Bruce Springsteen

„Nebraska ’82: Expanded Edition“ – Die Nacht der Seele

Columbia/Sony (VÖ: 17.10.)

Das elektrische „Nebraska“ war jahrzehntelang ein Gerücht. Nun erscheint es in einer Box mit dem ursprünglichen Album und einer Live-Version.

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Das elektrische „Nebraska“ beginnt mit dem akustischen „Born In The U.S.A.“. Man hört den gespenstischen Hall des TEAC-Rekorders, mit dem Springsteen es aufgenommen hat. Aber auch in dieser frühen Fassung, zwei Jahre vor dem Album, auf dem es schließlich erschien, singt Springsteen: „I’m a cool rockin’ daddy in the U.S.A.“ Die Platte mit den Outtakes von „Nebraska“ ist unfassbar gut. „Downbound Train“, einer der besten Songs von „Born In The U.S.A.“, ist ein raues, unheimliches Rockabilly-Stück mit Geheul. „Child Bride“ ist eine Vorstudie von „Highway Patrolman“, aus dem Sean Penn viele Jahre später einen Film machte, „Indian Runner“. Und es gibt eine frühe, sehnsuchtsvolle Version von „Pink Cadillac“ – B-Seite der Single von „Dancing In The Dark“ – und die ursprüngliche Fassung von „Working On The Highway“. Mit der E Street Band wurde der Song wirkungsvoller. Aber Gott, wie fantastisch ist Springsteens Solo-Vortrag mit akustischer Gitarre und Mundharmonika!

Es war alles schon da. Und vielleicht hätten Jon Landau und Steven Van Zandt an „Born In The U.S.A.“ nicht so viel arbeiten sollen. Die Vision des Künstlers war größer als jede Produktion. Bruce Springsteen schreibt in seiner Autobiografie, dass er sich „Nebraska“ als einen Film noir, als ein leises Pfeifen in der Nacht vorgestellt hat. Viele Jahre wollte er sich nicht daran erinnern, dass es elektrische Versionen der Songs gab. Aber Max Weinberg hat sich daran erinnert. Die Legende will es, dass Andy Greene, Redakteur beim ROLLING STONE in New York, nach einem Interview zu „Tracks II“, im Auto (wo sonst!) eine Sprachnachricht erhielt. „Hier ist Bruce Springsteen. Ich habe im Archiv nachgesehen. Es gibt wirklich elektrische Songs von ‚Nebraska‘.“ Springsteen wollte nie mehr an diesen Ort gehen. Aber da nun der Film „Deliver Me From Nowhere“ über die Zeit von „Nebraska“ gemacht wurde, ging er doch dorthin.

In der dunkelsten Nacht der Seele, in der es immer halb vier Uhr morgens ist, gibt es kein besseres Album als „Nebraska“

Manche sagen, dass „Nebraska“ in zu langsamer Geschwindigkeit abgemischt wurde. Die Platte schlurrt. Das Tape-Gerät mit der Kassette war in einen Bach gefallen, so erzählt es Springsteen. Es ist ein abenteuerliches Home Recording. Springsteen hat alles unternommen, um keine Platte wie „The River“ zu machen. Er hatte Angst vorm Fliegen. Und wie ist das elektrische „Nebraska“? Es stimmt nicht, dass die Versionen der E Street Band nicht funktionierten, wie Springsteen später behauptete. Ja, „Downbound Train“ als Honkytonk-Stampfer ist viel schlechter als die Version von „Born In The U.S.A.“. Aber das ist nicht „Nebraska“.

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Max Weinberg erinnerte sich wohl so gut an die Sessions, weil seine Arbeit bei den elektrischen Songs fantastisch war. „Atlantic City“, einer der wunderbarsten Songs Springsteens, ist hier verschleppt und großartig gesungen. Die anderen Songs der Platte sind „Mansion On The Hill“, umwerfend mit Danny Federicis Orgel und Roy Bittans Piano, „Johnny 99“ als Bar-Boogie, das fiebrige „Open All Night“ und „Reason To Believe“. Es ist nicht das ganze „Nebraska“. Aber es ist wunderschön. Die Box „Nebraska ’82“ enthält neben der ursprünglichen Platte auch ein Konzert, bei dem die E Street Band die Songs des Albums in Red Bank/ New Jersey gespielt hat. Und anders als die Schmuckschatulle mit Scharteke „Tracks II“ kostet sie nicht so viel wie ein Gebrauchtwagen. In den Wee Wee Hours, in der dunkelsten Nacht der Seele, in der es immer halb vier Uhr morgens ist, gibt es kein besseres Album als „Nebraska“. Außer „Nebraska ’82“.

Diese Review erschien zuerst im Rolling Stone Magazin 11/2025.