You’re Gonna Need a Bigger Blockbuster: „Der weiße Hai“ wird 50
Warum Steven Spielbergs bahnbrechender Film „Der weiße Hai“ über drei Männer und einen Riesenfisch auch fünf Jahrzehnte später noch kraftvoll zubeißt

Der Hai weigerte sich zu funktionieren. Das Hauptboot drohte zu sinken. Der junge Regisseur, der darauf bestand, auf offenem Meer zu drehen. Er erlitt beinahe einen Nervenzusammenbruch. Später gab er zu, dass ihn die Produktion mit ernsthaften PTSD-Symptomen zurückließ. Zwei der Hauptdarsteller hassten einander. Der britische Bühnenschauspieler hielt den zotteligen Neuling für einen rotznasigen Bengel. Und sein jüngerer Co-Star sah in dem Veteranen einen trunksüchtigen Schauspieler mit Größenwahn. (Die dritte Figur im Haupttrio war zufrieden damit, den Schiedsrichter zu spielen und in schwarzen Badehosen zu sonnenbaden.)
Die Einheimischen waren kurz davor, gegen das Hollywood-Filmteam zu rebellieren, das in ihre abgeschottete Inselgemeinschaft eingefallen war, um dort zu drehen. Der Studiochef flog persönlich ein, um das Ausmaß des Schadens zu begutachten. Und war bereit, das Projekt abzubrechen. Branchenblätter veröffentlichten Schlagzeilen darüber, wie diese verspätete, überbudgetierte Adaption eines Strandromans alle Beteiligten in den Abgrund reißen würde. Nur ein Freund des Regisseurs, ein bärtiger Kollege, der gerade ein Drehbuch schrieb, das in einer weit, weit entfernten Galaxie spielte, prophezeite den Erfolg. Bei einem Setbesuch warf er einen Blick auf den riesigen animatronischen Hai. Der meist nicht funktionierte. Er erklärte, der Film würde ein riesiger Hit.
„Der weiße Hai“ zum 50. Jubiläum:
Fünf Jahrzehnte Filmgeschichte später können wir alle über die Entstehungsgeschichte von „Der weiße Hai“ wissend lachen. Zumal dessen katastrophaler Produktionsmythos ein fester Bestandteil seines Erbes geworden ist. Am 20. Juni 1975 kam Steven Spielbergs Geschichte über drei Männer und einen Hai endlich in die Kinos. Sie brach Kassenrekorde. Löste einen branchenweiten Umbruch aus. Und wurde zu einem popkulturellen Bezugspunkt sowie einem PR-Segen für zahnreiche weiße Haie.
Eine Jubiläumswelle mit Biss
John Williams’ aus zwei Tönen bestehendes Thema für das titelgebende Wesen ist für die meisten Menschen so wiedererkennbar wie der Beginn von Beethovens fünfter Symphonie oder „Happy Birthday“. Der Film wurde teilweise dafür verantwortlich gemacht, dass er den ersten Sargnagel in das sogenannte „New Hollywood“ trieb. Und zugleich dafür gefeiert, dass er eine Büchse der Pandora öffnete, aus der uns 50 Sommer lang eine bestimmte Art von Blockbuster entgegensprang.
Ähnlich wie ein anderer Film, der 22 Jahre später auf dem Wasser spielte, widersetzte sich „Der weiße Hai“ auf wundersame Weise einem Heer betrunkener Pessimisten. Und riss den Sieg aus dem, nun ja, Maul der Niederlage. Die Ironie, dass ein Film, der auf dem Ozean gedreht wurde, eine Kunstform umgestaltete, wirkt bis heute stark.
Er ist heute genauso zitierfähig, trivia-tauglich und viszeral wie damals
Das Jubiläum wird mit dem gebührenden Tamtam gefeiert. Darunter Laurent Bouzereaus „definitive Insidergeschichte“-Dokumentation „Jaws@50“. Eine kommende Ausstellung im Academy Museum of Motion Pictures. Und eine neu aufgenommene Einführung von Spielberg selbst, die vor dem Film auf Peacock läuft. Diese Ehrungen reihen sich ein in zahlreiche weitere Huldigungen an das, was Newsweek als „Jawsmania“ bezeichnete. Von Büchern (wir können Carl Gottliebs unverzichtbares „The Jaws Lo“g gar nicht genug empfehlen) über Theaterstücke bis hin zu Blu-Ray-Sondereditionen und limitierten Retro-Dosen von Quints geliebtem Narragansett-Bier.
Solcher Rummel scheint fast überflüssig. Denn der Film hat das kulturelle Bewusstsein nie wirklich verlassen. Er ist heute genauso zitierfähig, trivia-tauglich und viszeral wie damals. In der Dokumentation erinnert sich Superfan Steven Soderbergh an die Eröffnungsszene, in der eine nächtliche Schwimmerin zu einem Mitternachtssnack wird. Er fragte sich: „Wenn sie das in den ersten fünf Minuten zeigen – was zur Hölle machen sie dann im Rest des Films?“ Die Antwort: genau das, was der Hai mit seinem Opfer tut. Uns hin- und herzerren, bis wir atemlos sind. Der Unterschied ist, dass „Der weiße Hai“ es mit etwas weniger Raserei und viel mehr Finesse tut.
Der Archetypus des Blockbusters
Wenn man sich die Szene nach längerer Zeit noch einmal ansieht, fällt einem nicht die Gewalt des Angriffs ins Auge. Sondern wie dynamisch alles drum herum ist. Spielberg ist, genau wie sein Antagonist, mit Geduld gesegnet. Und wartet auf den perfekten Moment zum Zuschlagen. Es gibt nur minimale Vorbereitung. Aber eine maximal aufrechterhaltene Spannung, die zeigt, dass man in guten Händen ist. Selbst wenn der damals 28-jährige Filmemacher nur einen Spielfilm vorzuweisen hatte. (Genau genommen hatte Spielberg zwei Filme gedreht. Und er weist darauf hin, dass sowohl der fürs Fernsehen produzierte Duel als auch sein „zweiter“ Film wie Geschwistergeschichten über Leviathane seien. Nur dass einer davon an Land spielt.)
Aber der Schnitt von der Hai-Perspektive zur Lagerfeuerszene erschüttert, obwohl er alte Sommerflirt-Romantik suggeriert. Und die Stille nach dem letzten Untertauchen der jungen Frau trifft umso härter nach dem nervenaufreibenden Lärm. Der gesamte Film folgt diesem Bauplan. Gerade wenn man glaubt, es sei sicher weiterzuschauen – schlägt „Der weiße Hai“ zu. Dann zieht er sich zurück. Und wartet. Und wartet …
Diese Fähigkeit, mit solchen Dynamiken zu jonglieren, fehlt heutigen Blockbustern oft. Und mit 50 Jahren Abstand erkennt man umso klarer, dass „Der weiße Hai“ nicht nur ein Vorbote dessen war, was noch kommen sollte. Sondern auch ein Kind seiner Zeit. Es liegt ein siebziger Jahre-Muff über Spielbergs Monsterfilm-Abenteuerthriller, selbst wenn er in Achterbahn-Modus geht. Man sieht es in den vielen Massenszenen. Ob am Strand oder in vollen Versammlungsräumen. Die meisten Darsteller waren Bewohner von Martha’s Vineyard, das hervorragend als fiktives Amity fungierte. Und der Regisseur gönnt ihnen und der Umgebung die ganze Norman-Rockwell-Americana-Behandlung.
Ein Kinoerlebnis, das zubeißt
Doch die Gesichter und die Mode, ganz zu schweigen von Paranoia und Panik, fühlen sich sehr nach Seventies an. Viel vom melancholischen Zeitgeist, der Peter Benchleys Bestseller durchdringt, wurde herausgefiltert – und doch wirkt etwa die Szene im Esszimmer der Brodys, in der Roy Scheiders Polizeichef Wein in ein Bierglas (!) kippt und Richard Dreyfuss’ skeptischer, sarkastischer Ozeanograf nächtliches Herumschnüffeln vorschlägt, als finge sie mehr ein als bloße Spannung und Schrecken. Ganz zu schweigen von Murray Hamiltons Bürgermeister, „Tricky“ Larry Vaughn.
Setzt man „Der weiße Hai“ in den Gesamtkontext der Filmgeschichte, wird umso deutlicher, wie Spielbergs Meisterwerk tatsächlich das fehlende Bindeglied zwischen zwei anderen Filmen ist, die die Ära (und/oder die Zukunft – je nachdem) prägten: „Der Exorzist“ und „Star Wars“. William Friedkins Horror-Meisterwerk von 1973 nimmt sich ebenfalls Zeit, bevor es einen am Revers packt und den Würgereflex triggert, bemüht sich aber sichtlich, als Prestigeprojekt zu gelten. George Lucas’ Weltraumsaga von 1977 ist pures pavlovsches Pop-Vergnügen und weiß, wie man angestaubte B-Movie-Elemente fürs Massenpublikum modernisiert.
Gefühl für Charakter, ein Hauch Zynismus und eine gesunde Skepsis gegenüber dem System
„Der weiße Hai“, fast exakt in der Mitte zwischen diesen beiden Schlangen-vor-dem-Kino-Hits, ist der perfekte dritte Brei: Er bewahrt ein Gefühl für Charakter, einen Hauch Zynismus und eine gesunde Skepsis gegenüber dem System – wie „Der Exorzist“ – und spielt das Publikum so effizient, effektiv und universell wie „Star Wars“.
Er lieferte auch einen Film, den man nicht nur ansah, sondern erlebte – weshalb das Publikum immer wieder zurückkam und die Studio-Bosse begannen, den Schatz solcher Wiederholungsgänger zu jagen. Wir sind nicht die ersten, die Dreyfuss’ Beschreibung des weißen Hais als „perfekten Motor … ein Wunder der Evolution. Diese Maschine tut nichts anderes als schwimmen, fressen und kleine Haie machen“ hören und darin gleichzeitig eine großartige Beschreibung des Films selbst sehen. Und wir werden nicht die letzten sein. Es ist ein Paradebeispiel für Kino als Droge für Dopamin-Kicks – präzise gemacht, mit kalkulierten Höhepunkten. Und genau das wird „Der weiße Hai“ oft zum Vorwurf gemacht: Er habe so viele Babyhaie hervorgebracht, die über Jahrzehnte hinweg ihre Ozeane leergefressen haben.
Nixon-Ära-Ahab, der eine Geschichtsstunde über die U.S.S. Indianapolis hält
Doch Spielbergs Mischung aus Kinoverabredung am Freitagabend, Matinee-Action am Samstag und sonntäglichem Katergefühl wirkt noch immer wie ein Raubtier an der Spitze der Nahrungskette. Man bekommt eine irrwitzige Dosis an filmischer Technik, durch eine visuelle und akustische Sprache, die der junge Regisseur und seine Mitstreiter sowohl aus der Vergangenheit stehlen als auch für die nächste Generation neu auflegen.
Man bekommt einen Schockmoment, der alle Schockmomente übertrifft – den Spielberg im Pool seines Cutters in Los Angeles nachdrehte, für maximale Wirkung. Und man bekommt eine volle Stunde Siebzigerjahre-Charakterdrama mit Koffeinschub und ein letztes Viertelstündchen, das nur noch nach vorne prescht. Und man bekommt einen Nixon-Ära-Ahab, der eine Geschichtsstunde über die U.S.S. Indianapolis hält – ein Monolog, an dem nicht weniger als drei Autoren mitgeschrieben haben (es ist kompliziert), den wir neben „Wir werden immer Paris haben“ aus „Casablanca“ und „Wir schaffen das, Pops“ aus „Der Pate“ stellen würden. Die meisten zeitgenössischen Filme schaffen kaum eines dieser Elemente. „Der weiße Hai“ bietet uns seit 50 Jahren alle – angehängt an ein Gefährt mit perfektem Motor. Und Hollywood: Du wirst nicht nur einen größeren, sondern auch einen besseren Blockbuster brauchen, wenn du das jemals übertreffen willst.