Eric Pfeils Pop-Tagebuch

Yoghurt über Matt Bianco oder Was „Indie“ von „Alternative“ unterscheidet: Stoppok!

Folge 89

Die Release-Tour zu meinem neuen Album bestreite ich in einem angeschlagenen roten Kleinstwagen, den ich vor Jahren einer Freundin abgekauft habe. Mancher mag das für unkommod halten, aber man kann mit dem Teil vortrefflich durchs Land knattern. Im CD-Player auf Dauerrotation: eine Chuck-Berry-Best-Of.

Der Tourauftakt fand am vergangenen Samstag im Ramones-Museum zu Berlin statt. Ein sehr charmant geführter Laden, den es dringend zu besuchen gilt, wenn man sich für die Macht simpler Harmonien, herrlicher Bubblegum-Melodien und schwarzer Lederjacken interessiert.

Meine Konkurrenz an diesem Berlin-Abend ist nicht zu unterschätzen: In der Zitadelle in Spandau vereinen sich Faith No More wieder, der FC Barcelona spielt gegen Juventus Turin, es herrschen hochsommerliche Terrortemperaturen, und – als wäre das nicht genug – ist auch noch Internationaler Organspendertag. Apropos Organe …

Im Ramones-Museum ist es auch ohne Mithilfe des Sommers ordentlich warm, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass über dem Punkrock-Tempel ein Yoga-Bikram-Studio liegt, in dem erlebnisorientierte Menschen bei 40 Grad Yoga machen. Es gibt nur wenige Dinge, die man bei 40 Grad machen sollte. Schweinebratenessen, Tarantella-Tanz und Yoga zählen meines Erachtens definitiv nicht dazu.

Nach dem Konzert kauft mir die zufällig anwesende Schwester von Dee Dee Ramone ein Album ab, das ich für ihre ebenfalls anwesende Tochter Chelsea signieren soll. Ich frage mich, wie sich meine Musik für eine knapp 20-jährige Amerikanerin anhören muss. Na ja, sie wird ihr nicht das Leben ruinieren.

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James Last ist tot. Der Mann, der wie kein Zweiter den holzvertäfelten Partykeller meiner Eltern in den Siebziger Jahren mit seinem aufgekratzten Partysound durchdröhnt und damit für zahllose heitere Abende gesorgt hat, ist endgültig von Bord des großen Unterhaltungsdampfers gegangen.

Vor ein paar Jahren war ich mal auf einem seiner Konzerte. Ich war sehr beeindruckt. Last stand im cremefarbenen Anzug auf der Bühne, wirbelte beiläufig mit der rechten Hand in der Luft herum, tätschelte auf dem Bühnenrand sitzenden Kindern den Kopf und riss Witze über seine Mitmusiker. Gelegentlich räumte er auch auf der Bühne irgendwelchen Kram hin und her. Einmal fragte er plötzlich: „Kennt Ihr Amy Winehouse?“, woraufhin „Rehab“ im schmissigen Non-Stop-Dancing-Sound durch die Arena breittrete und eine sich dazu eine fröhliche Polonäse durch die Reihen schob. Ein toller Abend, und in Show-Belangen besser als jedes Muse-Konzert. Jetzt ist die Never-ending-Tour vorbei. Ich höre jetzt mein Last-Lieblingsstück „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“. R.I.P. Käpt’n James.

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Gestern erwähnte irgendjemand in einem Gespräch die Achtziger-Bossa-Popper Matt Bianco. Fällt der Name Matt Bianco, muss ich immer daran denken, dass ein Mitglied der gleichzeitig aktiven Band Fine Young Cannibals einem Matt-Bianco-Musiker mal im Rahmen irgendeiner Preisverleihung Yoghurt über den Kopf geschüttet hat. Vermutlich, um damit seinem Missfallen an der Musik der Kollegen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Oder war es andersrum? Hat ein Mitglied von Matt Bianco einem Fine-Young-Cannibals-Musikus das Milchprodukt über den Kopf gegossen? Ich glaube, hier liegt ein klassischer Fall von „Gehopst wie gesprungen“ vor. Matt Bianco/Fine Young Cannibals: Ich verehre beide Bands und besitze all ihre Platten mehrfach. So oder so: Ich fände es wünschenswert, wenn sich wieder mehr Musiker öffentlich gegenseitig mit Yoghurt begössen. Gerne auch zu Charity-Zwecken, aber bitte ohne den ganzen blöden Nominierungsquatsch.

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In jeder Stadt, in die mich meine Konzertreisen führen, kaufe ich mir eine Platte, um dann abends beim Konzert etwas darüber zu erzählen. In Berlin erstehe ich günstig die Naked-Prey-EP „40 Miles From Nowhere“.

Der Plattenladen, in dem ich das Album erwerbe, hat ein ulkiges Sortierverfahren: Zu meinem Erstaunen stoße ich hier nämlich auf ein „Indie“-Fach, das gleich neben einem „Alternative“-Fach liegt. Hmmm … Abgesehen davon, dass beiden Begriffen etwas Ekliges anhaftet: Verhält sich „Indie“ nicht zu „Alternative“ wie die Fine Young Cannibals zu Matt Bianco? Auf meine Nachfrage, behauptet der Verkäufer meine Sprache nicht zu sprechen. Guter Versuch. Im „Indie“-Fach entdecke ich dann auch noch Lenny Kravitz, dafür gibt es im „Alternative“-Fach ein Stoppok-Album. Einigermaßen irritiert zahle ich und trotte mit meiner Naked-Prey-Platte von dannen.

Am Abend vergesse ich leider meine obligatorische Plattenkauf-Geschichte zu erzählen – vermutlich wegen der Hitze im Club. Darum hier kurz etwas zu der Platte: Naked Prey gehören mit Green On Red und Giant Sandworms (Später Giant Sand) zu den in Tucson/Arizona ansässigen Desert-Rock-Pionieren, deren Schaffen den amerikanischen Indierock der Achtziger entscheidend prägen sollte. Natürlich gibt es reichlich personelle Überschneidungen mit anderen Tucson-Bands: Sänger Van Christian etwa trommelte früher bei Green On Red. Drummer Tommy Larkins wiederum erlangte später milden Ruhm als Schlagzeuger bei Jonathan Richman. Die EP „40 Miles From Nowhere“ klingt ziemlich genau wie sie heißt: Es rumpelt, es bollert, es jeansrockt; der Sound der Snare ist so gigantös (wir schreiben das Jahr 1987), dass man auf ihm ein Champions-League-Endspiel austragen könnte. Anders ausgedrückt: Im Vergleich zu Naked Prey klangen Green On Red wie Wimps. „Wichita Lineman“ wird auch gecovert. Man ahnt, dass die Version nicht eben durch Sensibilität besticht. Super Platte – volle Punktzahl!

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Die Dame, die bei Matt Bianco ab dem zweiten Album die weiblichen Gesangparts bestritt, ist die englischstämmige Jazzsängerin Jenny Evans. Angeblich wurde sie vom „Time“-Magazine dereinst als „the leading female jazz singer in Germany“ bezeichnet. Bei Wikipedia findet sich zudem dieser schöne Satz: „Die Münchnerin machte daneben auch als Schauspielerin, Synchronsprecherin und auch Gastronomin auf sich aufmerksam.“

Vorgängerin von Evans war auf dem ersten Matt-Bianco-Album die polnische Sängerin Basia Trzetrzelewska, die 2014 von ihrem Heimatland Polen mit dem Ritterorden Polonia Restituta ausgezeichnet wurde. Womit sie sonst auf sich aufmerksam machte, weiß ich nicht.

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Wie das Spiel Faith No More gegen Juventus Turin ausgegangen ist, habe ich am Ende gar nicht mehr mitbekommen. Joghurt ist wohl auch nicht geflossen. „Indie gegen Alternative: 10:0“, informiert das aus einem vorbeifahrenden Auto dröhnende Radio. Im Matt-Bianco-Museum gehen die Lichter aus. Ich werde bald als Gastronom auf mich aufmerksam machen. Vielleicht gibt es ja auch einen Ritterorden dafür.

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