten anbringen lassen, ein Inch unter der Oberfläche des Teiches von Friar Park. So nannte George sein weitläufiges, semi-gothisch bebautes Anwesen in Henley-on-Thames, Oxfordshire, England.

Nein, humorlos war Harrison mitnichten. Kaum einer der Filme, die er mit seiner Firma HandMade produziert hatte, ist ernsthaft. The Rutles! Eine köstliche Beatles-Persiflage, die Paul nicht sehr schätzte, Ringo nicht raffte und John wohl als Kasperletheater abgetan hätte, wäre George nicht involviert gewesen. „“The Life Of Brian“! Ein blasphemischer Bibel-Spott, ja die „Verhöhnung des Heiligsten“, wie die katholische Kirche seinerzeit klagte. Ketzer George. Ausgerechnet. Derselbe George, der „“My Sweet Lord“ wenn nicht geschrieben, so doch jubiliert hatte. Der Mystiker und Mahner. Vornehmster Vertreter transzendentaler Meditationslehren. Als Peter Blake das Cover für „Sgt. Pepper“ collagierte und die Fab Four fragte, welche Figuren sie dort gerne verewigt sähen, lieferten John und Paul lange Listen, Ringo war es wurst, George aber nannte nur Gurus. Von denen Blake mit Mühe immerhin vier unterbringen konnte. Maharishi Mahesh Yogis beharrlichster Jünger.

Als John längst hinter die Fassade des Guru-Geschäfts gelinst und sich eilig abgeseilt hatte, nachdem Paul das Interesse an fernöstlichem Humbug verloren und Ringo es aufgegeben hatte, Interesse dafür zu heucheln, reiste George unbeirrt weiter gen Ganges und geizte nicht mit Bimbes für den unter Beschuss geratenen Guru. Erst als Mia Farrows Anschuldigungen, vom Erleuchteten böse belästigt worden zu sein, höchstrichterlich bestätigt wurden, ging Harrison enttäuscht auf Distanz. Und schloss sich umgehend den hausierenden Heilsverkündern des Radha Krishna Temple an. Während John & Paul in „“Sexy Sadie“ mit dem notgeilen Yogi abrechneten und im selben Abwasch das eigene Eso-Unwesen exorzierten, fand George nicht nur Gefallen am „Rama Rama“ der Bettelmönche, sondern pushte deren Gebets-Mantra via Apple Records sogar in die UK-Charts.

Slapstick-Spezialist Richard Lester weiß zu berichten, wie und wo der gute George auf den spirituellen Trichter kam. Es passierte auf den Bahamas bei den Dreharbeiten zu „“Help!“. Harrison, so der Regisseur, habe sich am Strand gelangweilt, als ein Inder auf einem Fahrrad vorbeikam und ihm ein Pamphlet über die Wunder der Meditation in die Hand drückte. Ach, Kinder statt Inder! Hier, als Stoßseufzer, muss dieser fiese Slogan gestattet sein. Denn folgt man Lester, dann starb damals George Harrison, der pfiffige, pragmatisch denkende Junge mit Liverpooler Mutterwitz und frei von Flausen. Was er denn tun würde, wenn der Beatles-Spuk vorbei sei, wurde er noch 1965 von einem Reporter gefragt, wenige Wochen vor der Inder-Überraschung. Die Medien waren sich ja in nichts mehr einig als in der Geringschätzung all dessen, wofür die Beatles standen. Die Musik sowieso, aber auch der phänomenale Erfolg der Pilzköpfe galt der Journaille nur als ebendas: ein Phänomen. Eine Seifenblase, mit deren Platzen eher früher als später zu rechnen war. George war die Frage also geläufig, und seine Antwort schien ihm die einzig plausible: seine abgebrochene Elektrikerlehre würde er vielleicht abschließen oder in die Fußstapfen des Vaters treten. Der war Busfahrer. Am liebsten aber, so der scheue „dritte“ Beatle bescheiden zum nachsichtig lächelnden Interviewer, am liebsten würde er bei der Musik bleiben.

Der eine George starb, der andere wurde neu geboren als habitueller Sektierer, lernte Sitar zu spielen und der Beatlemania zu misstrauen, verkaufte in den ersten Jahren nach dem Band-Split mehr Solo-Platten als die anderen Ex-Fabs, versuchte bei Konzerten vergeblich, sein Publikum zum Mitsingen von Mantras {„Ommmm Christ, Ommmm Christ“) zu bewegen und engagierte sich im britischen Wahlkampf für dieselbe Natural Law Party, die später als Naturgesetzpartei auch hier zu Lande aktiv wurde und zur Lösung sämtlicher politischer Probleme das kollektive Hüpfen im Schneidersitz propagierte. Kein Witz, leider.

Auch nicht gerade komisch ist das mediale Brimborium um die Bestattungsriten am Heiligen Fluss der Hindus und das salbungsvolle, in Anbetracht der nur zu Anthology-Zwecken unterbrochenen Funkstille zwischen den Ex-Kollegen reichlich verlogene Lamento. Ringo will in George seinen „best friend“ verloren haben, Paul gar seinen „baby brother“. Hello, goodbye. Der Rest der Welt rühmte den ingeniösen Gitarristen, den Komponisten von „Something“ und den Erfinder des Triple-Albums. Tiefgang wird ihm nun gern attestiert, ein Suchender nach den ewigen Wahrheiten sei er gewesen. Eine sehr endliche Erkenntnis offenbarte sich George Harrison 1997, als bei ihm Krebs diagnostiziert wurde. „“I got it purely from smoking“, wusste er, „nobody else to blame.“ Eine sehr irdische Botschaft, von der er hoffte, dass sie „vor allem junge Menschen“ erreichen würde. Für ihn selbst kam sie zu spät.

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