Ärzte küsst man nicht

Die RTL-Serie „Doctor’s Diary“ adaptiert amüsant die Screwball Comedy und den Geschlechterkampf.

So alt wie die „Hesselbachs“ ist die Frage, weshalb das deutsche Fernsehen keine Komödienserien produzieren kann. „Der Bastian“ in den Siebzigern, „Ich heirate eine Familie“ in den Achtzigern verbanden immerhin heimischen Alltag und herzerwärmende Kleinbürgerei, Helmut Dietl gelangen mit den „Münchner G’schichten“, „Monaco Franze“ und „Kir Royal“ drei – allerdings genuin bayerische – Glanzlichter. Loriots Vignetten, Dieter Hallervordens Klamauk, das „Verrückte Paar“ Harald Juhnke und Grit Boettcher verdankten sich eher dem Hörspiel und dem Boulevard-Theater. Nicht uncharmant ist Annette Frier als „Danni Lowinski“ bei Sat.1. Aber die große, überkandidelte, geschmacklose, turbulente Screwball Comedy? „Bis in die Spitzen“, die aus dem Ruder gelaufene Coiffeurs-Saga, hatte die richtigen Schauspieler, Bosheit und Gift. Doch das Publikum mochte Muriel Baumeister offenbar nicht als Megäre sehen, obwohl die böse Zicke ja zum Personal jeder Soap gehört.

Mit „Doctor’s Diary“ gelang RTL überraschend eine Serie, die nun schon die dritte Staffel erreicht hat. Zwar handelt es sich um eine Anverwandlung der amerikanischen Krankenhaus-Plotte „Grey’s Anatomy“, die Schwulst, Sex und Melodram vor dem grell inszenierten Drama von Leben und Tod zusammenführt und dabei einige charismatische Darsteller hervorgebracht hat. Der Autor Bora Dagtekin hat für „Doctor’s Diary“ den Kunstgriff des Tagebuchs übernommen, der schon bei „Sex And The City“ aufgepropft wirkte, obwohl die Hauptfigur immerhin Kolumnistin war. Doch die Reflexionen dienen meistens als Exposition und Resümee, bei „Anatomy“ oft im Verein mit Moralin, Larmoyanz und lebensanschaulicher Klugscheißerei.

„Doctor’s Diary“ beginnt mit einem Gemeinplatz der schwarzen Komödie: Die Ärztin Gretchen Haase (Diana Amft) will sich von der Brücke stürzen, nachdem sie knapp vor der Hochzeit ihren Ehemann in spe mit einer Arzthelferin erwischt hat. Als rettender Engel erscheint der Gynäkologe Dr. Mehdi Kaan (Kai Schumann), der dann mit ihr in die Fluten stürzt. Nun will die stets hyperventilierende Blondine ihre medizinische Karriere fortsetzen und beginnt eine Hospitanz in der Abteilung ihres Vaters, wo sie der Nemesis ihrer Schulzeit, dem fiesen Schönling Dr. Marc Meier (Florian David Fitz), wiederbegegnet. Die Schnellschuss-Geplänkel zwischen den beiden bestehen zu Beginn aus den von „Bridget Jones“ bekannten Gewichtswitzen, stets zum Nachteil von Gretchen, die ihrerseits nur die Erotomanie des Arztes verspotten kann. Dr. Kaan praktiziert ebenfalls in der Klinik und wird zum immer etwas hysterischen, ungeschickten Rivalen Meiers.

In der neuen Staffel steht Gretchen wiederum vor einer Hochzeit – und zwar mit dem affigen Millionär und Betrüger Frank, den der gewöhnlich nicht auffällige Steffen Groth ergötzlich als armseligen Trottel gibt. Die vorzügliche Ursela Monn als Gretchens Mutter macht glaubhaft, weshalb die Tochter ein neurotisches altes Mädchen geworden ist. Noch immer liebt sie Meier, verstrickt sich aber in die absurdesten Kalamitäten, als ein Seuchenfall virulent wird, alle Akteure im Krankenhaus unter Quarantäne stehen und dann einen verdächtigen Affen jagen, der vermeintlich das Virus in sich trägt. Das ist natürlich schon sehr nah an den Verwicklungen in „Leoparden küsst man nicht“, Howard Hawks‘ berühmter Screwball-Komödie mit Cary Grant und Katharine Hepburn.

Wie in den Filmen von Hawks, Ernst Lubitsch, George Cukor, Preston Sturges und später Billy Wilder sind die Nebenrollen so spektakulär wie liebevoll entworfen und brillant besetzt: In „Doctor’s Diary“ wird die verklemmte, schleppend sprechende Schwester Sabine von Annette Strasser mit enigmatischem Wahnsinn dargestellt. Die notorische Ingrid van Bergen gibt noch einmal die schrumpelige Nymphomanin. Nora Tschirner als Wiener Hippie-Musikerin versucht sich – leider nicht vollkommen überzeugend – an breitem Österreichisch und wird zum willigen Opfer von Dr. Meier.

Zu den wunderbar geschriebenen Peinlichkeiten zählt eine Szene, in der Gretchen Meiers Wohnungstür aufbrechen lässt, woraufhin sie die beiden Turtelnden erblickt und wegläuft; Meier folgt ihr und wartet auf das nun unvermeidliche Liebesgeständnis – doch Gretchen entwindet sich mit haarsträubenden Ausreden und hofft nun darauf, dass der Geliebte ihr folgt und sie um Verzeihung bittet: Das Ausbleiben dieses Moments wird mit brutaler Verzögerung ins Qualvolle gesteigert.

Ein paar unliebsame Wahrheiten über Frauen und Männer haben schon oft gereicht, um aus albernen Komödien geradezu Bestandsaufnahmen des menschlichen Elends zu machen: Der kürzlich verstorbene Blake Edwards zeigte in „Zehn – Die Traumfrau“, „Victor/Victoria“, in „S.O.B.“ und „Switch“, wie sehr viele Zoten am Ende einen nachgerade analytischen Film ergeben, der tiefer als bis zur Haut reicht. „Skin Deep“ heißt eine von Edwards‘ späten Slapstick-Komödien. Wo „Nip/Tuck“ das Explizite bis zum Überdruss ausgeschöpft hat, zeigt „Doctor’s Diary“ den Geschlechterkampf als einen burlesken Kriegsschauplatz von Katastrophen der Kommunikation und der fehlgeschlagenen Empathie. Im Zeitalter der Post-Emanzipation werden die Scharmützel womöglich so raffniert wie einst; die Dialogschreiber der 30er- und 40er-Jahre hatten das Erotische vollkommen verbalisiert: als semantisches Vorspiel.

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