Der Mann der tausend Klänge – Zum Tod von Prince

Er kannte kein Schwarz, kein Weiß, er wünschte sich, alle wären nackt. Und er komponierte Musik, wie wir sie nie zuvor gehört hatten. Zum Tod von Prince.

Es ist erst sieben Tage her, als Prince zum letzten Mal auf der Bühne Lieder anstimmte, in Atlanta, im Rahmen seiner „Piano & a Microphone Tour“. Es war die erste Solo-Konzertreise seines Lebens, er saß alleine am Klavier. Zu den letzten Songs an diesem Abend, den letzten Songs seines Lebens, würden gehören: „Sometimes It Snows In April“, „Purple Rain“, „The Beautiful Ones“ und „Diamonds and Pearls“. Es sind jene Lieder, die ihn so groß gemacht haben, auch, weil er stets mit offenem Visier kämpfte: Er war ein Zweifler, ein Gewinner, ein Verführer, und der, der mit letzter Kraft immer weiter machen will.

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Prince wurde als Prince Rogers Nelson in Minneapolis geboren, bis zum Alter von 18 Jahren beherrschte er über 20 Instrumente. Was blieb der Plattenfirma Warner Bros da anderes übrig, als ihm für sein Debüt ein Privileg zuzusichern, eines, das noch kein Label zuvor einem Newcomer gegeben hatte. Seitdem schmückte jedes Prince-Album das sagenhafte Siegel: „Produced, Arranged, Written and Composed by Prince.“

Im Roxy Theatre. Los Angeles, 1979
Im Roxy Theatre, Los Angeles, 1979

Er machte die Arbeit für zehn, keiner sollte ihm reinreden, und bis heute hat sich noch kein Argument dafür finden können, dass selbst seine schlechteren Platten besser geworden wären, hätte ihm ein anderer unter die Arme gegriffen. „For You“ hieß das Debüt von 1978, und es enthielt Soulpop, der zwar noch keine Grenzen einriss, aber mit Song-Titeln wie „Soft and Wet“ die Richtung wies, in die der junge Mann gehen würde.

I Wish There Were No Rules

Seine Befreiung, das, wofür wir ihn lieben lernen würden, kam mit „Dirty Mind“ (1980), und „Controversy“ (1981). Er war der Mann, der Strapse tragen wollte, der Mann, der unklar lassen wollte, wen er liebte. „I Just Can’t Believe / All The Things People Say/ Controversy / Am I Black Or White / Am I Straight Or Gay?“ sang er in „Controversy“, und dann: „I Wish We All Were Nude / I Wish There Was No Black And White / I Wish There Were No Rules“. Im selben Lied zitierte er das Vaterunser.

Dies war der definierende Moment seiner Karriere. Prince demonstrierte, dass sexuelles Verlangen und religiöser Glaube miteinander vereinbar sind. Und dazu programmierte er auch noch, auf seiner Linn-Drum-Machine, die Rhythmen des Jahrzehnts. Er schaffte es, seine Maschine so klingen zu lassen, als würde sie beim Sex mitmischen wollen.

Seine Superstar-Jahre mussten danach zwingend kommen, und natürlich kamen sie. Die Jahre 1982 bis 1989 wurden seine goldene Zeit. Er wollte die Kategorien schwarz und weiß aufheben, er und Michael Jackson waren die ersten afroamerikanischen Künstler, die auf MTV liefen. Der Song „1999“ katapultierte ihn ins Musik-Fernsehen, und nun konnte er zur besten Sendezeit darüber singen, dass er zum Date auf dem Autositz notfalls auch auf gebrauchte Kondome zurückgreifen würde („Little Red Corvette“).

Durchbruch mit „Purple Rain“

„Purple Rain“ von 1984, daraus machte er keinen Hehl, sollte sein Cinemascope-Album werden, ein Hit mit Ansage, eine Art Springsteen-Album, die Musik von der Stadionbühne. Im Refrain des Titelsongs, so sehr sollten wir ihn uns einprägen, ruft er sechs mal hintereinander „Purple Rain“, mehr nicht. Die Platte hat sich bis heute 30 Millionen Mal verkauft. Aber weniger wegen Springsteen, sondern weil der darauf enthaltene Song „When Doves Cry“ wieder einmal die Revolution bot. Ein Tanzflächen-Stück – ohne Bass. Der „Purple Rain“-Kinofilm, der seinen Aufstieg vom Nobody zum Star von Minneapolis erzählte, erhielt 1985 den Oscar für den „besten Song-Soundtrack“.

Der Erfolg von „Purple Rain“ verlieh Prince nun jene Flügel, die ihn in Sphären hoben, die man nur noch von unten bewundern konnte. Die Beatles-Hommage „Around The World In A Day“ (1985), in einem Jahrzehnt, in dem alle eigentlich genug hatten von Flowerpower; Jazz und Chanson („Parade“, 1986) sowie ein sehr herzergreifender Aufruf an die Menschheit, sich am Riemen zu reißen. Aids, der Kalte Krieg, Ghettos, Armut – „Sign O’ The Times“ von 1987 war dank seiner Agenda ein Album wie Marvin Gayes „What’s Going On“ (1971).

In Denver, 1986.
In Denver, 1986.

Mit dem „Black Album“ (1987) machte er alle Kritiker, die ihm vorwarfen, nicht mehr „schwarz“ genug zu sein, innerhalb von acht Songs mundtot. Auf seiner Ode an Gott, „Lovesexy“ (1988), wollte Prince dem Allmächtigen so gegenüber treten, wie er geschaffen wurde: nackt. Keine Frage, dass sich dieses Album mit DIESEM Cover in den USA nicht verkaufte. Solche Musik legten dann die Menschen auf, wenn sie die Welt nicht mehr verstanden und sich dabei nicht mehr allein fühlen wollten.

Es gehörte zur Tragik des Popstars Prince, dass eben seine Fans ihn verstanden, die Plattenfirmen aber nicht. Weil er zu viele Alben auf einmal veröffentlichte, warfen die Labelbosse – wie blöd kann man eigentlich sein – ihm mangelnde Qualitätskontrolle vor. Aber wie hätte man ihn drosseln sollen? Er wollte weiter Jahr für Jahr Platten herausbringen.

Aus Prince wurde „TAFKAP“

Legendär war 1994 der Karriereschritt, seinen Künstlernamen in „The Artist Formerly Known As Prince“ umzuändern. Da die Firma, so sein durchaus schlauer Gedanke, nur die Rechte am Künstler „Prince“ hatte, konnte er unter einem Synonym nun die Musik machen, die er wollte. Danach war dennoch ein wenig der Wurm drin. Prince‘ Musik wurde nicht besser, aber es gibt auch nichts Schlimmeres, ob als Fan oder Kritiker, einem Musiker schlechte Phasen vorzuwerfen, wenn der Backkatalog bereits 15 Jahre mit 15 Alben voller Geniestreiche vorzuweisen hatte.

Die Nullerjahre, Prince war in den Vierzigern, er hieß auch wieder Prince, waren seine tollste Zeit, auch, weil es Spaß machte ihn anzusehen. Er war im Reinen mit sich, das merkte man ihm an, er definierte sich nicht mehr allein über die Alben und Images. Er wurde ein Celebrity, außerdem ein Zeuge Jehovas, und trotzdem lieferte er keine peinlichen Geschichten. Was nicht hieß, dass man ihn deshalb erstmals bei so Alltäglichem wie Einkaufen erwischt und abgelichtet hätte. Er hätte auch niemals Jeans getragen. Prince zog vom schmuddeligen Minneapolis nach Los Angeles, ging wieder häufiger zu seinen geliebten Basketball-Spielen und brachte seine Alben, wenn ihm danach war, als Beilage von Zeitschriften heraus (der deutsche ROLLING STONE veröffentlichte hierzulande das Album „20Ten“ im Jahr 2010 mit der Heftausgabe).

Und jüngst also die Idee mit seiner Konzerttour am Klavier; eine Fingerübung für ihn im wahrsten Sinne des Wortes. Sollte man glauben. Aber wer hätte auch nur ansatzweise ahnen können, dass Prince auch ein Rhythmusmaschinenbiest wie „Kiss“ am Piano bringen würde? Das war Basisarbeit. Er skelettierte seine alten Lieder, er kam ihnen näher als je zuvor. Selbst, als er am Freitag (15. April) wegen einer Grippe ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war doch klar, er kommt da raus. Hallo, eine Grippe?

Bei seinen letzten Konzerten ehrte er noch den verstorbenen David Bowie, spielte dessen Überlebenslied „Heroes“. Beide hatten sich während ihrer Karriere umkreist, aber nie zusammen etwas aufgenommen. Bowie würde niemals einen Nachfolger haben. Prince auch nicht. Aber das wusste man schon längst.

Schnee im April

Am Donnerstag letzte Woche in Atlanta, als Prince für die Zugabe zurück auf die Bühne kam, stimmte er nun „Sometimes It Snows in April“ an. Es sind die Zeilen, an die wir wohl von nun immer denken werden: „Sometimes I wish that life was never ending/ But all good things, they say, never last“.

A Good Thing. Ja, wie gut die Sache doch war. Und hier, und wir sollten froh sein das sagen zu können, hatte er doch ein wenig unrecht. He will last. Und wir haben noch keine Ahnung, wie sehr er uns fehlen wird. Wir haben April, und vielleicht wird es doch noch schneien.

Prince live in Los Angeles, 2014
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Sherry Rayn Barnett Getty Images
John Leyba Denver Post via Getty Images
Kevin Mazur
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