The Avett Brothers

The Carpenter

Island

Es schwang eine solch erhebende Schönheit im vorigen Album der Avett Brothers mit, dass man die Band aus North Carolina gleich ins Herz schloss. Menschen, die schon damals die früheren Alben dieser Diskografie kannten, hatten zunächst Zweifel – mit Rick Rubin hatte sich ein Starproduzent der Band angenommen, es drohte der Verlust des ungehobelt ruralen Country-Folk der ersten Veröffentlichungen. Tatsächlich markierte „I And Love And You“ eine Veränderung: Die Avett Brothers betonten den Piano-Pop, addierten Streicherlinien und hübsche Texturen und spielten mehr langsame, wonnevolle Lieder. Aber ob das mit Rubin zu tun hat oder doch eher mit den Künstlern selbst, lässt sich nur erraten. Es ist auch unwichtig; die Platte ist mit ihrer Felice-Brothers-go-Ben-Folds-goes-Townes-Van-Zandt-Musik wunderschön. Hören Sie noch mal „Head Full Of Doubt / Road Full Of Promise“! So ein Lied muss man erst mal schreiben. Auch diese neue Platte wurde von Rick Rubin produziert, der sagt: „Lassen Sie sich nicht vom Banjo täuschen – die Avett Brothers transzendieren jedes Genre.“ Er hat recht: „The Carpenter“ verfeinert die Stilamalgame noch weiter und übertrifft den Vorgänger sowohl in musikalischer Qualität als auch emotionaler Tiefe. „I And Love And You“, sagt die Band, war ein Album von jungen Männern, dieses hier ist eines von erwachsenen. Nicht zuletzt ist das eine Anspielung auf die leidvolle Zeit, die die Band im Zusammenhang mit der schweren Erkrankung der Tochter des Bassisten Bob Crawford durchlebte, auch wenn die erst gegen Ende der Aufnahmen diagnostiziert wurde. Der Ton ist entsprechend introspektiv – wer zusätzlich die wilde Energie der Avett Brothers will, ist mit den diversen Live-Veröffentlichungen gut bedient. Den Anfang macht „The Once And Future Carpenter“, ein fast lupenreiner Country-Folk, wäre da nicht dieser eine Akkordwechsel im Refrain – die Brüder Scott und Seth Avett tragen ein unerhört großes musikalisches Wissen in sich, das hier fein unterschwellig in jeder Entscheidung steckt. Das folgende „Live And Die“ schunkelt summend, als würden die Decemberists Woody Guthrie nachspielen. „Winter In My Heart“ (eines der besten Lieder dieser Diskografie) ist 70s-Softrock und Country-Romanze zugleich, das konsequent schwelgt und einfach nur schön sein will. Wehe, es sagt jemand, das sei Kitsch! Auch „A Father’s First Spring“ und das tief berührende „Through My Prayers“ schwingen zwischen Albert-Hammond-Pop und Cowboy-Romantik – vielleicht hatten die Komponisten aber auch James Taylor im Sinn. Insgesamt stehen auf „The Carpenter“ wieder eher die Saiteninstrumente im Vordergrund, was die Balance zwischen dem Frühwerk und der Major-Label-Karriere herstellt. Viel entscheidender ist aber, dass die Avett Brothers ein weiteres hervorragendes Album gemacht haben. True carpenters of the song!