FREIHEIT DEN FRISUREN

Als Wolfgang Thierse neulich seine Witze über Berliner Schwaben riss, revanchierte sich Fritz Kuhn, der grüne Bürgermeister von Stuttgart, mit einer verblüffenden Stilkritik. Thierse sei „manchmal etwas zauselig“, bemängelte Kuhn, empfahl einen Besuch bei einem schwäbischen Friseur. Dabei waren es doch die Grünen, die früher versucht hatten, mit zügellosen Bärten und wallendem Haar den politischen Alltag zu stürmen. Als Zeichen der Natur, des Unkompromittierten, nicht Denkbeschränkten. Das legendäre Foto, auf dem die Abgeordneten Dieter Drabiniok und Gert Jannsen im März 1983 fast vollständig zugewachsen eine Bundestagssitzung verfolgen -ein trotzigeres Statement gegen alles haartechnisch Hitlereske gibt es nicht.

Umso bedauerlicher, dass mit der Regierungsfähigkeit der Grünen auch das Zweckmäßige der Frisuren wuchs. Otto Schily und seinen Salatschüssel-einmal-rum-Schnitt wurde man zwar noch rechtzeitig los, und Joschka Fischer hing wenigstens noch dieser kleine freigeistige Wipfel in der Stirn, der bei der berühmten „I’m not convinced“-Rede herrlich mitvibrierte. Ansonsten siegte das praktische, schnell Waschbare, bei Renate Künast, Cem Özdemir. Am schlimmsten bei Jürgen Trittin, der schon 1998 die Bezinpreiserhöhung mit einer Schnauzerfrise bewarb, auf die ein Ruhrpott-Bundesligatrainer stolz gewesen wäre. In den Achtzigern.

Die Grünen haben es -und das gilt, wie fast alles, nicht für Christian Ströbele -nicht geschafft, die Freiheit der Frisur im deutschen Politikbetrieb zu manifestieren. Haben sich den Schneid bzw. Schnitt abkaufen lassen, einzelne Punkelemente unseligerweise mit in die Gesellschaftsmitte gezogen, weshalb wir heute so viele 50-jährige Muttis mit lila Strähnen ertragen müssen. Wo die Lösung liegen könnte, auch ideologisch, zeigt vielleicht der Haaransatz des aktuellen netzpolitischen Sprechers Konstantin von Notz: im Prinzip eine strikt gegelte Guttenberg-Matte, aber mit deutlicher Tendenz zum Fassungsverlust, zur losen Spitze. Konservatives Chaos. Wäre ein Versuch.

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