Theaterdonner & Schnee: Nicht leise genug für eure Trübsal: Die TURIN BRAKES heben ab

Claubt nichts von dem, was ihr gehört oder logisch erschlossen habt: Die Turin Brakes sind laut. Es war ein Missverständnis, ein Übersetzungsfehler, seinerzeit Im Satz „Quiet is the new loud“ bedeutet das Wort „quiet“ nicht „leise“, sondern „höflich“. Das Wesentliche an den Gitarrenbands, die Stadtmagazin-Trendreports („Was ist dran an…?“) unter dem besagten Motto tabellarisch erfassten – Kings Of Convenience, Elbow, I Am Kloot und eben Turin Brakes -, ist ja, dass man ihre Musik so leicht ignorieren kann, wenn man sie nicht haben will. Was im Umkehrschluss dem, der sie doch hört, das Gefühl schenkt, ein Geheimnis zu lüften, irgendwas sehr Persönliches, obwohl Tausende mithören. Naja, sagen wir sicherheitshalber: Hunderte.

Im Empire-Theaterchen im Londoner Stadtteil Shepherds Bush mussten sie allerdings einen zusätzlichen Abend buchen, um alle unterzukriegen, die zu den Turin Brakes wollten. Die achte und letzte Station einer Reise, die in englischem Mutterwitz „Acoustic Tour“ genannt wird, weil die zwei auch dieses Jahr ganz sicher keine elektrischen Gitarren spielen. London zwei Mal ausverkauft, 18 Monate nach Album-Veröffentlichung, Mädchen warten schon nachmittags vor der Saaltür. So viele Leute, so große Ruhe. Nur die Turin Brakes werden später am Abend laut sein.

Unter bunten Glasfenstern, Engelsflügeln, Säulenkränzen und Stuck sitzt man hier. Bier darf mitgenommen werden auf die Ränge. Gäbe es Programmzettel, würden sie rascheln. Olly Knights und Gale Paridjanian sind die einsamsten Menschen im Empire, so viel Platz wie sie auf ihren Barhockern am Rand der leeren Bühne hat sonst keiner. Im Hintergrund noch der Keyboarder Dave Palmer, weil zwei Gitarren nicht genug Allerheiligen machen können an diesem träumerischen Ort. „Why are you pushing info into me? I have no need for it, I’m from the stars“, singt Knights gleich am Anfang in „Future Boy“, und die richtigen Sterne dazu werden hinten an die Wand projiziert.

So gibt die erste Nummer die Decke vor, an die sich die Turin Brakes 70 Minuten lang strecken. Paridjanians Slide Guitar klingt wie ein anlaufendes Raurnschiff-Triebwerk, wie Sehnsucht nach der Milchstraße – sie brauchen mächtige Fluchtwege aus der Isolation, die in ihren Texten so oft vorkommt Knights‘ Stimme gleitet immer höher ins Falsett, beim neuen Single-Song JLong Distance“ brechen Wasserstrahlen durch das Bild auf der Leinwand, eine Landkarte erscheint, auf die Schnee fallt Wenn der Keyboarder den Rest der Luft mit seinem Theaterdonner füllt, fühlt sich der Empire-Saal an wie das Innere einer Spieluhr, die sich immer schneller dreht, weil sie abheben will.

Weitere Stücke von der nächsten Platte streuen sie ein. Denen hört man an, dass die zwei ihnen noch nicht ganz vertrauen, sie geraten weniger entrückt und zeigen deshalb, dass die Turin Brakes als Songschreiber längst nicht so brillant sind wie als Performer. Dass ihre Lieder zwar höflich sind, in der schallvollen Empire-Kuppel aber niemand zum Rotwein greift. Die Gläser haben vibriert und sind längst gesprungen.

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