111 Songs: Münchener Freiheit – „Herz aus Glas“

In der Rolling-Stone-Beilage: "Pop in Deutschland" haben unsere Autoren 111 Bands und ihre besten Songs zusammengetragen. Max Gösche erklärt, warum „Herz aus Glas“ von Münchener Freiheit einer davon ist.

Schaut man sich frühe Mitschnitte von Münchener-Freiheit-Konzerten an, scheint das Publikum aus einem Meer (nicht nur weiblicher) Dauerwellen zu bestehen. Sicher ein Grund, warum die Musik von Stefan Zauner und Co. heute als piefige Mutti-Musik verpönt ist. Aber piefige Mutti-Musik kann eben auch großartige Popmusik sein. Zugegeben, niemand braucht mehr als eine „ Hit-Collection“ der Münchener Freiheit, die vor allem eine Singles-Band waren. Und fast immer transportierten sie tolle Botschaften: „Solang’ man Träume noch leben kann“, „Ich will dich erleben, wie du bist/ Von jedem Zwang befreit.“ Wer das als Pathos von Leuten abtut, die in ein kümmerliches Reihenhausleben entschweben wollen, verweigert sich zumindest der kompositorischen Raffinesse, dem Kate-Bush-Synthesizer in „Tausendmal du“, dem Sitar-Beatles-Zitat in „Liebe auf den ersten Blick“, dessen Strophenharmonien man, nun ja, dezent in Tokio Hotels Emo-Hit „ Durch den Monsun“ heraushört. Und Die Prinzen müssten eigentlich jede Woche einen Kasten „Freiberger“ Entschädigung an die Münchener schicken, weil sie deren Erfolgsrezept im Prinzip nur um ein bisschen Gartensparten-Humor ergänzt haben.

Bei „Herz aus Glas“ denkt man mit Grauen an jenes gleichnamige Lied vom einstmaligen „BRAVO TV“-Moderator Ben. Dabei gehört das Stück von der Münchener Freiheit längst bei allen Schlager-Radios zum Standardprogramm – und dürfte neben ABBA der einzige Grund dafür sein, dass man überhaupt manchmal bei einem solchen Sender hängenbleibt. Die Geschichte von der Jugendliebe, die man zufällig wiedertrifft, ist so simpel wie universell: „Du trägst dein Haar noch, wie es war/ Du wirst immer noch verlegen, so wie früher/ Damals fing es an/ Ich denk wie du daran/ Ja, is es denn ein Wunder, dass keiner von uns zwei sich wehren kann?“, fragt Zauner zu Beach-Boys-Chören. Ein so vollkommener Popsong ist ihnen danach nicht mehr eingefallen.

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