Bye Bye, Rudolf Schock!

Eine ganze Generation ist aufgewachsen mit der „Lustigen Witwe“ und dem „Zigeunerbaron“, mit Operettenseligkeit im bundesdeutschen Biedermeier, mit Peter Alexander und Heinz Schenk, die Anneliese Rothenberger und Rudolf Schock zu einem „Glaserl Wein“ oder einem „Bembel Äppelwoi“ begrüßten. Es klang und sah aus wie der Spaßvollzug eines eigentlich längst untergegangenen Reichs -wie der Pop der Nazis. Damals haben wir Operetten gehasst. Viele tun das noch heute.

Und dann steht man auf der Flucht vorm Mitte-Hipstertum plötzlich im Foyer der ausverkauften Komischen Oper in Berlin. Kellner reichen Gläser mit eiskalt perlendem Sekt, die Stimmung ist aufgekratzt. Gespielt wird -eine Operette. Ausgerechnet. Doch Paul Abrahams „Ball im Savoy“ ist kein deutschtümelndes Zuckerbäckerschloss. Eher das, was man sich vor einigen Jahren von „Prima Donna“ versprochen hat, der großmäulig angekündigten und dann sang-und klanglos gefloppten Oper von Rufus Wainwright. Der experimentierfreudige Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, und sein musikalischer Leiter, Adam Benzwi, haben ein mehr als dreistündiges, rauschhaftes Spektakel inszeniert. Im Prinzip geht es auch hier um die alten Geschichten von Doppelmoral und Seitensprung. Doch was in diesem Rahmen über die Bühne fegt, mit Dutzenden von exaltierten Sängern, Tänzern und Schauspielern, ist wie ein farbenprächtiger LSD-Trip: Bizarr, bunt, schrill und verrückt, als hätten Cab Calloway, Hunter S. Thompson und Billy Wilder gemeinsam eine Operette geschrieben.

Premiere feierte das Stück am 23. Dezember 1932 -wenige Wochen vor der Machtergreifung der Nazis. Es war das letzte Aufbäumen der Weimarer Republik, das Ende der Roaring Twenties in Berlin. Der Jude Paul Abraham konnte den Nazis entkommen, doch seine Karriere war ruiniert. „Ball im Savoy“ wurde verboten, das gesamte Operetten-Genre einer Arisierung unterzogen. Das aberwitzige Tempo der Dialoge, der wilde Sound des Jazz, der funkelnde jüdische Witz, die kaum verborgene „Queerness“ – alles, was die Berliner Operette vom eher gemütlich zuckrigen Sound Wiens unterschied, wurde aus dem Repertoire entfernt. Viele dieser Elemente finden sich später in den großen Broadway-Musicals der 40er-und 50er-Jahre wieder.

In Deutschland arbeiteten ehemalige Volksgenossen wie Johannes Heesters und Marika Rökk noch bis weit in die Nachkriegszeit an der biederen Sentimentalisierung eines Genres, das ursprünglich für Frivolität und Grenzüberschreitung stand: Jacques Offenbach war ein glamouröser Dandy, eine freigeistige Mischung aus Liberace und Jimi Hendrix. Und der New Yorker Savoy Ballroom, der „Ball im Savoy“ seinen Namen gab, war der erste öffentliche Ort, an dem Schwarze und Weiße miteinander tanzen konnten.

Diese quirlige 20er-Jahre-Atmosphäre rekonstruiert Kosky mit großem Orchester, Comedian-Harmonists-Anleihen und Modetänzen. Der rabiate Berliner Jazz trifft auf eloquenten jüdischen Humor. Die Choreografien sind atemberaubend, die Schauspieler und Sänger fantastisch. Ein purer, verrückter Spaß – leicht, witzig und mit perfektem Timing.

Aber auch an Frank Castorfs Volksbühne mag man momentan die Berliner Operette. Herbert Fritschs Inszenierung von „Frau Luna“ ist allerdings keine behutsame Rekonstruktion, sondern eher der radikale Pop-Remix eines volkstümlichen Klassikers. Ausgerechnet ein Stück des Ur-Berliners Paul Lincke hat sich der Regisseur ausgesucht, eins, das vor Märschen und Schlagern nur so strotzt. Die Nazis liebten die Geschichte von den vier Berlinern, die zum Mond fliegen und ließen „Frau Luna“ 1941 von Theo Lingen und Ernst Marischka verfilmen. Und auch Fritsch hat offensichtlich Spaß an Flitzpiepen wie Fritz Steppke und Frau Pusebach.

Doch was bei dem Berliner Energiebündel herauskommt, ist ein anarchisches, hochkomisches Spiel mit der Form. „,Frau Luna‘ hat ein absolut triviales, eindimensionales Libretto“, so Regisseur Fritsch. „Aber genau das gibt den Schauspielern und Sängern einen Raum für das Körperliche, den sie bei allzu genauen und überartikulierten Texten nicht haben. Wir treffen die Zuschauer an einem Punkt, wo wir sie normalerweise nicht treffen, nämlich außerhalb des Gehirns -im Rückgrat.“

Der 62-Jährige gilt schon seit einiger Zeit als wildester Hund des deutschen Theaters. „Mein Generalspruch fürs Theater ist: It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing „, sagt Fritsch, der als Schauspieler dafür berüchtigt war, dass er sich bei jeder Vorstellung die Kleider vom Leib riss. „Man kann auf der Bühne den größten Schwachsinn machen, ohne jede Erklärung. Wenn’s den Swing hat, dann stimmt es.“

„Frau Luna“ hat den Swing – wenn auch anders als gewohnt. Statt eines großen Orchesters, das Linckes Hymne auf die „Berliner Luft, Luft, Luft“ als schmissigen Marsch intoniert -der Mann war ein Fan von derber Militärmusik -,setzt Fritsch lieber auf das kompetente Elektro-Pop-Trio von Ingo Günther. Dazu gibt es wunderbar poetische Bilder und eine grell expressive Komik. Jedes im Stück angelegte Hackenknallen wird so vermieden.

Aber warum macht man denn überhaupt diese so altmodische Mondfahrer-Story? Aus ähnlichen Gründen wie die „Drei Schwestern“, eine Neue-Musik-Oper, die Fritsch in Zürich inszeniert hat. „Das Problem an der Neuen Musik ist ja die Humorlosigkeit, dieses ,Hurz‘. Trotzdem hat es mich gereizt, das so hinzukriegen, dass es Unterhaltung wird. Der Komponist Péter Eötvös hat bei der Premiere einen Tobsuchtsanfall gekriegt, aber das konservative Züricher Publikum war total begeistert.“

Klar, denn es geht gar nicht um ein „Revival der Operette“. Es geht um Unterhaltung, die weder blöde, noch belehrend und schon gar nicht verstaubt ist. Kosky und Fritsch ist mit ihren Inszenierungen das Einfache gelungen, das so schwer zu machen ist: ein großer Spaß!

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