Depeche Mode in Berlin: Blues For The Masses

Ihr könnt meinen Schweiß haben, aber ihr müsst darum kämpfen. Beim ersten von zwei Depeche-Mode-Konzerten in der Berliner 02 World fährt die Band ihre altbekannten Rock-Muster auf.

Es war 1993, während der „Devotional“-Tour, als Dave Gahan bei „Everything Counts“ zur ultimativen Rock’n’Roll-Geste ausholt: Er entledigt sich seines vollgesogenen Hemdes, wringt es aus und schleudert es ins Publikum.

Ihr könnt meinen Schweiß haben, aber ihr müsst drum kämpfen. 20 Jahre später sind Depeche Mode mit „Delta Machine“ auf Hallentournee, und die Choreographie von Gahan sitzt wie immer. Aber das Hemd wandert diesmal zurück zur Crew.

Jedoch von Anfang an: Den Abend in der ausverkauften O2 World eröffnet Nadine Shah. Die Britin brachte mit „Love your Dum and Mad“ ihr Debütalbum heraus, das viele – durchaus berechtigt – in Sphären von PJ Harvey und Nick Cave hievten. Damit war sie „irgendwie Gothic“, wie man im Publikum raunte und deswegen scheinbar nicht fehl am Platz. Doch über einen Anstandsapplaus kommt sie nicht hinaus, da können Verfall und Schweigen noch so schön klingen. Die Depeche-Mode-Fans nehmen derweil den Bühnensteg für sich ein.

Nur dreißig La-Ola-Wellen später kommen Depeche Mode auf die Bühne, Gahan dreht sich mit einer Pirouette zum Mikrofonständer und sie eröffnen das Konzert mit „Welcome To My World“, dem Opener des aktuellen Albums. Und möchte man die Welt von Dave Gahan (ja, geschrieben hat die meisten Songs wieder Martin Gore) betrachten, dann sieht es eigentlich blendend für ihn aus: die Drogen lange hinter sich gelassen, seit über zehn Jahren verheiratet, 2009 ist er seinen bösartiger Blasentumor losgeworden, und aktuell gehören Depeche Mode auch noch zu den Spitzenverdienern unter den tourenden Künstlern. Dann hat es die Zeit ja auch noch in anderer Weise gut mit ihm gemeint: das Haar ist fest, der Bauch flach und von manchen Kerben im Gesicht kann der dieses Jahr 51 Jahre alt gewordene Sänger nur profitieren.

Wäre da nicht dieser Blues. Dieser sei nämlich ein starker Bezugspunkt auf ihrem im März 2013 erschienen Album „Delta Machine“. Nun lassen sie an diesem Abend und auf diesem Album nicht Robert Johnson durch den Synthesizer laufen; vielmehr gehe es der Band um Improvisation, Freiheit und Entschleunigung. Vor allem Letztere merkt man beim schlurfenden „Heaven“, bei dem sich die Band auf der riesigen Leinwand zumindest ästehetisch in Blues-Pose begibt, nämlich mit hölzernen Gitarren vor einer hölzernen Hütte, und bei einem ultra-langsamen Einstieg beim Klassiker „Personal Jesus“. Das melodienarme „Delta Machine“ ist insgesamt im Set ziemlich unterrepräsentiert – so bekommen wir nur noch „Should Be Higher“, „Angel“ und „The Child Inside“ zu hören. Manch ein Fan mag sich da fragen, warum die Tour eigentlich noch den Titel des Albums im Namen trägt.

Der Begeisterungs-Seismograph in der Halle schlägt im Laufe des Abend vielmehr Richtung Achtziger („Black Celebration“, „Behind The Weel“) und frühe Neunziger („Walking In My Shoes“, „Enjoy The Silence“) aus. Solche Stücke sind es auch, die zumindest kurzzeitig für einen wohligen Schauer sorgen – gepaart mit Einlagen von Gahan etwa bei „Policy Of Truth“, der sich am Mikro wie an einer Tanzstange reibt. Martin Gore – „Der Schüchterne“ – durchbricht den Beat mit einigen Akustik-Versionen. Ihn begleitet z.B. bei „But Not Tonight“ Keyboarder Peter Gordeno, der schon lange des Slot des 1995 ausgestiegenen Alan Wilder übernimmt. Gore schlittert dabei unweigerlich ins Kitschige. Keyboarder Andrew Fletcher sehen wir nur statuesk-frontal oder im Profil, vom Publikum mehr Aufmerksamkeit fordernd. Der österreichische Drummer Christian Eigner liefert zwar einen Spitzenjob ab, scheint sich aber mit dem pompösen Schlagzeug zuweilen doch lieber in einer Progressive-Rock-Band austoben zu wollen.

Depeche Mode gehen mit fünf Songs in die Zugabe: Angefangen mit einer erneuten Akustik-Version von Martin Gore, „Shake The Disease“, und lassen einen nach dem finalen, armwedelnden „Never Let Me Down Again“ mit dem schalen Gefühl zurück, dass diese Band sich eigentlich schon sehr lange nicht mehr weiterbewegt hat.

Setlist:

01. Welcome To My World
02. Angel
03. Walking In My Shoes
04. Precious
05. Black Celebration
06. Should Be Higher
07. Policy Of Truth
08. The Child Inside
09. But Not Tonight
10. Heaven
11. Behind The Wheel
12. A Pain That I’m Used To
13. A Question Of Time
14. Enjoy The Silence
15. Personal Jesus

Zugabe

16. Shake The Disease
17. Halo
18. Just Can’t Get Enough
19. Feel You
20. Never Let Me Down Again 

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates