Nina Hagen Band
„Nina Hagen Band“ – Behaglich
Sony (VÖ: 18.7.)
Die grundstürzenden beiden Alben der Nina Hagen Band.
Im Jahr 1977 war Nina Hagen nach West-Berlin übergesiedelt, wie manche Künstlerin nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Sie tat sich mit Reinhold Heil, Manfred Praeker, Herwig Mitteregger und Bernhard Potschka zusammen, die für sie Songs komponierten, für die Hagen die Texte schrieb. So entstand die Platte „Nina Hagen Band“, die im August 1978 zunächst nur in West-Berlin veröffentlicht wurde. Jim Rakete, Nina Hagens Manager, hielt es für eine raffinierte Strategie, mit der Verknappung den Verkauf in Westdeutschland anzukurbeln. Was auch gelang. Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, dass Nina Hagen eine Provokateurin war.
Diese beiden Platten zeigten einen sich ankündigenden gesellschaftlichen Wandel
„Auf’m Bahnhof Zoo“ beschreibt eine lesbische Begegnung auf der Bahnhofstoilette, „TV-Glotzer“ ist „White Punks On Dope“ von den Tubes nachgebaut, „Unbeschreiblich weiblich“ verteidigt das Recht auf Abtreibung, „Pank“ ist ebendas. Hagens Gesang changiert zwischen schriller Opernkoloratur und überdrehtem Rock’n’Roll. Schon im nächsten Jahr überwarf sie sich mit den Musikern, die ohne sie im Studio arbeiteten, weil sie gemeinsam der Plattenfirma ein Album schuldeten. Hagen schrieb die Texte für „Unbehagen“ (★★★★) und sang dann zu den Backing Tracks.
Der spektakulärste Song ist ihre Version von „Wenn ich ein Junge wär“, von Heinz Buchholz und Günter Loose, das Rita Pavone 1963 gesungen hatte. „Und käm’ ich spät nach Haus, macht’ mir kein Schwanz ein Drama draus“, dichtete Nina Hagen in Abwandlung des eigentlichen Textes, bei dem Daddy kein Drama draus macht. Die Pop-Kritik war begeistert, vor allem von dem ersten Album. Hagen machte allein weiter. Heil, Praekelt, Potschka und Mitteregger nannten sich fortan Spliff. Und auch die Soziologen freuten sich: Diese beiden Platten zeigten einen sich ankündigenden gesellschaftlichen Wandel!
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 6/25.