Auf nach Transamerika

Die US-Mainstream-Kultur entdeckt die uneindeutige Geschlechtsidentität

Homosexuelle Cowboys, gleichgeschlechtliche Ehen und transsexuelle Stars: Vorstellungen von dem, was männlich und was weiblich ist, geraten selbst in der amerikanischen Mainstream-Kultur allmählich ins Wanken. Doch egal wie plakativ diese Auseinandersetzung mit der sexuellen Identität auch ¿wirken mag es geht dabei nicht mehr primär darum, die Exotik des Anders-Seins auszustellen, sondern um das genuine Problem, sich selbst zu finden und zu sich zu stehen. Ang Lees Cowboy-Romanze „Brokeback Mountain“ verlegt das Thema Homosexualität weg von Aids-Dramen, Party-wütigen Hedwig- und Priscilla-Fans und „Queer Eye for the Straight Guy“. Der Film gewann Trophäen zuhauf und spielte allein in den USA bisher über 50 Millionen Dollar ein. Prompt durfte in diesem Jahr die – bisher von den „straighten“ Cowboys geächtete – International Gay Cowboy Association zum ersten Mal seit ihrem Bestehen ihr alljährliches Rodeo in der „Resistol Arena“ in Mesquite/Dallas abhalten, der letzten Original-Arena des Wilden Westens.

Felicity Huffman gewann für ihre Rolle der transsexuellen Bree – übrigens die erste weibliche Darstellung eines männlichen Transsexuellen (Hillary Swank spielte in „Boys Don’t Cry“ ein Mädchen, das sich zu seiner männlichen Seite hingezogen fühlt) – ebenfalls einen „Golden Globe“. Vielleicht auch deshalb, weil sie nicht versuchte, einen Mann zu spielen, der eine Frau werden will. Platte Cross-Dress-Filme, so Huffman im Gespräch, gab es ja bereits genug. „Ich suchte nach der Quintessenz von Brees Reise, ihrer Verwandlung, und fragte mich, wie ich mich damit wohl identifizieren kann. Bree versucht, die Person zu werden, die sie wirklich ist. Und streben wir nicht alle unser ganzes Leben danach, zu werden, wer wir wirklich sind? Dazu kommt der Schmerz, den sie in sich trägt, diese quälende Befangenheit, der Selbsthass und das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Das alles sind Dinge, die wir alle mit uns herumtragen. Ich jedenfalls tue das.“

Der Entschluß, sich umoperieren zu lassen, ist hart, lebensverändernd. Deutsches Paradebeispiel ist Michaela Lindner, ehemals Bürgermeister der kleinen Gemeinde Quellendorf in Sachsenanhalt und Vater zweier Töchter, der nach dem Besuch einer Vorstellung von „Ein Käfig voller Narren“ 1998 seine weibliche Seite entdeckte. Er wurde nicht nur zum Gespött der Gemeinde, sondern mußte auch – ohne seine Familie – in Berlin ein neues Leben beginnen.

„Diese Menschen stehen vor einer schrecklichen Wahl. Entweder entschließen sie sich zur Geschlechtsumwandlung und entfremden sich damit von der Gesellschaft. Oder aber sie tun es nicht – und entfremden sich von sich selbst, was so furchtbar schmerzlich ist, daß es viele in den Selbstmord treibt“, erklärt Felicity Hutfman, die sich zur Vorbereitung für ihre Rolle intensiv mit dem Thema auseinandersetzte und nun einige Transsexuelle zu ihrem Freundeskreis zählt. „Ich bewundere den Mut und die Kraft, die diese Menschen aufbringen müssen, wenn sie auf die Straße gehen und der Welt zeigen: Das bin ich! Mir ist egal, was ihr denkt.“

Trotzdem werden es immer mehr, die sich für ihr „wahres“ Geschlecht entscheiden. Unter anderem entdeckte auch „Matrix“-Macher Larry Wachowski seine transsexuelle Seite (siehe S. 68). Auf Rufus Wainwright, der lustvoll seine Homosexualität zelebriert, folgte mit Antony (& The Johnsons) ein transsexueller Mann in die US-Charts und besingt dort – unter anderem – die Problematik der Geschlechtsumwandlung: „My lady’s story is one of annihilation/ My lady s story is one of breastamputation.“ Durch Elton Johns Hochzeit mit seinem Lebensgefährten David Furnish in London, bei dem selbst die eigentlich wertkonservative Yellow Press jubilierte, wurde die gleichgeschlechtliche Ehe zumindest in Europa endgültig zum gesellschaftlich anerkannten Faktum. Tatsächlich leben allein in den USA nach Angaben des letzten US-Census (2000) fast 600 000 gleichgeschlechtliche Paare zusammen. Wenngleich das Thema der gleichgeschlechtlichen Ehe dort noch stark umstritten ist, bieten viele Staaten durch „domestic partnerships“ oder „civil unions“ immerhin eine gesetzliche Grundlage. Vielleicht liegt die wachsende Toleranz im ausgeprägten Individualismus der heutigen Gesellschaft begründet, dem Hang zur Selbstfindung, der Suche nach dem „wahren Ich“. Zumindest in vielen Metropolen ist es mittlerweile kein Tabu mehr, sich zum selben Geschlecht hingezogen zu fühlen. Schwieriger wird es, wenn sich der Drang der sexuellen Abweichung im eigenen Körper abspielt. Doch auch hier scheint ein gesellschaftlicher Wandel nur noch eine Frage der Zeit.

Waren Transsexuelle noch bis weit in die Achtziger schlimmstenfalls als „Shemales“ oder Porno-Stars, bestenfalls als unterhaltsame Drag-Queens wahrnehmbar, wird mittlerweile zumindest die Problematik dieses Phänomens thematisiert. „The Crying Game“ von 1992 war einer der ersten Filme, die sich mit der Thematik ernsthaft auseinandersetzten, wurde allerdings gefolgt von schrilleren Streifen wie „Wigstock“ (1995), „Priscilla – Königin der Wüste“ (1994) oder „Hedwig The Angry Inch“ (2001). Mit dem thailändischen Film „Beautiful Boxer“ (2003), der die wahre Geschichte eines jungen Boxers erzählt, der unter anderem auch für seine Geschlechtsumwandlung kämpft, und dem Mitte März nun auch bei uns anlaufenden „Transamerica“ gibt es weitere seriöse Ansätze zum Thema.

Transsexualität – das zeigen vor allem die beiden letztgenannten Filme – ist mehr, als sich in Frauenkleidern herauszuputzen. In den Naturwissenschatten gibt inzwischen zahlreiche Belege dafür, wie Gene und Hormone bereits im Fötus ein Zwitter-Geschlecht festlegen können. Inwiefern hier auch schon der Hang zur Homosexualität festgeschrieben werden kann, darüber ist man sich noch im Unklaren. Die mittlerweile an fast allen US-Universitäten etablierten Gender-Studien unterscheiden zwischen (gesellschaftlich konstruiertem) sozialen Geschlecht (Gender) und dem (manchmal trügerischen) biologischen Geschlecht (Sex).

Es gibt männlichere Frauen, weiblichere Männer, in jedem von uns steckt auch ein Teil des anderen Geschlechts. Der „Intersex Society of America“ zufolge kommt eines von 1500 bis 2000 Kindern mit einer Geschlechtsanomalie zur Welt, die eines Spezialisten zur Differenzierung bedarf.

Im Laufe der Pubertät wird das Kind früher oder später bemerken, daß etwas an ihm nicht dem gesellschaftlich vermittelten Normalbild entspricht. Ergebnis ist eine Persönlichkeit wie die von Felicity Huffman dargestellte Bree, „die so befangen mit ihrem Körper umgeht, daß sie ihre Kleider nur über Kataloge einkauft. Sie hat nicht viel Geld, weil sie für ihre Operation sparen muß – und trägt daher diese gräßlichen Kleider aus reinem Polyester. Genauso ihr Make-up: Nie im Leben würde sie sich professionell beraten lassen, sonst würde man sie vielleicht als Mann erkennen, also bestellt sie auch das per Katalog. Und weil sie weiblicher wirken will, bestellt sie es ein paar Nuancen zu hell und trägt es dick auf, um ihre Bartstoppeln zu verdecken.“

Ein Jahr müssen Transsexuelle sich weiblich kleiden, weiblich geben, bevor ihnen ein entsprechender Psychotherapeut die Notwendigkeit einer Geschlechtsumwandlung bestätigen darf. Nichtsdestotrotz bergen Operation und Hormonbehandlung erhebliche Risiken; die Hormone müssen zudem für den Rest des Lebens regelmäßig eingenommen werden. Neben gesundheitlichen Risiken kann sich dies auch fatale Auswirkungen auf die Psyche haben und Depressionen auslösen.

Im Rahmen ihrer Recherche war Huffman überrascht herauszufinden, „daß wir Frauen viele Dinge zwar machen, weil wir Frauen sind, aber eben vor allem, weil wir eine Menge Östrogen in unserem Körper haben. Es gibt typisch weibliche Verhaltensmuster – etwa wie wir mit Konflikten umgehen, oder mit unserem Körperbild. Viele Transsexuelle waren überzeugt, sich auch nach der Geschlechtsumwandlung wie Männer zu benehmen, bei Konflikten gelassen zu bleiben und ihren Körper zu lieben, egal ob dick oder dünn. Doch schon nach einer Weile in Hormonbehandlung überreagierten sie bei Konflikten, machten sich Gedanken über ihre Figur.“ Die ganz normalen Probleme einer Frau, die dem – männlich geprägten – Idealbild entsprechen will.

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