Er galt als verschollen. Doch TERRY CALLIER, dessen Stimme weißen Folk und schwarzen Soul eint, ist zurück, besser denn je

Verpaßte Gelegenheiten und wundersame Wendungen. Davon handelt die Geschichte Terry Calliers, der schon mal 15 Jahre dem Musikbetrieb den Rücken gekehrt hat, aber niemandem böse war und ist Er zählt heute zu den letzten großen alten, noch aktiven Soul-Sängern, und dafür dankt er Gott, aber vor allem seiner Mutter und seiner Tochter.

„Ich bin ich froh, daß ich in jungen Jahren keinen richtigen Erfolg hatte. Das wäre sicher mein Ende gewesen“, so Callier, der Tee schlürft. Die Augen fast geschlossen, das erleichtert die Erinnerungsarbeit. Denn die nimmt ihm keiner ab. Über nur wenige andere Künstler sind so viele falsche Daten im Umlauf, selbst die Linernotes seines jüngst erschienene Albums „Time-Peace“ weisen Fehler auf. Aber das ist nicht so tragisch, schließlich macht er ja ein paar Tage vom Programmierjob in Chicago Urlaub, um seine eigene Geschichte zu erzählen.

Die begann 1964, als dem jungen Terry Callier von Prestige Records ein Vertrag anbeboten wurde. Wobei die „Verträge“ des Labels ja schon legendär sind. Lange galt die Firma als erste Adresse für die Junkies unter den Jazzern, weil hier pro Session bezahlt wurde und es das Geld für den nächsten Druck cash gab. Der Novize nahm mit Prestige-Produzent Sam Charters das Album „The New Folk Sound Of Terry Callier“ aufwunderbar schwebende Songs übers drifting & dreaming, nur von Bass und Akustik-Gitarre begleitet. Nach den Sessions verschwand Charters samt Bändern nach Mexiko; so was kam bei Prestige schon mal vor. Terry Callier aber, der seine Karriere bereits in den Wind geschrieben hatte, wurde drei Jahre später von einem Freund alarmiert, der gerade das Debüt-Album im Laden gesehen hatte.

Der nächste Anlauf war auch nicht besonders erfolgreich: Der Künstler unterschrieb bei dem Chess-Sublabel Cadet, kam aber durch einen Besitzerwechsel und dem daraus resultierenden Chaos nicht zum Zuge. Das war Callier ganz recht, denn 1966 hatte er in einem kleinen Chicagoer Club das Quartett des Freejazz-Propheten John Coltrane gesehen – ein Erlebnis, das ihn vor Ehrfurcht erstarren ließ: „Ich war ziemlich unbedarft. Ich war schon beim Soundcheck dabei und sah so, wie Elvin Jones sein Schlagzeug auf der Bühne festgenagelte. Als er loslegte, wußte ich warum. Nie wieder habe ich solche Kraft und solche Spiritualität in der Musik erfahren! Drei Jahre war ich fast wie gelähmt, schrieb keine Songs.“

Doch die Geschichte Calliers ist die Geschichte eines Überlebenden. Längere Zeit arbeitete er für Jerry Butler’s Chicago Songwriters Workshop“, eine Hit-Schmiede, die auch Chess belieferte. Hier konnte er ohne Druck arbeiten, seinen Stil entwickeln. Der Song „Dancing Girl“ 1972 eingespielt, 1974 veröffentlicht – ist ein Beispiel dafür: Er tänzelt zwischen Soul, Jazz und Folk, zwischen Boogie, Bop und Boogaloo, zwischen wallenden Streichern und leisen Akkorden einer akustischen Gitarre. „Dancing Girl“ klingt wie ein Wendepunkt Ja, das stimmt“, sagt Callier. „Frag mich nicht, wie er entstanden ist, aber auf einmal sah ich alles so klar: die existentielle Einsamkeit des Menschen, den Dreck der Straße.“ Immer noch war eine gehörige Portion Folk in der Musik, aber seine Verquickung von Poesie und Protest erinnerte jetzt mehr an den „Inner City Blues“ von Soul-Aktivisten wie Marvin Gaye oder Gil Scott-Heron.

Die Siebziger waren für Terry Callier produktiv aber nicht so erfolgreich, um die Musik als berufliches Muß zu betrachten. Als ihn vor etwa 15 Jahren seine junge Tochter in Chicago aufsuchte und ihm eröffnete, sie wolle nicht mehr zurück zur Mutter an die Westküste, beschloß er, eine seriöse Stellung anzunehmen. „Eine seltsame Zeit Ich war Anfang 40 und handelte zum ersten Mal wie ein Erwachsenet Während ich mit meiner Tochter bei meiner Mutter lebte, lernte ich das Programmieren von Computern. Ich hab das nie bereut.“

Der Weg zurück zur Kunst führte für Callier über London. Die Acid-Jazz-Fraktion um Eddie Pillar spielte Anfang der Neunziger seine Platten, lud ihn nach England ein und verschaffte ihm dann einen Vertrag bei Verve. Dort erschien kürzlich „Time-Peace“, sein Comeback-Album (siehe RS 3/98). Und es grenzt fast an ein Wunder, daß als Gast der legendäre Pharoah Sanders dabei ist, der als irdischer Statthalter des heiligen Coltrane gilt So hat Endfünfziger Callier, quasi nach Büroschluß, seine Erleuchtung doch noch erfahren. Das Prinzip ist göttlich, seine Musik die schönste dieser Welt.

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