Zehn Jahre hat FRANK SCHULZ für den zweiten Teil seiner genialischen „Hagener Trilogie“ gebraucht

Zehn Jahre hat sich Frank Schulz m Zeit gelassen, um seinem genialischen und zu Recht hochgelobten Debüt „Kolks blonde Bräute“, dem besten deutschen Trinkerroman aller Zeiten, dem nicht nur in den einschlägigen Kreisen nachgerade kultische Verehrung zuteil wurde, endlich einen ebenbürtigen, nein, besseren Nachfolger an die Seite zu stellen: „Morbus Fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“ (Haffmans Verlag) heißt dieser zweite Band seiner „Hagener Trilogie“, ein wahrhaftiges Buchstabengebirge, das Laurence Sterne, Eckhard Henscheid, Arno Schmidt, Heino Jaeger et alii, die sprachmächtigsten Exponenten der komischen Literatur mithin, beerbt und auf originäre Weise fortschreibt.

Dieses Buch ist ein Ereignis, denn seit den Frühwerken von Henscheid und Schmidt hat man in der deutschen Literatur nicht mehr eine Sprache in dieser barocken resp. expressionistischen Prachtenfaltung gelesen, die bei aller Avanciertheit sachgemäß bleibt, ihre ganze Fülle gleichsam in den Dienst eines forcierten Realismus stellt. Eine Sprache, die mit der gleichen detailprallen Genauigkeit ein Gewitter, einen Striptease, die Unwägbarkeiten des Gefühlslebens eines Mittdreißigers, Kindheitsreminiszenzen, viele viele wunderschöne Beischlafszenen – und eine wahnwitzige Autobahnfahrt bei voll aufgedrehtem Kassettenrekorder undjimi Hendrix‘ Wah-Wah-Exerzitium „Voodoo Child (Slight Return)“ abzukonterfeien in der Lage ist. Eine Sprache, die dennoch lesbar und in hohem Maße witzig ist, das gesprochene Wort zu seinem Recht kommen lässt und quasi-Iautschriftlich nachbildet und die zu alledem eine artifiziell strukturierte, über weite Passagen spannende Handlung trägt.

Einmal mehr ist Bodo Motten der Ich-Erzähler, und auch Satschesatsche, Kolki und die anderen treten wieder auf- diesmal allerdings eher als Randfiguren -, seine alten Kumpel aus Hagen, dem kleinen niedersächsischen Dorf bei Stade, in dem Bodo aufgewachsen ist. Den Nukleus des Buches bilden seine drei umfangreichen Tagebücher aus den Jahren 1994/95, die in ausufernden, shandyesk mäandernden, abschweifenden Rückblicken die Geschehnisse der letzten sieben Jahre mitteilen: Als Teil-, später Vollzeit-Redakteur und schließlich gar Redaktionschef des Hamburger Anzeigenmagazins „Elbe Echo“ macht er ein Karrierchen, gibt dafür sein Germanistik-Studium auf, kündigt irgendwann entnervt von der eintönigen Arbeit als Zeilensklave, die so sehr im Kontrast steht zu seinen schriftstellerischen Ambitionen, fangt aus Existenznot wieder an und initiiert schließlich mit einer zivilisationsmüden „Menschheitsbeschimpfung“ seine Entlassung.

Der „Brain Blues“ wird halt immer schlimmer. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt das Doppelleben, das er mit Unterbrechungen über sieben Jahre lang führt. Eigentlich ganz glücklich verheiratet mit der klugen, weltgewandten Anita, beginnt er eine Liaison mit der prallen, plebejischen Bärbel, deren „spektakulärer Hintern“ ihn schier um den Verstand zu bringen droht Das passiert dann auch wirklich. Er spintisiert sich eine Psychogrippe zusammen, die Fontanellenkrankheit (Morbus Fonticuli), flüchtet sich ins Hagen seiner Kindheit, ins „Kaff“, lebt für ein paar Tage in einer Erdhöhle im Wald, wird dort aber von den Freunden gefunden und mit sanfter Gewalt in die Geschlossene überstellt. Am anrührendsten ist der Schluss, in dem sich Bodo leicht melancholisch, nostalgiebesoflen an die Kindheit zurückerinnert – und Frank Schulz noch einmal seine ganze Warmherzigkeit und Mitleidsfähigkeit offenbart.

Gebt diesem Mann Preise, viele Preise, auf dass er bald fortfahre und wir nicht wieder zehn Jahre auf den nächsten Teil warten müssen!

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates