50 Variationen über das Schweigen

Jonathan Safran Foer schreibt über Unsagbares

Sein erster Roman „Alles ist erleuchtet wurde 2002 auch bei uns als Sensation gefeiert. In den USA gilt der 28jährige New Yorker als Superstar, wird mit Lob und Neid überhäuft. Mit seinem neuen Buch über das Trauma des 11. September erfüllt Jonathan Safran Foer nun die höchsten Erwartungen: ein junger Großkünstler der unaussprechlichen Worte. Der einzige Hund, den der Schriftsteller Jonathan Safran Foer bisher erfunden hat, trägt den komischen Namen Sammy Davis Junior Junior. Eine ukrainische Hundedame, deren Farbe und Rassenmischung wir leider nicht kennen, weil im Buch ein unzuverlässiger Erzähler von ihr erzählt. Sammy Davis Junior Junior ist eine nicht viel zuverlässigere Blindenhündin, die manchmal so lange an ihrem eigenen Schwanz nuckelt, bis er blutet, die vom Geruch von Eau de Cologne in unpassenden Situationen sexuell erregt wird und unter Blähungen leidet. Nicht sympathisch, und ganz besonders schlecht für den sogenannten Helden des Romans „Alles ist erleuchtet“, der mit der stinkenden, launischen Hündin auf einer mehrtägigen Autofahrt die Rückbank teilen muß (weil der blinde Großvater, dem Sammy Davis gehört, den Wagen lenkt!) und der schon am Anfang deutlich ausspricht, daß er nicht einmal nette Hunde ertragen kann.

Das ist deshalb interessant, weil der hundehassende Romanheld auch ein junger amerikanischer Schriftsteller ist und auch Jonathan Safran Foer heißt. Daß Autoren sich als fiktionale Charakter in die eigenen Bücher hineinschreiben, wirkt zwar spätestens seit den 70er Jahren ungefähr so originell wie das absichtliche Weglassen von Satzzeichen, aber in diesem Fall sollte man explizit festhalten: Der echte Jonathan Safran Foer liebt Hunde über alles. Mit einer Besessenheit, die ihn von jedem noch so tiefgründigen Gesprächsthema ablenkt, sobald irgendwo jemand bellt.

Typischer Satz von Safran Foer (dessen zweiter Nachname, vom Vater in die Eltern-Ehe gebracht, wie die englische Zahl vier ausgesprochen wird): „Eine sehr hübsche Art zu schweigen kommt manchmal in Gesprächen vor, die frisch Verliebte führen, wenn das Gespräch für eine Sekunde abbricht, eine unglaublich bedeutungsreiche Sekunde, und… oh, was für ein süßer kleiner Hund!“ Neben der Cafe-Terrasse haben zwei Gäste ihren zotteligen Spitz an einen Baum angeleint, der Hund trägt eine Art US-Flagge als Halstuch und hechelt. Safran Foer schaut, als ob er am liebsten mit dem Trinkglas über die Brüstung hüpfen und sein Wasser mit ihm teilen möchte – ein würgend heißer Tag, so ist es im Frühsommer in New York. Park Slope, ein besonders grüner, familienfreundlicher District am südwestlichen Rand von Brooklyn, und im Cafe an der Ecke 7th Street und 5th Avenue ist Jonathan Safran Foer nur ein paar Fußminuten von zu Hause entfernt.

Eine beliebte Neighbourhood für Schriftsteller. Vom Wohnzimmer aus können seine Frau Nicole und er durchs Fenster Paul Auster und Siri Hustvedt guten Appetit wünschen. Im nahen Green-Wood Cemetery ist er vor knapp zwei Jahren George begegnet, dem Doggenmischlings-Weibchen, das jetzt zur Familie gehört. „George?“ fragt Safran Foer, schaut kurz mißmutig in seinen unerwartet faden Fenchelsalat und dann wieder zum Spitz am Baum. „George ist zehn Mal so groß. Allein ihre Haufen sind größer als der Kleine da drüben.“

Man könnte zur Sicherheit Literary Reviews oder Börsenblätter zitieren, weil Jonathan Safran Foer noch kein Name ist, bei dem sofort alle verständig nicken. Daa 28jährige Bübchen zählt zweifellos zu den meistdiskutierten, meistgelesenen Autoren, die in den vergangenen Jahren neu ins literarische Blickfeld geschossen sind. Ein „unerträgliches Wunderkind“ hat die Londoner Schriftstellerin Zadie Smith ihn mit flapsigem Respekt genannt: In den USA gilt Safran Foer schon als Superstar, dort hat sein Debüt „Alles ist erleuchtet“ über eine Viertelmillion Exemplare verkauft – bei uns waren es allein von der Hardcover-Ausgabe 50 000 Stück, er wurde einerseits als Teil einer frischen Welle (teilweise gar nicht so junger) amerikanischer Erzähler begriffen, mit Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Jonathan Lethem oder Colson Whitehead, obwohl er andererseits, wie die gemeinsam niederknienden Rezensenten richtig bemerkten, ein absoluter Spezialfall ist.

Als „Alles ist erleuchtet“ 2002 herauskam, war Jonathan Safran Foer 25. Aber wie dieser 270-Seiten-Roman über Verlust, Erinnerung und Tod erzählte, über den Schmerz der Liebe und die Schönheit der menschlichen Sprache, über tonnenschwere Kapitel wie die Geschichte der osteuropäischen Juden und den Holocaust, und wie dieses wundersame Buch es dabei noch schaffte, so zärtlich, bitter und lustig, zum Lachen und ganz buchstäblich zum Heulen zu sein – das können so junge Leute eigentlich nicht. Eine solche Beschreibung von ,Alles ist erleuchtet“ klingt leider immer pathetisch, tausendfach pathetischer als das Buch selbst. Wer vom 25jährigen Jonathan lieber die Story seiner Highschool-Geschlechtsverkehre, eine Chaosfahrt in einem schrottigen Auto quer durch Amerika oder irgendetwas über faszinierende Indie-Rock-Platten gelesen hätte, sollte die Finger von dem Buch lassen.

Die äußere Handlung, kurz: Ein junger amerikanischer Schriftsteller reist in die Ukraine, um die Frau zu finden, die seinem Großvater laut Familiensaga das Leben gerettet haben soll, als die Nazis in das Schtetl Trachimbrod einfielen. Weil er außer einem vergilbten Foto keine Anhaltspunkte hat, engagiert der junge Mann sich zwei Einheimische als Helfer, den Dolmetscher Alex und als Fahrer dessen Großvater mitsamt Hündin Sammy Davis. Man müßte korrekterweise sagen, daß die Suche für den Amerikaner zur Reise in die eigene Familiengeschichte und die jüdische Leidenshistorie wird – diesen literarischen Gemeinplatz konfrontiert Safran Foer jedoch mit einer märchenhaften Montage-Technik, mit eingeschobenen Stücken aus einer fiktiven Schtetl-Chronik, die aus der Handlung heraus- und später wieder in sie zurückfließen, und dem Auftritt einer geheimnisvollen Frau, die Erinnerungen in Pappkartons aufbewahrt.

Der Spielfilm, die erste Regie von „Scream“-Schauspieler Liev Schreiber, kommt diesen September in die amerikanischen Kinos, möglicherweise ein heikles Vergnügen, denn wie verfilmt man ein Buch, in dem wenig geredet, viel geschwiegen und vor allem geschrieben wird, Briefe, Tagebücher, andere Romane? In der Hauptrolle als Jonathan Safran Foer: Elijah Wood, weltberühmt durch „Herr der Ringe“.

„Ich finde es gut, daß er mich spielt, das schockiert mich kein bißchen“, sagt Safran Foer. „Beunruhigender wäre es gewesen, wenn sie jemanden genommen hätten, dem ich mich im Kopf irgendwie nahe fühle. Woody Allen zum Beispiel. Aber – ein leises Buch? Komisch, die meisten Leute finden es sehr laut und turbulent.“

Jonathan Safran Foer hat am Treffpunkt gewartet, am Westrand des träge grünen Prospect Park, auf den Stufen zur „Brooklyn Society For Ethical Culture“, wo er sein Büro und ein rätselhaftes Klingelschild hat. Das er nicht braucht, weil er nie da ist. Er schreibt in Restaurants, auf Parkbänken oder bei Freunden auf der Couch. Einem Besucher hat er mal erzählt, er habe sich die kleine Zentrale nur eingerichtet, um wenigstens einen Ort zu haben, wo er auf keinen Fall schreiben könne. „Da oben ist nichts, laß uns gehen!“ Safran Foer sieht noch jünger aus, als er eh schon ist, ein College-Bubi, ein netter Student in verleiertem blauen T-Shirt, grasgrüner Hose, an den Füßen geringelte Socken in bunten Smarties-Farben und eigenartige Schuhe, als ob er die Haus-Puschen gleich angelassen hätte. Unter Bäumen die 7th Street entlang zum Cafe. „Du kommst aus München? Da gibt es die leckeren weißen Würste!“

Wenn Safran Foer in Amerika auf Lesetournee ist, verlängert er jeden Aufenthalt um ein paar zusätzliche Stunden, besucht am Ort eine Schulklasse, begrüßt die Kinder mit Sätzen wie „Hallo, ich bin kein toter Dichter, sondern ein lebendiger!“ und redet mit ihnen über Bücher. Daß sich einer freiwillig zu so etwas durchringt, der sich selbst voll Überhöflichkeit als unwitziger, schüchterner, in der Öffentlichkeit ungeschickter Mensch stilisiert, überrascht kaum mehr, wenn man ihn trifft: Safran Foer kann sehr viel und sehr schön reden. Wenn er mag. Und entweder ist er einer, der besonders schnell denkt und diese Gedanken mit kleinen Exempeln und Metaphern in fast druckreife Form bringt. Oder er hat alles schon fertig im Kopf dabei. Letzteres wahrscheinlich.

„Ich tue mir oft sehr schwer, mit Leuten zu reden, vor allem mit Leuten, die ich mag. Aber es fällt mir leicht, ihnen zu schreiben. Wenn man schreibt, sagt man nur das, was man wirklich sagen will. Das ist auch eines der schönen Dinge an Büchern, daß sie ziemlich viel zurückhalten und einem vieles eben nicht geben. Deshalb werden Bücher Als mittlerer von drei Safran-Foer-Söhnen ist er in Washington aufgewachsen, der Vater ist Rechtsanwalt, später Juwelenhändler und heute Vorsitzender einer wirtschaftskritischen Non-Profit-Organisation, die Mutter, seinerzeit aus Polen in die USA emigriert, leitet eine PR-Firma. Jonathan hat „eine sehr sehr glückliche Kindheit, Kind einer glücklichen Ehe, Vorstadt-Mittelschicht. Ich verstand mich gut mit meinen Brüdern, niemand ist gestorben. Ganz normale Leute“. Freitags werden im Haus die Sabbath-Kerzen angezündet, darin erschöpft sich für den Knirps die Beschäftigung mit den jüdischen Traditionen. Der kleine Jonathan ist ein Charmeur und Pfau, wünscht sich zum dritten Geburtstag eine Glitzerweste, trägt Ringe wie der Pianist Liberace und spielt im Schultheater ganz vorne mit. Ein lauter, auffälliger Tvp, ein geborene Pertormer und Ladies Man. Bis zu einem folgenschweren Vorfall im August 1985, aber dazu später.

1997 jedenfalls findet sich der 2ojährige auf der Elite-Uni in Princeton wieder, Ivy League, wie davor und danach auch die zwei Brüder. Hauptfach Philosophie. Genau weiß Safran Foer nicht mehr, wie er in den ersten Semesterferien auf die Idee mit der großen Reise kommt. „Meine Familie war überrascht, ein solches Abenteuer war sehr untypisch für mich. Ich wollte nur irgendwas tun, um in den Ferien nicht dumm rumzusitzen.“ Neun Wochen Prag, und von dort aus vier, fünf Tage in die Ukraine. Mutter Esther hatte ihm ein Foto aus der Familientruhe gezeigt, auf dem Foto eine unbekannte Frau. Die seinen Großvater im Krieg das Leben gerettet hat. In einem Schtetl namens Trachimbrod. Ein Princeton-Ehemaliger spendet 3000 Dollar für die Expedition.

„Die Reise Lief komplett anders ab als später im Roman“, erzählt er. „Der Dolmetscher hieß Alex, mehr Gemeinsamkeiten gab es nicht. Ich war schlecht vorbereitet, ich hatte meiner Großmutter nichts von meinem Plan gesagt, sie hätte mir vielleicht ein paar Details geben können. Wir irrten fünf Tage lang herum und fanden einfach gar nichts. Nichts. Ich glaube ja, daß ich die Suche unbewußt sabotiert habe, weil ich die Frau nicht wirklich finden wollte.“ Safran Foer kehrt nach Prag zurück und beginnt zu schreiben: Es soll ein streng akkurater Bericht über die Suchaktion werden, aber das Projekt zieht ihn dorthin, wo es hinwill. Er bemerkt, daß in ihm plötzlich ein Bewußtsein für sein Judentum, die Geschichte seiner Familie, den Holocaust aufbricht, ein Bewußtsein, das so lange Zeit stocktaub gewesen war. Er dreht und wendet die Frage, ob statt Faktentreue auch die Treue zur eigenen Vorstellungskraft dafür bürgen kann, daß eine Geschichte wahr ist.

„Daß ich in der Ukraine rein nichts gefunden hatte, diese Erfahrung absoluter Abwesenheit hat mich beim Schreiben enorm befreit.“ Aus 2500 Seiten, die er in den folgenden zweieinhalb Jahren verfaßt, ändert und verwirft, während er als Empfangsbursche und als Ghostwriter für Krebsärzte Geld verdient, wird „Alles ist erleuchtet“. Jeder Verlag in Manhattan lehnt es mindestens einmal ab, wie das immer ist. Seine nächste Agentin Nicole Aragi setzt sich besser durch, findet einen Verlag in Boston. Am Ende wird das Buch im „New Yorker“ vorabgedruckt.

In derselben Zeitschrift erschien im Juni 2002 Safran Foers Kurzgeschichte „Eine Anleitung zur Interpunktion von Herzleiden“. Eine Skizze in 27 Absätzen über die Kommunikation zwischen den Mitgliedern einer Familie, in der es wieder um die Holocaust-Erinnerungen der Großmutter geht, um die Herzanfälle des Vaters und die allgemeine Angst davor, Menschen zu lieben und dann zu verlieren. Das Besondere am Schriftbild sind 15 Symbole für verschiedene Arten des Schweigens, die der Erzähler erläutert und in Dialogen vorführt: fragendes Schweigen, bekräftigendes Schweigen, unhörbares Flüstern und so weiter.

„Auf die Geschichte komme ich manchmal zurück, ich arbeite weiter daran und füge neue Schweige-Arten dazu. Ich habe eine Liste gemacht, jetzt sind es schon 50 verschiedene, alle mit eigenem Symbol. Man muß also nicht schreiben: ,Es gab einen Moment des Schweigens‘, sondern man kann genau sagen, welches Schweigen das ist: ein suggestives Schweigen, ein gesprächsbeendendes Schweigen, ein verärgertes Schweigen. Das ist lustig, einige davon sind sogar ziemlich hübsch. Eine sehr hübsche Art zu schweigen kommt manchmal in Gesprächen vor, die frisch Verliebte rühren, wenn das Gespräch für eine Sekunde abbricht, eine unglaublich bedeutungsreiche Sekunde, und… oh, was für ein süßer kleiner Hund!“

wenn einer einen Roman schreibt, in dem der erschütternde 11. September so in der Mitte steht wie in Jonathan Safran Foers neuem, zweitem Roman „Extrem laut und unglaublich nah“, dann kann man ihm unbedingt die dämliche Frage stellen: Als es passierte, wo warst du?

„Ich war in meiner damaligen Wohnung in Queens. Nach drei Monaten in Spanien war ich eben zurück in New York, ich wurde vom Anruf eines Freundes wach und machte den Fernseher an. Eine meiner einschneidendsten Erinnerungen, vielleicht die einschneidendste überhaupt, ist der Moment, als das zweite Flugzeug einschlug und die Nachrichtensprecherin zu schreien anfing. Das war schrecklich, weil man sich unbewußt darauf verläßt, daß der Nachrichtensprecher die letzte Stimme der Vernunft bleibt. Das war so, als ob man die eigenen Eltern weinen sieht.“ In eigenartiger Schock-Logik glaubte er zuerst, es müsse ein Unfall gewesen sein, weil keine Terroristengruppe so etwas zwei Mal hintereinander schaffen könne.

„Extrem laut und unglaublich nah“ übertreibt Safran Foers sowieso schon etwas übertriebene Vorliebe für Illustrationen und expressive Typographie-Effekte weiter. Man kann den Schluß verraten, weil man ihn im Buchladen sofort sieht: Der Roman endet mit einem Daumenkino aus 15 ganzseitigen Fotos, das die berühmten Schreckensbilder umkehrt und einen Mann aufwärts fliegen läßt, zurück ins World Trade Center.

Was das soll, wird beim Lesen klar – aus Pietät wurden keine echten Bilder, sondern eine Fotomontage verwendet. Der anonyme Sturzfliegende steht für den Vater der neunjährigen Hauptfigur Oskar Schell, der seit den Anschlägen Halbwaise ist und ein Jahr später unverändert gegen den Schock, den Schmerz und die Ungewißheit kämpft, wie sein Vater eigentlich gestorben ist. Ein kleiner, oft altkluger Exzentriker, der Briefe an Stephen Hawking schreibt, mit interessanten Erfindungen weitere Katastrophen abwenden will (Hemden aus Saatkörnern, damit fallende Menschen von Vögeln aufgefangen werden) und New York detektivisch zu Fuß durchquert, weil er das Schloß zu einem rätselhaften Schlüssel sucht, den er in den Sachen des Vaters gefunden hat. Viele werden es ahnen: Es sind auch allerhand Fotos von Schlössern im Buch.

Doch wie schon bei ,Alles ist erleuchtet“ geht das Nachplappern einer Handlung am soften Kern von Safran Foers Roman vorbei. Der zweite Strang der Geschichte erzählt vom Großvater des jungen Helden, der bei der Bombardierung Dresdens seine Geliebte verloren hat und nur noch über geschriebene Worte mit der Welt kommuniziert. Von der Großmutter, die ihre Lebensgeschichte tippt und dabei nur Stapel leere Seiten hinterläßt. Von Liebeserklärungen, die zu spät kommen, und der zwiespältigen Sicherheit, die einem die Einsamkeit schenkt: Menschen, die man vermißt, kann man nicht mehr verlieren, wenn sie weit weg bleiben. Wieder ein kurzweiliger, sprachmächtiger, teilweise herzzerreißender und ernsthaft spannender Roman, aber: Es geht um richtig komplizierte Dinge. Die man schwer ignorieren kann, die einem im schlimmsten Fall als rührselig aufstoßen. Safran Foers Texte – und das geht über alte postmoderne Literatur-Gimmicks hinaus – handeln auch von der Sprache, aus der sie modelliert sind. Von der Symbolkraft geschriebener Wörter, die, wie er ja selbst sagt, oft mehr bedeuten, wenn sie nicht gesagt werden. Von den 50 Sorten des Schweigens.

„Nietzsche hat sinngemäß geschrieben: Jedes Ding, für das ich ein Wort habe, ist in meinem Herzen schon tot. Weil es nicht mehr das Unmittelbare ist, das man fühlt, das einen bewegt. Man deformiert es. Die Abwesenheit von Sprache, das ist definitiv ein Thema, mit dem sich beide Bücher beschäftigen, und ich selbst fühle mich komisch dabei. Wenn man ein Buch schreibt, hat man… ein Buch. Da sind kleine Pfeile, die von dem Buch aus in alle möglichen Richtungen zeigen. Aber wenn man zwei Bücher geschrieben hat, dann treffen sich die Pfeile plötzlich, dann verweist ein Buch auf das andere. Man sieht die Gemeinsamkeiten und fragt sich: Was ist, wenn ich es beim nächsten Mal wieder mache? Soll ich es vermeiden? Soll es mir egal sein? Soll ich es absichtlich wiederholen?“

Vielleicht wäre Jonathan Safran Foer noch heute der sonnige, unbeschwert mitteilungsbedürftige Jonathan der Kinderzeit, wäre im August 1985 nicht diese Sache passiert, die ihn zwischendurch tatsächlich zum Schweigen brachte. Er war acht, im Schul-Chemiekurs bastelten sie Wunderkerzen. An der gewaltigen Explosion war er nicht schuld, er sah Mitschüler in Flammen und das verbrannte Gesicht seines besten Freundes. Jonathan wurde verhältnismäßig leicht verletzt, erlitt in der Folge einen Nervenzusammenbruch, der alles in allem drei Jahre dauerte, ging nicht mehr zur Schule, bekam Angstzustände, wenn die Eltern nicht da waren.

Von heute auf morgen sei er dann ins normale Leben zurückgekehrt, sagt er, als veränderter Mensch natürlich, aber er konnte niemandem davon erzählen. Bis jetzt. Man braucht wenig Küchenpsychologie, um im traumatisierten Oskar aus dem neuen Roman die Züge des unter Schock stehenden kleinen Jonathan zu erkennen. Der sich seit der Explosion, die sein Leben in zwei Vorhernachher-Hälften gerissen hat, viel besser vorstellen kann, wie Menschen mit den Narbenschmerzen des Krieges leben.

„Jedes Beispiel für Krieg im Buch ist so häßlich, so unerträglich, während wir in Amerika immer so saubere Worte für den Krieg benutzen. Zum Beispiel am

11. September: Bei uns haben sie nicht gezeigt, wie die Menschen aus den Türmen springen. Oder nehmen wir den Janet Jackson-Skandal mit der Brust. Das war eine Riesen-Geschichte hier, dafür wurde in großen Zeitungen die Seite eins freigeräumt. Warum ist das so bedeutend? „Why do we give a shit? Ich glaube, weil in Amerika die Frage immer wichtiger und wichtiger wird, was man anschauen darf und was nicht. Und es gibt immer mehr, was man nicht sehen darf. Afghanistan, Irak, wir sehen nie die wahren Bilder von diesen Kriegen. Darin liegt eine Gefahr, denn so verlieren die Menschen den Sinn für die Realität und glauben ernsthaft, daß Krieg ja nicht so schlimm ist. Ich wollte, daß das Buch auch davon handelt, daß man sich das anschaut.“

Von den Schmerzen des eigenen Traumas wurde Safran Foer auch durch die gut funktionierende Liebe geheilt, seit er vor vier Jahren die Schriftstellerin Nicole Krauss kennenlernte. Auf einem Blind Date, das ein Freund arrangiert hatte und zu dem Safran Foer, wie immer bedeutsam und Interpretationsintensiv, als Geschenk ein Bild aus dem amerikanischen Bürgerkrieg mitbrachte, auf dem er die Gesichter der Personen überklebt hatte. Das hübsche Paar, seit letztem Jahr verheiratet, wird natürlich kritisch beäugt, kam nach einem teuren Hauskauf in Brooklyn in die typischen Klatsch-Schlagzeilen. Seit bekannt wurde, daß Safran Foer für „Extrem laut“ eine Million Dollar Vorschuß bekam, ist der Backlash noch schlimmer geworden: von den einen, die sein betont unlockeres, intellektuelles Auftreten provozierend finden, bis zu denen, die ihn schlicht als überbewerteten, von Verlegern verhätschelten Jungschreiber sehen. „Es ist zum Haareraufen, mit wieviel Neid Jonathan leben muß“, hat seine Agentin dem „New York Times Magazine“ geklagt. Der lacht freilich, wenn er in der „Village Voice“ schon zum zweiten Mal unter die 50 meistgehaßten New Yorker des Jahres gewählt wird: „Ich war vor Franzen! I kicked his ass!“

Safran Foer ist schon aufgestanden, um mit Hausschuhen und Ringelsocken zurück in seine viel zu teure Wohnung zu seiner viel zu hübschen Frau zu gehen. Einen Leseratschlag gibt er noch, den „Playboy“, die zwei Artikel, die er dort veröffentlicht hat. In denen er über eine besondere Sammlung geschrieben hat, die seine Gegner endgültig auf die Palme treiben müßte: Safran Foer bittet regelmäßig andere Schriftsteller um ein Blatt leeres Papier. 40 hat er schon, kürzlich gab es mit Susan Sontag und Arthur Miller die ersten Todesfälle in der Sammlung. „Papier gehört zum Billigsten, was man kriegen kann. Aber sobald jemand den Stift darauf setzt, kann es das Wertvollste auf der Welt werden. Ich möchte diese Blätter genau in dem bestimmten Moment bekommen, in dem sie zwischen diesen Zuständen stehen, in dem sie…“ Da läuft ein bärtiger Mann vorbei, der eine schwarze Baby-Bulldogge an der Leine hat, und Jonathan Safran Foer wechselt schnell das Thema.

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