Prince: Die Entstehung des Meisterwerks „Sign O‘ The Times“

Er verlor seine Band und seine Verlobte, war erstmals seit Karrierebeginn auf sich allein gestellt. Wie Prince aus den Trümmern gescheiterter Beziehungen seinen größten musikalischen Triumph formte: „Sign O‘ The Times“

„Good evening“ – die Stimme gehoben, wie eine Frage: „Guten Abend?“. Ein junger Mann steht im Scheinwerferlicht, zaghaft wie immer, sobald er die Öffentlichkeit adressiert; wenn er nicht singen, sondern reden will. Vielleicht hat Prince an diesem letzten Tag des Jahres 1987 gewusst, dass sein bislang bedeutendstes hinter ihm liegt – so bedeutend, dass er zunächst keinen einzigen Ton spielt. Bei der letzten Tournee tanzte Prince zur Melodie einer Schlangenbeschwörer-Flöte hinter einem Vorhang hervor. Bei der davor versuchte er mit Kirchenorgelklängen Satan zu vertreiben. Heute aber: keine Show-Einlage.

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Er wird für eine Minute reden, das ist länger als üblich. „Ich kann euch nicht genug dafür danken, diesen Abend mit uns zu verbringen. Er ist uns sehr wichtig. Es gibt vieles, was ich über 1987 sagen könnte. Pro and Con, Gutes wie Schlechtes. Überwiegend Gutes.“ Er lächelt. „Aber ich bin keiner, der Reden hält. Also … tue ich das, was ich am besten kann. Habt Dank. Frohes neues Jahr.“

Prince setzt zu „Sign O‘ The Times“ an, und alles kommt an diesem Silvesterabend zusammen. Die Wucht seines Anti-Kriegslieds und die Freude darüber, ereignisreiche zehn Monate unbeschadet hinter sich gebracht zu haben. Er veröffentlichte innerhalb eines Jahres so viele Songs wie nie. Er absolvierte eine Tour, derart brillant, dass er sie verewigte und schon kurz darauf den „Sign O‘ The Times“-Film ins Kino brachte – die Premiere fand einen Monat vor diesem Gig statt. Dann, zwei Wochen vor Weihnachten, ein Drama: Der Entschluss, das zweite noch für 1987 geplante Werk, „The Black Album“, zurückzuziehen – Prince kam über Nacht die Erkenntnis, dass der Teufel aus dem Streetfunk sprach. Sollte er plötzlich sterben, so die Befürchtung, würde er dafür in Erinnerung bleiben. Das war am 8. Dezember. Ein Con.

Neubeginn im Paisley Park

Aber das Jahr endete mit einem Höhepunkt, einem Pro. Er stellte sein neues Venue vor. Wenn Prince früher in seiner Heimat Minneapolis Stücke vor Publikum erprobte, mietete er den Club „First Avenue“, populär geworden durch seinen „Purple Rain“-Film. Das hatte er nun nicht mehr nötig. Vor dem Konzert weihte er sein neues Zuhause ein, gelegen vor den Toren der Stadt. Ein futuristischer, kantiger, weißer Palast, der Aufnahmeräume und zwei Konzerthallen beherbergte, und in dem Prince seine Produktivität konzentrieren wollte: die Paisley Park Studios. Ein Ort der Inspiration: „The smile on their faces, it speaks of profound inner peace“, schwärmte er im gleichnamigen Song.

„We’re gonna take 1987 to the bank!“, ruft Prince von der Bühne im Paisley Park, die Hälfte des zweistündigen Auftritts hinter sich: „Das Jahr wird unvergessen bleiben!“ Und auf eben diese Bühne kommt um Mitternacht, wie um 1988 mit einem Höhepunkt zu begrüßen, ein Gastmusiker. Ein Bewunderer, der selbst eine Ikone ist – der bedeutendste Jazz-Trompeter aller Zeiten: Miles Davis. Ein Gipfeltreffen zweier Giganten, von denen damals nicht bekannt war, dass sie es auch im Studio miteinander probierten. Dazu später mehr.

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Das Jahr hatte also „Gutes wie Schlechtes. Überwiegend Gutes“, wie Prince meinte. Das Beste war die Veröffentlichung seines Doppel-Albums „Sign O‘ The Times“. Es erscheint, viereinhalb Jahre nach Prince‘ Tod, erstmals als Reissue im Remaster, und ist nach „Purple Rain“ und „1999“ die dritte Deluxe-Neuauflage. Eine umfangreichere dürfte es zu keinem seiner Werke mehr geben. Sie enthält 92 Songs, 63 unveröffentlicht, sowie den Audio-Mitschnitt eines Auftritts aus Utrecht. Außerdem auf DVD jenes Silvesterkonzert mit Miles Davis. Wertvoll auch für alle, die in Prince den steten Perfektionisten sahen. Denn es lief nicht alles glatt, und das wirkte befreiend: Auf dem sonst so konturlosen Bühnenboden sind aufgeklebte Setlist-Zettel zu sehen; und mitten in Sheila E.s Schlagzeugsolo geht der Drum-Computer mit dem „Hot Thing“-Rhythmus los. Hat wohl jemand versehentlich eine Taste gedrückt. Das Konzert liefert aber auch erstmals Bildmaterial mit Prince‘ Mutter und seinem Stiefvater als Zuschauer.

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Von den als Meisterwerke gehandelten Alben gilt „Sign O‘ The Times“ als sein größtes. Dafür spricht die stilistische Vielfalt, verteilt auf 16 Lieder in 80 Minuten und 6 Sekunden. Frühere Platten hatten musikalisch-thematische Kontinuität, Future Funk bei „1999“, Rock bei „Purple Rain“ oder Psychedelia bei „Around The World in a Day“. Jetzt ließ sich Prince, noch keine 30 Jahre alt, nicht mehr fassen. Prä-Grunge im Quiet-Loud-Muster („The Cross“) und Crooner-Soul („Slow Love“); Schwarze-Messen-Funk („Housequake“) und Klavierspaß für Kindergeburtstage („Starfish and Coffee“). Er setzte sich eine Brille auf und erfand das alter ego Camille – eine Persönlichkeit zwischen Frau und Mann, um weibliche Sexualität zu verstehen: „If I Was Your Girlfriend“. Prince verfremdete die Aufnahme seiner Stimme, klang so hoch wie auf Helium.

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Allein das sollte man sich vergegenwärtigen: Nach Michael Jackson war Prince der erfolgreichste Musiker des Jahrzehnts, was auch bedeutete, dass er „die breite Masse“, also weniger treue Zuhörer und solche, die sich Wiederholung statt Entwicklung wünschen, schnell wieder verlieren konnte. Und dieser Prince präsentierte sich als Wandler zwischen den Geschlechtern, mit nicht-männlicher, nicht-weiblicher Stimme. „If I Was Your Girlfriend“ erschien als Single. „Sign O‘ The Times“ kletterte in den US-Charts noch auf Platz drei. „If I Was Your Girlfriend“ nur auf die 67. Sein größter Absturz, die schlechteste Positionierung seit 1981 mit „Controversy“ (Platz 70) – doch damals war er auch noch kein Superstar. Aber dachte er überhaupt an Verkaufszahlen?

Ein riesiges Herz aus Glas

Sicher nicht, deshalb war seine Musik ja so gut. Ihm trauten sie alles zu, das bewiesen die Reaktionen auf das Cover der „Sign O‘ The Times“-Single. Es zeigt seine Tänzerin Catherine „Cat“ Glover, neu im Team, noch unbekannt, die ihr Gesicht mit einem riesigen Herz aus Glas verdeckt. Manche dachten, dahinter verstecke sich Prince, obwohl der Körper unter dem verborgenen Gesicht eindeutig weiblich ist – und die Person einen Bikini trägt. Manche dachten sogar, das sei Prince, als Glover dann für die Cover-Rückseite ihr Gesicht offenbart.

Aber nicht nur das Mutige, also „das Gute“, sondern auch „das Schlechte“ beflügelte ihn – ein Beweis für die Richtigkeit der dramatischen Behauptung, dass große Kunst aus großem Leid entsteht. Prince musste zwei Trennungen verarbeiten. Ende 1986 löste er seine Band The Revolution auf, mit der er Megaseller wie „Purple Rain“ einspielte, und deren Mitglieder – wenn auch nicht immer kreditiert – mitkomponierten und ihm während langer Studiotage Nestwärme boten. Deutlich wird das im Outtake „Power Fantastic (live in Studio)“. Prince leitet seine Band per Ansage und in Echtzeit durch das Lied, mit sanfter Stimme. Er war ein Taktmeister wie James Brown, aber entgegen seines Images nicht streng, sondern vertrauensvoll. Er sagt: „There are no mistakes.“ Dann folgt ein – vielleicht – aufschlussreicher Versprecher: This is a fun trip – TAKE.“ Er wollte Spaß haben mit den Kollegen im Studio, fürchtete aber vielleicht, er könnte die Zügel zu locker halten. Aus dem „Trip“ wurde deshalb die „Aufnahme.“

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The Revolution wurde dennoch geschasst, er selbst aber wurde auch geschasst. Als Liebender. Seine Verlobte Susannah Melvoin, Schwester der Revolution-Gitarristin Wendy, gab ihm den Laufpass, in einer heiklen Phase – während der Aufnahmen zur Platte, die im März 1987 als „Sign O‘ The Times“ erscheinen würde. Die Ungewissheit über die Zukunft der Beziehung trug Prince Monate mit sich herum.

Eine Mitstreiterin, die ihn so gut wie kaum jemand in dieser Zeit kannte, war Susan Rogers. Die damalige Ton-Ingenieurin betreute seine Musik zwischen 1983 und 1987, also in der goldenen Ära. „Er legte die Farbe Lila endgültig ab“, sagt sie. „Das Purple-Rain-Lila stand für die Erfolgsstory: ein Kid, das zum Star wird und seine Traumfrau erobert.“ Es zeichnete sich ab, dass „Sign O‘ The Times“ eine andere Liebesgeschichte reflektieren würde, dass eine Entscheidung anstand: „Eine Platte als Break-Up-Album? Oder als Bekenntnis zur Liebe seines Lebens?“

Ein Trennungsalbum? Das gab es bei Prince noch nie, und das würde es auch nie wieder geben. Damals hätte auch kein Außenstehender für möglich gehalten, dass Prince sich überhaupt verlobt. Er kultivierte den Ruf des promiskuitiven Schwerenöters. Genau diese Ambivalenz macht das Werk so aufwühlend: Treueschwüre („Adore“) stehen neben Aufreißer-Hymnen („Hot Thing“).

Mit Susannah hat er somit auch ein einzigartiges Lied geopfert

Oft dient Komposition dem Zweck, Trennungen zu verarbeiten. Prince aber komponierte Songs, die er danach vernichtete, um Trennungen zu verarbeiten. „Wally“ ist so einer. Laut Rogers seine offenherzigste Leistung. Er löschte sie direkt danach, als könnte er die Erinnerung an Susannah Melvoin auslöschen. Mit Susannah hat er somit auch ein einzigartiges Lied geopfert, das er in bewusster Abwehr nicht nach ihr, sondern einem Freund benannte (die Version in der Deluxe-Edition ist eine neuere).

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Melvoin war es auch, die dem Purple-Prince neue Farben schenkte. „Color you peach and black“ sang er in „U Got The Look“. „Pfirsichfarben war ihre, Schwarz seine Lieblingsfarbe“, so Rogers. Als Prince im Mai zur Europatournee blies, übertrug er das Zweifarben-Schema auf seine Kostüme und forderte die Zuschauer auf, sich für die Konzerte genauso zu kleiden. Er betrachtete sie als Mitglieder einer Gemeinde. Die er genau im Blick hat. Zehn Tage vor Albumveröffentlichung, am 21. März, stellte Prince in der „First Avenue“ in Minneapolis die neue Band vor, von der aus Revolution-Tagen nur Keyboarder Matt Fink übriggeblieben war. Wer die Platte nicht kannte, hätte von den Worten erschrocken sein können, die Prince nach einer Vorstellungsrunde brüllte, ans Publikum gerichtet: „Shut up! Already, Damn!“. „Housequake“ startete mit einer Reihe von Kommandos. Aber auch Anweisungen, sagt Rogers, seien weniger Ausdruck von Dominanz als vielmehr einer Unsicherheit gewesen.

Prince wollte mit den Menschen nun in einen Dialog treten

„Auf ‚Purple Rain‘ war bei jedem Atemzug spürbar: Er hatte die volle Kontrolle über sein Leben und Liebesleben.“ Aber Rogers urteilt, dass diese Phase etwas ziellos gewesen sei. Egozentrisch. „Wenn Prince sich weiterentwickeln wollte, musste er einen politischen Standpunkt einnehmen.“ Das konnte er sich jetzt leisten. Der Ruhm war durch „Purple Rain“ sichergestellt. Prince wurde damals zum ersten afroamerikanischen Superstar der Rockmusik, einer Domäne weißer Künstler. „Nun wollte er sich um sein Vermächtnis kümmern. Mit den Menschen in einen Dialog treten, zum Nachdenken anregen.“

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Das gelang ihm mit dem Titelstück. Man hört es schon an der Stimme. In Vorab-Singles wie „Kiss“ klang Prince erregt, in „Raspberry Beret“ reisefreudig. „Sign O‘ The Times“ trug er wie ein Nachrichtensprecher vor, der nüchtern Horrormeldungen verliest – und als Rap, was die Möglichkeit bot, in kurzer Zeit längere Inhalte unterzubringen. Nur im Refrain rang er sich einen Gefühlsausbruch ab: „It’s silly, no? When a rocket ship explodes, and everybody still wants to fly.“ Prince erzählte von der Challenger-Katastrophe, Gang-Gewalt, Verwahrlosung, Aids, von Geldern, die an anderer Stelle fehlen: „sister killed her baby ‚cause she couldn’t afford to feed it / And yet we’re sending people to the moon.“ Ein Statement wie zur Protestbewegung gegen die Mondlandung 1969. Prince verzichtete darauf, sich im Videoclip zu zeigen; es bildet, wie heutige „Lyric Videos“, lediglich den Songtext ab. Erst im Juli, fünf Monate nach „Sign O‘ The Times“, präsentierte Prince sich für das Musikfernsehen wieder als Sänger und Tänzer, im „U Got The Look“-Clip. Im MTV-Zeitalter ein riskantes Timing. Aber er wollte nicht mehr im Mittelpunkt stehen.

Prince lud zu einem Befinden ein. „Er entschied sich, nicht zu predigen oder Lösungen vorzuschlagen“ sagt Rogers. „Er wollte einfach nur reden.“ Das sei untypisch für ihn gewesen. Auf dem „Purple Rain“-Nachfolger „Around The World In A Day“ klagte er, wie in „Pop Life“, laut über Stars, die sich wichtig nehmen. Jetzt verglich man ihn mit Marvin Gaye und „Sign O‘ the Times“ mit dessen 1971er-Meilenstein „What’s Going On“. Auch die Soul-Legende stellte darin, diplomatisch, Fragen. Gaye sang über Armut und den Vietnamkrieg.

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Wie Susan Rogers glaubt auch Levi Seacer, Jr., dass Prince politische Musiker der 1970er anvisierte. Seacer, Jr. war Prince‘ Bassist, später Gitarrist. Er vergleicht ihn mit Stevie Wonder. „Prince wurde spiritueller. It was beyond making records now“. Auf Fotos trug er eine Brille und gelbe Gewänder. „Wie Wonder. Wir wussten da noch nicht, wie die Lieder klingen würden. Aber wir wussten, dass sie größer noch sein würden als er selbst.“ Der Bassist verweist auf Wonders Album „Innervisions“ und die Anti-Diskriminierungs-Hymne „Living for the City“. Prince‘ Werk ist für ihn hochaktuell. „‘Sign O‘ The Times‘? Das ist die Zeit, in der wir wieder leben. It rears its ugly head again. Der amerikanische Präsident …“ Seacer, Jr. seufzt. Was Prince zur Ermordung George Floyds und den anschließenden weltweiten Protesten gesagt hätte, die in Minneapolis ihren Anfang nahmen? Seacer, Jr. sagt, dass er in Gedanken mit dem verstorbenen Prince kommuniziere. „Er rät mir: We have to make a change. But don’t become what you’re trying to change.“

Von den 16 Songs auf „Sign O‘ The Times“ entstanden elf – zumindest in ihrer Urform – in Zusammenarbeit mit The Revolution. Insofern ist Prince‘ Solo-Platte auch eine Abschiedsplatte für Ex-Kollegen, die Spuren hinterließen. Das hat Duane Tudahl herausgearbeitet, „Senior Researcher“ für die Prince-Nachlassverwalter, den „Prince Estate“. Er ist Chronist aller Studiotermine, verfasste ein Standardwerk über die „Purple Rain“-Aufnahmen und bereichert das Reissue mit kalendarischen Notizen.

„Klingt ein wenig stumpf, oder?“

Tudahl räumt mit einer Legende auf. „Sign O‘ The Times“ gilt als „das Demo-Album“ von Prince, weil einige Lieder von seiner Lieblingsmaschine, dem Linn-LM1-Drumcomputer dominiert sind. Legendär die Anekdote, wie eine verzweifelte Susan Rogers stundenlang an der fehlerhaften Tonhöhe von „The Ballad of Dorothy Parker“ schraubte – und Prince sie am Ende amüsiert fragte: „Klingt ein wenig stumpf, oder?“. Aber ihm gefiel das Ergebnis. Es kam so aufs Album.

Prince live 1987

Warum gibt es so wenige Demos dieser angeblichen Demos? „Ganz einfach“, sagt Tudahl. „Weil er keine Demos aufnahm. Er nahm Songs auf. “ Sein Kollege Michael Howe pflichtet ihm bei: „Es sind vollwertige Versionen. Er brauchte doch keinen Produzenten, dem er seine Lieder zur Ausarbeitung hätte vorlegen müssen“. Howe ist Chefbeauftragter jener Backkatalog-Alben, die Warner Music seit dem Tod von Prince herausbringt. Er sucht in der Song-Schatzkammer „The Vault“ nach Raritäten, überwacht deren Digitalisierung und kompiliert die Editionen.

Howe findet, dass ein Beitrag aus dem 92-Song-starken Set besondere Beachtung verdient: „Witness 4 The Prosecution“. Die opulente „Version 1“ spielte Prince mit The Revolution ein. Die mehr nach Roboter klingende, skelettierte „Version 2“ spiegele den Prince der späten 1980er wider. „‘Witness‘ hat immense Bedeutung. Auch wir werden zu „Zeugen“: ein Bandleader kehrt zurück zu seinen Wurzeln als Solokünstler. Dies ist die Story des gesamten Albums – in nur einem Lied. Es dokumentiert die entscheidende künstlerische Dynamik.“

Der Sammlung ist auch „Can I Play With U?“ beigefügt, die Aufnahme mit Miles Davis. Klassischer zweideutiger Prince-Titel: Er vereint künstlerisch-kooperatives Interesse mit einer ernst gemeinten Frage nach Beherrschung eines Ebenbürtigen. Howe begräbt eine Hoffnung, die Hoffnung auf mehr: „Can I Play With U?“ war nicht nur der einzige noch im „Vault“ schlummernde Song, auf dem Prince zu Davis‘ Trompete singt, sondern auch der einzige gemeinsame überhaupt. „Alles andere ging nicht über Skizzen hinaus.“

Howe, seine rechte Hand Duane Tudahl, der „Estate“ und Warner Music standen also vor der Aufgabe, die vielleicht betriebsamste Periode in Prince‘ Karriere zu komprimieren. 1986 war das Jahr, in dem er bis zu drei Songs pro Tag einspielte. Das ermöglichte viele Abwägungen: Er verwarf ein Album, „Dream Factory“, brachte aber Lieder auf „Sign O‘ The Times“ unter. Er nahm Abstand vom Gedanken, nicht als Prince, sondern unter dem Camille-Pseudonym eine LP herauszubringen; auch daraus landeten Tracks auf „Sign O’ The Times“. Dann überzeugte ihn die Plattenfirma, ein Werk namens „Crystal Ball“ nicht zu veröffentlichen – das Label fürchtete, eine Dreifach-LP würde sich schlecht verkaufen.

Erst die auf zwei Tonträger abgespeckte Version nannte Prince „Sign O‘ The Times“. Der Song wäre noch auf der Dreifach-LP „Crystal Ball“ Nummer 19 von 22 gewesen, Nummer vier auf Seite fünf, also versteckt. Die Beförderung zum Titelstück, der Pfeilschuss von 19 auf 1, sagt einiges darüber aus, wie Prince bis zum Schluss über die passende Botschaft seines definitiven 1987er-Albums brütete. Das „O“ im Titel stellte er als Friedenszeichen dar. Sein „Zeichen der Zeit“ nannte er „Sign O‘ The Times“ und nicht, ausladender, „Sign Of The Times“. Er paarte Understatement mit Lust auf griffigen Sprachsound. Er war Musiker, kein Politiker. Er wollte nicht predigen.

Es war also ein weiter Weg von der „Dream Factory“, der „Traumfabrik“, bis zur politischen Stellungnahme „Sign O‘ The Times“. Tudahl sagt treffend, die Neubetitelung beschreibt den Weg „From Hollywood To Society“. Die Lieder dieser vier Alben, „Dream Factory“, „Camille“, „Crystal Ball“ und „Sign O‘ The Times“ befinden sich – ausgenommen solcher, die später auf anderen Werken angesiedelt wurden – jetzt in der neuen „Super Deluxe Edition“.

Man bekommt also neben „Sign O‘ The Times“ drei Platten zusätzlich.

Jeder Song biete laut Tudahl die Möglichkeit eines Dialogs. Ein großer Redner, Prince sagte es selbst, war er nie; er sprach – auch, wenn es ein Klischee berührt – durch die Kunst. „Wir bekamen zu seinen Lebzeiten nur einen Teil der Konversation, die er führen wollte, zu Gehör. Und nach seinem Tod? Führt er den Dialog nach und nach weiter!“.

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Auf ihr Highlight des Albums angesprochen, antworten sowohl Rogers, als auch Howe und Tudahl mit „I Could Never Take The Place Of Your Man“. Rogers glaubt, der Song verweist mehr als jeder andere auf das Ausnahmetalent: Prince spielt derart virtuos Gitarre, dass einem danach erst klar ist, wie er sich auf allen anderen seiner unzähligen Stücke in Zurückhaltung übt. „Nie stellte er sich im Studio als genialer Gitarrist dar. Er stellte sich als Popmusiker dar. He showed up without showing off. Könnten Sie so fantastisch spielen – würden Sie nicht versuchen, gleich das gesamte Album so zu konzipieren, dass ständig ein Gitarrensolo im Vordergrund steht?“. Das unterscheide Prince von Santana oder Hendrix. Schon als Wunderkind habe er bewusst nicht sein Potential als Instrumentalist auf Platte gebannt. Er nahm in Kauf, dass die Leute ihn unterschätzen. Das müsse ihm als junger Mann Disziplin abgenötigt haben. „Aber das war weise. Eine taktische Meisterleistung. Ein Ausnahme-Gitarrist, der sich als Popmusiker verkauft? Einzigartig. Spielte Madonna etwa Gitarre?“

„Er übte, aber ließ es letztlich sein“

Was nicht heißt, dass Prince alles allein hätte machen können. Darauf verweisen sowohl Rogers als auch Eric Leeds, der Mann, dem Prince die Kontrolle über das angeblich einzige Instrument überließ, das er nicht beherrschte: Saxofon. „Er übte, aber ließ es letztlich sein“, sagt Leeds und lacht: „Nach den Gründen fragen wollte ich aber auch nicht!“. Leeds stand ihm ab 1986, mit Unterbrechungen bis 2004 zur Seite; eine der längsten Kooperationen. Durch ihn wurde das Saxofon zu einem der prägenden Instrumente. Wann immer Leeds spielte, war deutlich zu hören, dass eben Prince gerade nicht spielte. Eine der größten Überraschungen ist daher die Alternativ-Version von „The Ballad of Dorothy Parker“, Titelzusatz „with Horns“ – denn auf der Album-Fassung fehlt Leeds‘ dominantes Sax, das hier als gleichberechtigte, zweite Erzählstimme fungiert. Der Rausschnitt störe ihn nicht. „Prince verinnerlichte das Weniger-ist-mehr-Prinzip“, sagt Leeds. „Das war Teil seines Genies.“

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Nun gehörte es auch zu Prince‘ Genie, dass er von aktuellen Konzepten schnell gelangweilt sein konnte. Sein Genie schonte auch „Sign O‘ The Times“, ausgerechnet sein Magnum Opus, nicht. Das marschierte er nach Veröffentlichung in gerade mal zehn Monaten durch. Im Februar erschien die erste Single, im November die vierte und letzte, dann machte Prince sich an sein unglückseliges „Black Album“. Kein Vergleich zu Zeitgenossen, deren Platten schwere Geburten sein konnten, die dann für umso längere Zeiträume wirtschaftlich verwertet wurden. Michael Jackson warf die Auskopplungen aus seinem „Bad“-Album über einen Zeitraum von zwei Jahren auf den Markt (Juli 1987 bis Juli 1989). Oder U2: Zwischen Veröffentlichung von „Achtung Baby“ 1991 und dem Ende ihrer Tournee vergingen 25 Monate.

Prince nahm sich nur eineinhalb Monate für seine „Sign O‘ The Times“-Konzertreise, absolvierte ab 1987 aber, gerade in Deutschland, einige seiner legendärsten Aftershows. Noch heute berichten Fans von Club-Konzerten tief in der Nacht, im Berliner Quasimodo oder im Münchner Park Café. Dort stellte Prince auch Material vor, das er, in verschwenderischer Gleichgültigkeit, nie auf Platte bannen würde. Von da an brachte die Frage „Tritt er nach dem Konzert ein zweites Mal auf, und wenn ja – wo?“ seine Jünger, die der geheimen Messe beiwohnen wollten, regelmäßig um den Verstand.

Seine Europa-Tour gilt heute als seine spektakulärste, aber er wollte sie nicht nach Amerika bringen. Vielleicht ahnte er, dass sie dort den „If I Was Your Girlfriend“-Interpreten mit der androgynen Stimme nicht mehr so recht verstanden. Vielleicht wertete Prince es auch als böses Omen, dass ihm ein von Stürmen durchzogener europäischer Sommer die Open-Air-Saison verhagelte und er deshalb die Auftritte in England, seinem inzwischen wichtigsten Markt, absagte. Er und seine Mannschaft eilten in den Paisley Park nach Minneapolis, um dort eine „Sign O‘ The Times“-Show auf Zelluloid zu bannen. Der Konzertfilm fehlt dem Reissue; Kurator Howe sagt, die Rechte ließen sich nicht eintreiben.

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Die „Sign O‘ The Times“-Bühne war geschmückt mit Erotik-Billboards und Blitze verschießenden Plasmakugeln (Comeback des „Crystal Ball“!), das Schlagzeug stand auf der Kühlerhaube einer Limousine. Eine Fantasiewelt, zugleich Las Vegas, Harem und Hades. Wie die Palastwachen aus dem „Zauberer von Oz“ intonierte Prince „Oh-wee-oh“-Gesänge und sprach sein Publikum mit „Uptown“ an – er sah sich als Rebell, der aus Downtown stammt, der für sie seine Show absolviert und durch ihre Anerkennung den Aufstieg schafft. Auch live trug er seine „Sign O‘ The Times“-Brille. Aber nur während der ersten zwei Lieder, als er Gitarre spielte und nicht tanzte.

Davis trägt, wohl nicht zufällig, einen lilafarbenen Anzug

Beim Tanzen wäre sie ihm vielleicht runtergefallen. Sicher sollte ihm die Brille den Anschein einer gewissen Seriosität verleihen, aber wie sehr Prince über sich selbst und dieses Gadget lachen konnte, zeigt das Silvesterkonzert im Paisley Park. Bei „Little Red Corvette“ will er sehen, ob alle den Refrain mitsingen – und rückt sich nicht etwa die Gläser zurecht, sondern nimmt sie ab, um den Durchblick zu haben. Als Miles Davis später die Bühne betritt, überlässt Prince dem Trompeter das Rampenlicht. Davis trägt, wohl nicht zufällig, einen lilafarbenen Anzug. Die Band wird leise und setzt in „Six“ zu Melodie-Schleifen an – das Signal für ihn, darüber zu improvisieren. Prince hakt sich bei ihm ein, zieht den wie stets in sich versunken wirkenden, spazierenden Musiker nach vorn.

Prince singt, Zeichen größter Ehrerbietung, die von Davis gespielten Töne nach. Für zehn Sekunden ihres Bühnendaseins stehen sie dicht an dicht. Es gibt keine Fotos davon. Miles wandert weiter, und als der Trompeter nach zehn Minuten abtritt, fallen die einzigen Worte, die Prince jemals öffentlich an ihn richtete: „Mr. Miles Davis. Thank you.“

Dankbar war auch der Trompeter neben Davis: Matt Blistan alias Atlanta Bliss. „Miles‘ Meisterschaft zeigte sich im Paisley Park“, sagt er. „Töne standen für ihn gleichberechtigt neben Pausen. He knew how to play space.“ Wie Eric Leeds am Saxofon, gehörte Bliss zur Spätbesetzung der Revolution-Band und blieb Prince bis 1991 erhalten. „Sign O’ The Times“-Klassiker wie „It’s Gonna Be A Beautiful Night“ hätten ohne das Bläserduo nur halb so viel Drive, hier aber übte Bliss sich in Zurückhaltung: „Als Miles sein Solo begann, wurden wir schlagartig zum Background.“ Prince und Davis hätte eine Gemeinsamkeit geeint, die sie von anderen Musikern unterschied: „Keiner der beiden hat versucht, Erfolg mit denselben Mitteln zu wiederholen, zweimal denselben Ton zu spielen. Sie wiederholten sich zeit ihrer Karriere nicht. Deshalb verstanden sie sich auch so gut.“ Für Bliss ging 1988 ein weiterer Traum in Erfüllung: Neben Davis spielte er die Trompete für das von Prince komponierte Chaka-Khan-Lied „Sticky Wicked“ ein.

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Am Neujahrsmorgen war das „Sign O‘ The Times“-Jahr beendet. Zumindest für Prince. Zumindest vorerst. Aber es gibt noch einen Epilog.

Am 02. März 1988 werden in New York die Grammys verliehen. Prince war nach „Purple Rain“ erneut für die wichtigste Kategorie nominiert, das „Album des Jahres“. Als ihn die Kamera einfängt, offenbart er jenen eigentümlichen Blick, bei dem sein Kiefer leicht mahlt: eine widersprüchliche Mischung aus „Please Let Me Outta Here“-Schüchternheit und absolutem Selbstvertrauen.

Es endet dann nicht ganz so peinlich wie 1985. Damals wurde „Purple Rain“ von einer Lionel-Richie-Platte, „Can‘t Slow Down“, ausgestochen. Aber auch jetzt gibt es keine Gnade. „Sign O‘ The Times“ verliert gegen „The Joshua Tree“ von U2. Vier Iren, die sehr gute amerikanische Musik gemacht haben. Womöglich haben sie das Gremium mit ihrer touristisch-ehrfurchtsvollen Perspektive („In God’s Country“) beeindruckt.

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Ein verlegener U2-Sänger Bono geht bei seiner Dankesrede gleich zweimal auf Prince ein. Indirekt, als er sagt, dass sich die Größe von Musik nicht daran festmachen lasse, ob sie „schwarz“ oder „weiß“ sei oder aus einem Drumcomputer stamme. „Es geht darum, dass etwas offenbart wird statt verborgen bleibt.“ Dann adressiert er Prince direkt: „Ohne diese Entscheidung etwas zu offenbaren, wären Menschen wie Prince nicht mehr als nur brillante Songwriter und Dance Men. Das ist er ja auch. Aber eben noch viel mehr.“

Ein einziges Mal, zwei Jahre danach, würde Prince die Show, die er als schmachvoll empfand, ansprechen. Im ROLLING-STONE-Interview führte er einen One-Two-Punch aus. Der erste: „Ich gehe nicht mehr auf Preisverleihungen. Ich sage ja nicht, dass ich besser bin als andere. Aber dann sitzt man bei den Grammys herum und wird von U2 geschlagen.“ Und der zweite: „Ich sagte zu mir selbst: Wait a Minute. Eure Musik kann ich auch spielen. Aber ihr, ihr werdet niemals ‚Housequake‘ spielen können.“

Prince dürfte die Niederlage verdaut haben, auch wenn er bis zu seinem Tod 28 Jahre später keinen Grammy für ein „Album des Jahres“ erhielt. Einige grandiose Platten würden nach „Sign O‘ The Times“ natürlich noch kommen. Noch mehr grandiose Songs, noch mehr grandiose Tourneen. Und nach einer verwirrenden Phase in den 1990ern, als er sich das „Love Symbol“ als Künstlernamen zulegte, gelang ihm 2004 mit „Musicology“ und wieder als Prince das Comeback. Er war nun eine lebende Legende, mit 46 schon, weil jeder wusste, dass es keinen mehr geben würde wie ihn. Ein Status, der bis zu seinem Ableben 2016 hielt.

Da er keine Arbeitspausen kannte, war ihm die Umsetzung neuer Ideen wichtiger als Auszeichnungen für bereits abgelegte Werke. Das wurde bei den Grammys 1988 deutlich: Der Mann, der zu jeder Platte einen anderen Look auffuhr, trug eine neue Frisur, die Haare wurden länger. Das an seine Ex-Verlobte Susannah Melvoin erinnernde Zweifarben-Schema „Peach and Black“, die Paarfarben zweier Verliebter, hatte er gegen einen türkis-schwarzen Anzug eingetauscht; das Hosenbein zierte sein Name in neuer Typografie. Prince arbeitete an Prince `88.

Das nächste Album, sein erstes aus den Paisley Park Studios, war also im Kasten. Prince wollte darin klären, ob sich christlicher Glaube und Libertinage unter einen Hut bringen lassen. Könnte er die Menschen auch dazu bringen, Gott nicht nur zu lieben, sondern sich in Gott zu verlieben? Eine Ode, nicht mehr nur an die Frau, sondern den Allmächtigen – wie stellt man das glaubhaft dar?

Er würde sich auf dem Plattencover so schutzlos, so aufrichtig wie nie zeigen. Wie neugeboren. Komplett nackt.

Was die Welt wohl dazu sagen würde?

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Michael Jackson, Rap und das Musikjahr 1987

Wie bedeutend „Sign O‘ The Times“ sein würde, war Prince früh bewusst. Aber bei den Aufnahmen saß ihm etwas im Nacken. Eine Musik, mit der er nie richtig umzugehen lernte. „Er verspürte Druck, keine Frage“, urteilt seine damalige Toningenieurin Susan Rogers. „Er wusste, was draußen vor sich ging. Früher dachte er, Rap sei nur eine Modeerscheinung. Um 1985 herum wurde ihm dann klar, dass Rap nicht verschwinden würde. Aber es steckte einfach nicht in seinem Blut. Das musste ihm als Pop- und Rock-Künstler Probleme bereiten.“

Und das tat es auch. Fügte sich der eher vorsichtige Rap-Gesang im Titelsong „Sign O‘ Times“ noch organisch im Funk-Arrangement ein, war das deutlich im HipHop-Rhythmus eingebettete „Dead On It“ aus dem wenig später aufgenommen „Black Album“ fast schon eine Parodie. „Er wollte es auch nicht ernst nehmen“, urteilt Rogers. „Clearly the train was going to pass him.“ Später änderte er seine Meinung: „Susan, die Musik der Zukunft wird aus Drums und Bass bestehen.“

Auf dem „Sign O‘ The Times“-Track „It’s Gonna Be A Beautiful Night“ rappte Schlagzeugerin Sheila E., und ab den 1990ern fing auch Prince gelegentlich an zu rappen. „Sexy MF“ ist noch ein gelungener Versuch. Für schnelleres Rhyming engagierte er Künstler wie Anthony Mosley alias Tony M., die jedoch nie wie authentische Bandmitglieder wirkten, sondern wie Gäste.

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Schon vor 1987 bezichtigen einige Rezensenten Prince und seinen größten Konkurrenten, Michael Jackson, des „Ausverkaufs“: Die Songs der zwei Afro-Amerikaner seien nicht mehr „schwarz“ genug. Auch Jackson kämpfte mit HipHop, traf eine schräge Entscheidung. Den ersten Rap würde er 1991 präsentieren, in „Black Or White“, gesungen von einem Weißen, Bill Botrell, und im Video lippensynchron von einem Weißen dargestellt, Kinderstar Macauley Culkin in der Rolle als Goldkettchen-Clown wie aus der Werbung. Der Bedeutungsverlust Jacksons und Prince‘ ab 1991 wird mit eben dieser Tatsache in Verbindung gebracht, HipHop nicht verstanden zu haben.

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Jacksons 1987er-Album „Bad“ war sein zeitlich erstes Konkurrenzprodukt zu einem Prince-Album seit 1982 – damals standen sich „1999“ und „Thriller“ gegenüber. Schon im Titel griff er einen Street-Slang auf, das Cover bildete den „Bad“-Schriftzug als Graffiti ab, und der 29-jährige gebar sich im Nieten-Schnallen-Anzug als Gang-Lord. Das „Bad“-Video in der U-Bahn-Unterführung wurde zwar von einem Regisseur gedreht, der New Yorker Straßenerfahrung hatte, Martin Scorsese. Aber er war eben ein weißer Italo-Amerikaner. Wie der Kurzfilm etwa mit Spike Lee als Regisseur ausgesehen hätte, ist eine unfaire Frage: Der war damals ein unbeschriebenes Blatt, und afroamerikanische Filmemacher hatten es noch schwerer als heute. Diskutieren ließe sich eher über den „Bad“-Produzenten Quincy Jones. Ein Großmeister schwarzer Soulmusik, aber eben auch alte Schule.

Die Kritik an seine Ausflüge in Pop-Jazz („Parade“) und Exotica („Around The World In A Day“) nahm Prince sich zu Herzen. Mit „It“ komponierte er für „Sign O‘ The Times“ eines seiner sexuell aggressivsten Funk-Stücke: „I Want To Do It Baby, Every Day, All Right / In A Bed, On The Stairs, Anywhere, All Right“. Im Studio, erinnert sich Susan Rogers, deklarierte er: „Dieser Song ist für das Black Radio!“. Prince sei enttäuscht von den Vorwürfen gewesen, dass er seine Wurzeln vergessen hätte.

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„Soul- und R&B-Hörer waren Ende der 1970er-Jahre seine ersten Fans, die Leute aus Detroit und Atlanta“, sagt Rogers. Aber die schwarzen Sender hätten ihn aus dem Programm genommen, als er zum Rockmusiker wurde, und die Aufteilung in Spartensender fing ab den 1980ern an. „Prince war irritiert von diesen Trennungen. Er wuchs ja in den 1960ern auf, als schwarze und weiße Künstler nacheinander gesendet wurden. Ike Turner kam nach Carl Perkins, dann lief Country. Prince, sagt Rogers, sei wie Elvis Presley, er vereinte schwarz und weiß: „Er tat, was er tat. Er ging seinen eigenen Weg.“

BERTRAND GUAY AFP via Getty Images
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