20 Jahre „Nocturama“ von Nick Cave: Daseinsschwere Balladen

Der ehemalige Schwarzseher Cave pries berückend das wundervolle Leben. Ein Album, das zugleich Abschluss und Aufbruch ist. Die Original-Rezension aus dem ROLLING STONE von 2003.

Natürlich enthält „Nocturama“ mehr vom selben. Diese Stimme, längst Rhapsodie, Hymnus, Sehnen. Das Klavier. Der barocke, wohlige Raumklang. Warren Ellis‘ Violine. Die Bad Seeds mal tupfend, tastend als apollinische Heilsarmee im Hintergrund, mal polternd und grölend als Höllentrupp. Aber hat man sie erst dreimal gehört, erweisen sich diese Nachtstücke als Vollendung der Trilogie, die mit den Liebesliedern eines zweifelnden Bootsmannes begann, von den eifernden Beschwörungen eines Unzeitgemäßen fortgeführt wurde und nun mit diesen innigen, daseinsschweren, majestätischen Balladen (und manchmal Wutliedern) zur Ruhe kommt – in den 40 Versen und 13 Minuten des wahren Wahnsinnsstücks „Babe, I’m On Fire“.

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Doch bis es so weit ist, feiert Nick Cave das Leben wie damals auf „The Boatman ’s Call“, als er von der Sonne auf dem Kissen und dem Morgenvogel erwachte und die Sonntagszeitung holte und keine Zeile las. Dieses Idyll des Stillseins findet er diesmal in „Wonderful Life“: „Sometimes our secrets are all we’ve got/ With our lives we must defend/ Sometimes it’s wise to lay down your gloves/ And just give in/ Come in/ It’s a wonderful life/ If you can find it.“ Dies vom Sänger der Birthday Party zu hören, mag denjenigen überraschen, der nicht um 20 Jahre gealtert ist.

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„He Wants You“ ist ein Liebeslied reinsten Wassers (das den Bewerber aber verhöhnt), „Bring It On“ zieht das Tempo an, bringt die Bad Seeds drohend in Stellung. In „Dead Man In My Bed“ schlagen die Männer erstmals rabiat los, und zwar im Stil der brutalsten „Murder Ballads“.

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Aber dann wird Cave wieder ganz ruhig, das Schlagzeug wird gestrichen, die Geige schwelt: „Still In Love“. Und wie es der größte Moment von „No More Shall We Part“ ist, als sie an diese Straße kamen und sich trafen (die Straße, die am Ende den Tod bringt), so ist es diesmal dieser machtvolle, unvergessliche Augenblick: „Now, you’re Standing at die top of the stairs/ One hand on the banister, a flower in your hair/ The other one resting on your hip/ Without a solitary care/ I fall to sleep in the summer rain.“

Es gibt andere wundervolle Momente auf dieser Platte, das leichtherzige, lustvoll-unsinnig gereimte „Rock Of Gibraltar“ und eben den dionysischen Abschluss. Aber dieser eine genügt. Nick lächelt.

Ein Artikel aus dem RS-Archiv

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