The The live in der Elbphilharmonie: Teenage Angst für Erwachsene
Matt Johnson alias The The gab in der Hamburger Elbphilharmonie ein glänzendes Konzert. In den 1980er-Jahren war Johnson ein Prophet – und seine Lieder bleiben zeitlos
„Als junger Mann“, sagt Matt Johnson, „schrieb ich dieses Lied. Ich bezeichnete Großbritannien als das, was es ist: der 51. Staat der USA“. Dann lacht er. „Wie sieht es mit Deutschland aus? Mittlerweile konkurrieren ja viele Länder darum, der 51. Staat der USA zu sein.“ Er meint: Vasallenstaat. Aus dem angry young man – 1986 war Johnson 25 Jahre alt – ist kein angry old man geworden. Sondern ein gelassener, wenn auch leicht zynischer Beobachter der Weltpolitik. Er überspitzt oft, aber das gehört zu einem gelungenen Künstlerdasein zu. Und das macht den Song „Heartland“ so gut. (Fun Fact: In „Heartland“ besingt Johnson das UK als „51st State of the USA“, New Model Army drei Monate zuvor als „51st State of America“, beide wurden zu den größten Band-Hits.)
Ein Abend in der Elbphilharmonie
Am Ende des rund zweistündigen Auftritts in der Hamburger Elbphilharmonie etikettiert Matt Johnson alias The The dieses Konzert als sein liebstes des Jahres, wenngleich der zweite Abschnitt der „Ensouled“-Tournee, benannt nach dem jüngsten The-The-Album „Ensoulment“, auch noch sehr jung ist. Aber ein Konzert in der Elbphilharmonie, „in the round!“, wie Johnson im Interview vor dem Konzert (in Kürze zu lesen auf rollingstone.de) mit strahlenden Augen sagt, scheint so etwas wie das letzte Wort in Sachen „Gipfel der 2025er-Tournee“ bieten zu können.
Politische Songs als Zeitkapseln
Es ist ein sensationeller Auftritt. Nicht nur wegen des Backkatalogs dieser Ein-Mann-plus-temporäre Weggefährten-Band. Sondern auch, weil gute politische Lieder immer zeitlos sind. Man also sofort andockt. „Arabia!“ schallt es im Chor von „Sweet Bird of Truth“. Eine Anklage gegen Interventionen im Nahen Osten, die im April 1986 mit den US-Bombenabwürfen auf Libyen zusammenfiel. Danach kommt Churchill und dessen „We’ll fight them at the beaches“-Zitat in „Armageddon Days (Are Here Again)“.
Prophetische Musik in unsicherer Zeit
Beide Lieder wurden 1986 und 1989 von Johnsons Plattenfirma als Singles kleingehalten, weil politische Ereignisse (La-Belle-Attentat bzw. Chomeinis Fatwa) nahezu zeitgleich stattfanden. Johnson erschien als das, was er war, und davor hatte das Label Angst: Er war ein Prophet. Golfkriege, Rushdie, später die Klimakatastrophe in „Lonely Planet“, einem Stück aus dem Jahr 1993: Johnson verrührt Songfetzen zu Weltgeschichte, die in einem Heute mündet, das unsicherer erscheint als zuvor und im Geiste des Hörers von den Johnson-Klassikern getriggert wird. „Das sind meine Lieder der Teenage Angst“, sagt er nun, der mit seinem zweiten Album „Soul Mining“ von 1983 als Wunderkind des Post-Punk gehandelt wurde, auf der Bühne der Elbphilharmonie.
Rückgriffe auf frühe Werke
Irgendwann packt Keyboarder DC Collard das lieblich-clownesk klingende Omnichord aus, jenes Instrument, auf dem Johnson frühe Songs wie „Perfect“ und „This is the Day“ einspielte. Ein Vintage-Kasten. Johnson zeigt auf einen Herrn in der ersten Sitzreihe: „Vielleicht kennen Sie das Omnichord ja noch!“. Der Mann trägt ein Atari-Shirt. Dann kommt „Icing Up“ aus dem The-The-Debüt „Burning Blue Soul“ (es ist immer wieder bewundernswert, wie stoisch Johnson die Soundcollagen-Skizzen aus diesem 1981er-Werk, eine Art „Metal Machine Music“, nur mit Gesang, für das heutige Live-Publikum aufbereitet). Später bringt er auch „Infected“, das unbewusst an Billy Idols „Rebel Yell“ angelehnt sein könnte (aber natürlich um Klassen besser ist).
Ein Piano-Solo öffnet die Tür zur Unendlichkeit
Jeder in der Band hat glänzende Momente. Gitarrist Barrie Cadogan gilt als zuverlässiger Wingman (vielleicht kennen Sie die „Better Call Saul“-Titelmelodie – die ist auch von ihm) und transponiert die Stücke seiner Vorgänger, wie Johnny Marrs Spiel auf „Slow Emotion Replay“, in den Blues. Bassist James Eller war erstmals bei „Mind Bomb“ von 1989 dabei, spielt also auch seine eigenen Stücke. DC Collard intoniert nicht nur die besten Keyboard-Bläser („Sweet Bird of Truth“), sondern, und das schon seit Jahren, Jools Holland berühmtes „Uncertain Smile“-Pianosolo Note für Note. Live wie auf Platte konsequent nicht in der Mitte, sondern am Song-Ende platziert: das Beste zum Schluss. Es ist so lang, dass Matt Johnson dabei eine Halbliterflasche Wasser auf der Bühne austrinken kann. Dieses Piano-Solo öffnet, wie ROLLING-STONE-Kollege Arne Willander richtig sagte, die Tür zur Unendlichkeit. Am Ende haut Collard noch ein bisschen patschiger auf die Tasten und wird zu Rowlf. Aber es funktioniert.
Der Abschluss gehört Schlagzeuger Earl Harvin und „Giant“. Er macht das so vorzüglich wie Zeke Manyika, der einst auf „Giant“ trommelte. Und was er da trommelt, könnte jedem bekannt vorkommen, der The The nicht kennt. Kate Bush hörte einst „Giant“, rief Manyika an, ließ ihn spielen, engagierte ihn nicht für die finale Fassung von „Running Up That Hill“, aber hat dann nahezu dasselbe Schlagzeugspiel benutzen lassen. „Running Up The Hill“ wurde ein Hit. Und der Chant von „Giant“ wiederum, eine Mischung aus Tribal und Industrial, fand seinen Niederschlag in Bushs Hit „Cloudbusting“. Mit beiden Songs feierte Kate Bush 1985 ihr Comeback.
The The – Vermächtnis und Gegenwart
The The waren nie so groß wie Kate Bush, aber auch Matt Johnson hat ein Vermächtnis. Teenager hören „This is the Day“ in „Guardians of the Galaxy“ und fragen sich, wer denn wohl dieser Typ namens The The sein könnte, den man nur schwer googlen kann. Ältere hören „Lonely Planet“ in Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ und fragen sich, wer denn im Abspann diesen Appell sang: „If You Can’t Change The World, Change Yourself“. Im Juli treten The The in München und Frankfurt auf, dann können alle es herausfinden. Es gibt noch Tickets.